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Da wir uns lieben. Marie Louise Fischer
Читать онлайн.Название Da wir uns lieben
Год выпуска 0
isbn 9788711718445
Автор произведения Marie Louise Fischer
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Seit er die fünfzigtausend Mark von der Bank geholt und seinem Schwager übergeben hatte, fühlte er sich wie amputiert. Es war ihm, als habe er damit einen Teil seines Selbst geopfert. Als er Egon das hochherzige Angebot gemacht hatte, hatte er sich die Folgen nicht vorgestellt. Jetzt brannte ihm die Angst vor dem Verlust in der Seele. Gleichzeitig machte ihn die Hoffnung auf den Erfolg der Spekulation schwindelig. Sollte sich das Glücksrad des Schicksals endlich zu seinen Gunsten gedreht haben? War der Lottogewinn nur ein Anfang gewesen? War vielleicht auch Ilonas Verlobung ein Zeichen dafür, daß es seiner Familie bestimmt war, sich aus der grauen Masse herauszuheben?
Manchmal schien ihm das so wahrscheinlich, als wenn er es schon seit langem auf sich zukommen gesehen hätte. Dann wieder war er überzeugt, daß Wahnideen ihn narrten. Und doch war die Hoffnung da, und sie überfiel ihn immer wieder so siedend heiß wie die Angst.
Wenn er es auch nicht ausdrücklich mit seinem Schwager vereinbart hatte, so schien ihm doch sicher, daß mindestens die Hälfte des angestrebten Spekulationsgewinnes ihm zufallen würde, da er ja letztlich der Geldgeber war. Selbst wenn er – falls der Verkauf an die Stadt nicht umgehend realisierbar sein sollte – Rudolf Kienzel mitbeteiligen müßte, würde das immer noch einen ungeheuren Profit bedeuten. In Wahrheit, gestand er sich, wäre es ihm gar nicht unlieb gewesen, Kienzel partizipieren zu lassen. Die finanzielle Einbuße würde reichlich wettgemacht durch den Triumph, den er dem alten Freund gegenüber erzielen würde, der es liebte, sich als selbständiger Kaufmann aufzuspielen, und sich einbildete, auf Arnold, den Arbeitnehmer, herabblicken zu dürfen. Welch unwiederbringliche Gelegenheit, ihm zu beweisen, daß er wahren Unternehmergeist besaß! Aber noch in den Augenblicken überschwenglicher Hochstimmung spürte Arnold, daß er seinem Charakter und seiner Erziehung nach der Situation nicht gewachsen war. Er war keine Spielernatur, wenn er sich auch immer dafür gehalten hatte.
Sabine, die das Geld, das er wöchentlich für die Wettscheine ausgab, lieber anderweitig angelegt gesehen hätte, hatte ihm seine Spielleidenschaft oft vorgehalten. Wie ungerecht sie ihn damit beurteilt hatte, begriff er erst jetzt. Diese Lotto- und Totowetten waren kein wirkliches Spiel gewesen, sondern nur Spielereien, der kindliche Wunsch, mit minimalem Einsatz das Glück zu zwingen. Jetzt, zum erstenmal in seinem Leben, war er ein Risiko eingegangen, und es nahm ihm den Appetit und raubte ihm den Schlaf. Er fühlte sich herausgehoben aus dem Kreis seiner Familie und gleichzeitig isoliert. Wie unter einer Glasglocke sah und hörte er alles, was um ihn herum vorging, aber er konnte es nicht greifen.
Für Sabine war seine Teilnahmslosigkeit unfaßbar. »Ich verstehe dich nicht«, sagte sie zornig, als er wieder einmal auf eine ihrer Fragen mit dumpfem Schweigen reagierte, »kann dir denn die Zukunft der einzigen Tochter gleichgültig sein!?«
»Und die hängt von der Sektmarke ab?« fragte er.
»Von vielem, Vati… von allem!« sagte Ilona. »Deshalb bemühen wir uns ja so, daß es keine Pannen gibt!«
»Nicht so laut… bitte!« war alles, was er darauf zu erwidern wußte; er nahm die Brille ab und strich sich über die Augen.
»Wir nehmen keinen Sekt, sondern Champagner«, entschied Sabine. Arnold stand auf und verließ das Zimmer. Er wußte, daß er die beiden Frauen damit verärgerte, aber es war ihm gleichgültig.
An jedem Dienstagabend fuhr Arnold gewöhnlich zu seinem Stammtisch im Goldenen Löwen, wo einige Herren seines Alters, Honoratioren von Riesberg, regelmäßig zusammenkamen. Diesmal brachte er weder Lust noch Kraft dazu auf. Doch weil er Sabines Neugier nicht wecken wollte, verließ er das Haus und fuhr stundenlang ziellos umher. Schließlich stoppte er, weil er an das Ende einer Sackgasse geraten war, saß da, bei laufendem Motor und mußte sich besinnen, wo er war und was ihn hierher getrieben hatte. Blitze zuckten am nächtlichen Sommerhimmel; der Donner war noch weit.
