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es zwölf Uhr geworden war. Die Döring schaltete sofort ihre elektrische Schreibmaschine aus und räumte ihre Unterlagen beiseite. »Darf ich Ihnen ein Alka-Seltzer anbieten, Herr Miller?« fragte sie lächelnd.

      Er wurde aus seinen Gedanken gerissen. »Sehe ich aus, als wenn ich’s nötig hätte?«

      Sie blickte ihn prüfend durch die eckigen, getönten Gläser ihrer Brille an. »Um die Wahrheit zu sagen … ja!«

      »Na, dann geben Sie her.« Es wurde ihm bewußt, daß das reichlich barsch geklungen hatte, und er fügte ein »Bitte« hinzu. Er blickte auf seinen Kalender. Nachts wurden auf Teneriffa bestimmt keine Telegramme ausgetragen. Das bedeutete, daß Rudolf Kienzel den Bescheid frühestens am Donnerstag bekommen würde. Aber seit Samstag nacht wußte Miller schon, daß sie gewonnen hatten. Das könnte ja fast so aussehen, als habe es Miller einige Überwindung gekostet, seinem Freund die Nachricht zu übermitteln! Natürlich würde Rudolf Kienzel nicht annehmen, daß er ihm den Gewinn hätte unterschlagen wollen. Das war ganz ausgeschlossen. Sie spielten ja nach System, so daß sein Partner die eingesetzten und die ausgespielten Zahlen mit Leichtigkeit vergleichen konnte, ganz davon abgesehen, daß Kienzel wissen mußte, wie korrekt Miller in diesen Dingen war. Ihm zu mißtrauen bestand kein Anlaß, aber blöd sah es aus, so viel war sicher.

      Plötzlich kam ihm eine Idee. Und wenn er den Freund nun gar nicht benachrichtigte? Wenn er einfach wartete, bis er zurückkam, und es ihm dann persönlich sagte? Das war besser, viel besser. Er wunderte sich, wieso er nicht gleich darauf gekommen war. Dann konnte er sich auch selbst an Kienzels Überraschung weiden. Das würde einen Knall geben, Himmel, ja, daß er daran nicht gedacht hatte!

      Fräulein Döring brachte ihm einen Plastikbecher mit der schäumenden Flüssigkeit. »Hoffentlich hilft’s Ihnen auch«, sagte sie.

      Er stürzte den Trank hinunter. »Es hat schon, Mädchen«, behauptete er, »Ihre Fürsorge hat mich seelisch aufgerichtet, und genau so was hatte ich gebraucht.«

      Sie spürte seine veränderte Stimmung. »Fast könnte man es Ihnen glauben«, sagte sie leicht verwirrt.

      Arnold Miller grinste und verließ das Haus. Er dachte daran, wie sehr er hinter einem Gewinn hergewesen war, und nun, kaum daß es einmal geklappt hatte, begannen auch schon Probleme, die er früher gar nicht gekannt hatte. Dabei bestand tatsächlich kein Grund, sich Sorgen zu machen, denn das Geld lag gut und sicher auf der Bank. Es konnte gar nichts passieren.

      Ilona ballte die schmalen braunen Hände zu Fäusten, als sie am Samstag nachmittag, an Oswald Zinners Seite, das erste Mal durch die Ulmenallee zum Gutshaus hinauffuhr. Er bemerkte ihre Nervosität und legte beruhigend die Hand auf ihr Knie. »Nur keine Bange, Liebling!«

      Sie wandte ihm ihr blasses Gesicht zu und behauptete: »Ich fürchte mich kein bißchen.«

      »Um so besser.« Er schmunzelte. »Auf alle Fälle steht dir das Nichtfürchten fabelhaft. Du bist schöner denn je.«

      »Ich habe auch volle zwei Stunden gebraucht, diesen Zustand der Vollkommenheit zu erreichen«, erwiderte sie mit dem schwachen Versuch, auf seinen Ton einzugehen.

      »An dein Make-up habe ich jetzt gar nicht gedacht, Ilo, sondern an den ungewohnten Ausdruck von Durchgeistigung.«

      Sie zückte ihren, Taschenspiegel. »Weil ich Schatten unter den Augen habe?«

      »Sie stehen dir wundervoll.«

      Sie steckte den Spiegel mit einem leichten Seufzer wieder fort. »Hoffentlich fassen deine Eltern sie nicht falsch auf.«

      »Wen?«

      »Die Schatten. Als ich klein war, hieß es immer: Schlimme Mädchen kriegen Schatten unter die Augen.«

      »Wer hat das gesagt? Etwa deine Mutter?«

      Ilona überlegte. »Die nicht. Aber geglaubt hab’ ich’s doch.«

      Er lachte. »Jetzt hast du den Beweis, daß es nicht stimmt: so brav wie gestern abend waren wir doch seit langem nicht mehr.«

      Die Ulmenallee endete vor dem Gutshaus. Eine zweiflügelige Treppe führte zu dem hoch gelegenen Portal hinauf. Oswald Zinner trat auf die Bremse, etwas zu heftig, wie es seine Art war, aber Ilona war darauf vorbereitet und hielt sich fest.