Arnold drehte den Zündschlüssel um und schaltete die Innenbeleuchtung ein. Aus dem Seitenfach zog er eine Straßenkarte von Oberbayern und faltete sie so auf, daß er das Rechteck, in dessen Mittelpunkt Riesberg lag, vor sich hatte. Noch führte die Bundesstraße mitten durch die Stadt, zum ständigen Ärger der Anwohner und der Autofahrer. Es gab nur einige wenige Geschäftsleute und Hoteliers, die den bestehenden Zustand zu erhalten wünschten, weil sie die durchreisende Kundschaft nicht verlieren wollten. Aber eine Umfahrungsstraße mußte und würde kommen, so viel war sicher. Die Frage war nur, ob sie westlich oder östlich von der Stadt gebaut werden würde.
Stefan Brandel, der behauptete, den Plan zu kennen, hatte Egon das westliche, zu den Alpen hin gelegene Gebiet angesagt. Das schien auch, wie Arnold jetzt feststellte, die gegebene Lösung. Westlich von Riesberg erstreckte sich freies, nur wenig besiedeltes Gelände, und vor allem gehörte es zum überwiegenden Teil schon jetzt der Stadt, so daß nicht allzu viele Grundstücke dazugekauft werden mußten. Arnold fuhr mit dem Finger über die Strecke. Ja, so etwa würde die Umfahrungsstraße wohl geführt werden. Wer aber konnte Voraussagen, ob sie dicht an Riesberg vorbeilaufen würde, um den Autofahrern so wenig zusätzliche Kilometer wie nur möglich zuzumuten, oder in einem weiten Bogen, weil man mit einem starken Wachstum der Stadt rechnete? Hierüber Vermutungen anzustellen, wäre sinnlos gewesen. Man mußte es wissen. Egon war überzeugt, daß Stefan Brandel es wußte. Warum konnte nicht auch er es einfach glaubern? Was beunruhigte ihn so?
Arnold starrte lange auf die Karte, bevor er sie faltete und an ihren Platz zurücksteckte. Plötzlich konnte er sich nicht mehr vorstellen, daß bei einer Spekulation, die so viele Mitbürger reizen mußte, ausgerechnet er den Volltreffer machen sollte. Seine Hoffnung auf einen Riesengewinn platzte wie ein zu kräftig aufgeblasener Luftballon. Jetzt wäre er schon froh gewesen, wenn er das Geld, das er Egon geliehen hatte, ungeschmälert wiederhätte. Es war Wahnsinn gewesen, es ihm zu geben – und doch, was hätte er anderes tun können? Erst als dicke Regentropfen hart auf das Autodach knallten, ließ Arnold den Wagen wieder an und wendete. Das Gewitter schien jetzt über ihm zu sein.
Der Mittwoch wurde der längste Tag in Arnolds Leben. Vom späten Vormittag an erwartete er jede Sekunde, daß Egon ihn darüber verständigen würde, wie die Entscheidung gefallen war. Am Abend, gleich nach den Sechs-Uhr-Nachrichten, rief er bei Kaspareks an. Aber niemand meldete sich. Um halb neun versuchte er es noch einmal. Diesmal wurde der Hörer auf der anderen Seite abgenommen. Arnold hörte ein flaches Atmen, aber kein einziges Wort.
»Hallo, hallo!« rief er. »Was ist los? Bist du es Andy? Chris? Hört auf mit den Späßen. Hier ist Onkel Arnold!« Aber außer dem Atemgeräusch blieb alles stumm.
Das war sonderbar. Auch wenn er sich nichts anderes vorstellen konnte, als daß die Zwillinge wieder einmal Dummheiten machten, so blieb doch unverständlich, wie sie das um diese Zeit tun konnten, da sie doch eigentlich ins Bett gehörten und die Eltern hätten zu Hause sein müssen.
Arnold war beunruhigt. Noch kurz zuvor hatte er es für vernünftig gehalten, sich bis zum morgigen Bericht über die Stadtratsitzung im Oberbayrischen Volksblatt zu gedulden. Jetzt konnte er es nicht mehr aushalten. Ohne Sabine, die im Gartenzimmer saß und Radio hörte, zu verständigen, verließ er das Haus und holte den Wagen aus der Garage. Zehn Minuten später parkte er auf dem Maximiliansplatz. Er trat weit zurück, überquerte dann die Fahrbahn und blickte von der anderen Seite zu dem schmalen alten Haus hinauf. Zwischen den Vorhängen an den Fenstern im dritten Stock schimmerte Licht. Er nahm es als ein gutes Zeichen.
Die Haustür unter dem Bogengang war noch unverschlossen. Arnold hastete die Treppen hinauf und klingelte. Sekunden später wurde geöffnet. Egon Kasparek stand vor ihm; in Hemdsärmeln, mit geöffnetem Kragen und aufgezogener Krawatte zeigte er nicht die Spur seiner sonstigen Eleganz. »Ich bin gerade erst nach Hause gekommen«, sagte er, fast abwehrend.
Schon in diesem Moment wußte Arnold, daß alles aus war. Trotzdem fragte