      »Gnädiges Fräulein … darf ich bitten?« Er stellte den Motor ab, lief um den Porsche herum und öffnete ihr mit einer übertriebenen Verbeugung den Schlag. Ilona stieg zögernd aus.

      Das Haus war ein ziemlich großer Kasten; es hatte zwar nicht die Merkmale, wohl aber die Größe eines kleinen Schlosses. Trotz frischen Verputzes und der leuchtend grün gestrichenen Fensterläden wirkte es nicht einladend, sondern bedrückend. Jedenfalls empfand es Ilona so. Aber sie wollte sich nicht einschüchtern lassen. »Nanu?« fragte sie. »Wo sind denn die Hühner, Gänse und Schweine?«

      »Hast du so was im Ernst erwartet?« fragte er zurück. »Der Gutsbetrieb ist selbstverständlich verpachtet. Das Bauernhaus und die Stallungen liegen weiter rechts, man kann sie von hier aus nicht sehen. Wir bewohnen nur diese Gebäude, und das macht Arbeit genug.«

      »Kann ich mir vorstellen«, murmelte Ilona.

      »Also dann …« Er reichte ihr den Arm und führte sie zur Treppe. Obwohl sie sich sehr beherrschte, war ihr Unbehagen spürbar, so daß er sich etwas anderes einfallen ließ. »Weißt du was, wir gehen hinten herum«, sagte er, »durch den Park, das wird dir besser gefallen.«

      »O ja!« rief sie dankbar und fügte dann, schon wieder unsicher hinzu: »Aber geht denn das?«

      »Und ob.«

      »Ich meine … ist das nicht ungehörig? Werden deine Eltern sich nicht darüber ärgern?«

      Er blieb stehen und packte sie bei den Schultern. »Jetzt hör mir mal gut zu, Ilo. Weder du noch ich, keiner von uns hat Grund, Rücksicht auf die Launen meiner Eltern zu nehmen. Es steht überhaupt nichts auf dem Spiel, begreif doch das endlich! Das Schlimmste, was passieren könnte, ist, daß sie dich nicht mögen … na und? Nebbich. Das würde die privaten Beziehungen zwischen mir und den alten Herrschaften ziemlich kühl gestalten, aber sie würden mehr darunter leiden als ich, da sei sicher. Aus der Firma schmeißen würden sie mich deswegen nicht, das können sie sich gar nicht leisten, denn schließlich bin ich kein kleiner Junge mehr, sondern ein erwachsener Mann, der genügend Erfahrungen auf dem Buckel hat. Ist das klar?«

      »Ja, Oswald.«

      »Das genügt mir nicht. Sage laut und deutlich: Es hängt gar nichts von diesem Besuch ab.«

      »Es hängt gar nichts von diesem Besuch ab«, wiederholte sie folgsam und setzte hinzu: »Ich möchte deinen Eltern aber trotzdem gefallen.«

      Er lachte. »Das wirst du doch, Liebling. Du siehst aus wie ein Engel. Wirklich.«

      Sie wußte, daß sie schön war. Das makellos weiße Kostüm stand gut zu der sonnengebräunten Haut, und die mauvefarbene Chiffonbluse unterstrich das überraschende Blau ihrer Augen. Sie hatte lange überlegt, was sie anziehen sollte, und sich mit ungewöhnlicher Sorgfalt zurechtgemacht. Doch ihr Aussehen erschien ihr als ein zu geringer Trumpf in einem Spiel, bei dem die anderen die Macht und das Geld in der Hand hatten. Aber das mochte sie Oswald nicht sagen.

      »Engel sind doch blond«, meinte sie nur und lehnte einen Atemzug lang ihre Stirn gegen seine Schulter.

      »Wer hat dir denn das weisgemacht? Alles Unsinn. Für mich hat es immer nur dunkle Engel gegeben.«

      »Vielleicht, weil deine Mutter schwarzhaarig ist?«

      »War, Liebling, war«, berichtigte er, »inzwischen ist sie sanft erblondet.« Er reichte ihr die Hand, und sie liefen die spitzenbewehrte Mauer entlang, die den Park gegen die Umwelt abschloß. Oswald zückte den Schlüssel zu einer schmalen eisernen Tür, und Ilona schlüpfte an ihm vorbei. Jetzt hatten sie die Hinterfront des Gutshauses vor sich, die sehr viel heiterer wirkte als die Vorderansicht. Hier gab es Balkone mit Kästen voll blühender Zinnien und, etwa auf gleicher Höhe mit dem Portal, eine breite, von einer knallgelben Markise beschattete

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