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André Coste wurde neben der Kirche begraben.

      Im Vercors hatte man die Republik ausgerufen. Für die deutschen Besatzer eine Provokation. Am 21. Juli 1944 schickten sie Gebirgsund Fallschirmjäger und einen Trupp aus einer Panzerdivision. Es waren keine Einheiten der SS, es waren Gruppen der Wehrmacht: die Gruppen Schwehr und Seeger, Zabel und Schäfer. Gruppe Schäfer waren die Fallschirmjäger, die, mit einem Ostbataillon als Verstärkung und dem SS-Mann Werner Knab, einem Juristen, die Dörfer Vassieux-en-Vercors, La-Chappelle-en-Vercors und zahlreiche Einzelgehöfte niederbrannten und über 70 Menschen aus dem Dorf Vassieux erschossen. Auch die gefangenen Widerstandskämpfer wurden erschossen, 639 von ihnen, und Zivilisten, insgesamt 201. Die anderen Widerstandskämpfer flohen in den unzugänglichen Wald. Die deutschen Soldaten entdeckten auch die Grotte de la Luire, eine Höhle, in der sich ein Lazarett befand. Sie ermordeten die 19 Verwundeten, die zwei Ärzte und den Priester. Zwei Krankenschwestern wurden in das KZ Ravensbrück verschleppt. Eine von ihnen konnte fliehen, Rosine Cremieux, später schrieb sie auf, was geschehen war.

      Monique half der Mutter in der Bäckerei. Ein paar Jahre ging sie zur Schule, dann erkrankte die Mutter, also ließ sie es wieder und half ihr aus. 1952 wurden die sterblichen Überreste von André nach Frankreich gebracht. An den Zug der Beerdigung erinnert Monique sich genau. Vorne liefen die Musiker, dann die Fahnenträger, dann die Familie und schließlich Marthe, die Mutter, ganz hinten, sie war eine katholische Frau. Später war Marthe einverstanden, als ihre Tochter sagte, sie wolle eine Ordensschwester sein. Die Großeltern Isabelle und Albert waren das nicht. Monique hat Isabelle das letzte Mal an dem Tag gesehen, als sie ihr sagte, dass sie ins Kloster gehe. Die Großmutter meinte, sie würde das Andenken des Vaters beschmutzen, packte sie am Oberarm und warf sie kurzerhand raus. Isabelle starb 1962, Albert 1979. Ihn hat Monique wiedergesehen, vier Monate vor seinem Tod. Sie hat ihr Schwesterngewand zu Hause gelassen und ging in Zivil. Nie hatte er auf ihre Anfragen reagiert. Jetzt sagte er: »Warum bist du nicht früher gekommen?«

      Monique wurde eine »Kleine Schwester Jesu«. Sie lebte 35 Jahre in Portugal, in einem armen Viertel von Lissabon mit afrikanischen Einwanderern, auf einem illegal besetzten Grund. Auf den Fotos, die sie zeigt, sieht man Hütten aus Blech und aus Stein, und lachende Männer zwischen den Ordensschwestern, die helfen, die Steine aufeinanderzuschichten. Zur Expo 1998 wurde ein großer Teil der Siedlung zerstört. Damit der internationale Besuch keine Armut sähe.

      Andrés Sohn Alain hat Spuren des Vaters gesucht, sein Leben lang. Er wurde Bäcker aus Leidenschaft. Und er hasst die Deutschen bis heute. Sein Sohn Christophe wollte auch Bäcker werden, doch er verunglückte mit dem Moped, tödlich, 17-jährig, am letzten Tag seiner Ausbildung. Alain sagte: »Ich habe nie mit meinem Vater gebacken und nie – als Bäckerkollege – mit meinem Sohn.« Er ging hin, ohne jemandem etwas zu sagen, und grub die Urne des Vaters aus. Er bettete sie noch einmal um, diesmal in das Grab seines Sohnes.

      2005 rief Alain seine Schwester an und sagte sehr laut in das Telefon, ob sie gewusst habe, dass es eine Halbschwester gäbe? Monique verneinte dies überrascht und Alain fuhr wutentbrannt zu den Onkeln, die es bestätigen mussten: Das ganze Dorf wusste es, die Familie, nur die beiden Geschwister nicht. Die erste Tochter von André, deren Mutter Marcelle im Kirchenchor in der Mitternachtsmesse gesungen hatte, hatte zwei Kinder bekommen: Line und Gilles. Line hat hartnäckig Stammbaumforschung betrieben und nachgefragt, bis sie die Spur gefunden hatte. Der Zufall half auch dabei, ein Zeitungsartikel über André. Die Geschwister telefonierten, sie trafen sich, erst zu zweit, dann zu dritt, man verstand sich auf Anhieb sehr gut. Monique begann zu verstehen, dass sie gar nicht die Älteste war, Alain begann zu verstehen, was seine Mutter getragen hatte, aber niemand konnte verstehen, warum der Vater beiden Töchtern denselben Namen gegeben hatte: Monique und Monique. Alain hatte nicht mehr nur eine Schwester, von dem Tag an hatte er zwei, zwei Moniques. Monique, die Ordensschwester geworden ist, überließ der Älteren ihren Namen. Sie nannte sich um in »Mónica«, so wie man in Portugal ihren Namen ausspricht: Mónica Coste.

      Das Treffen mit Mónica war in Paris, in einem Vorort von Paris, in Vitry-sur-Seine. Die Häuser sind dort nicht hoch, sie haben nur ein oder zwei Etagen, sie stehen für sich, Steinplatten bis zur Tür, etwas Garten. Auch die Läden in den Einkaufsstraßen sind klein. Es gibt Ahornbäume davor und Cafés, Farbe an den Wänden und Bilder: Graffitis, Kunst. Die Hauptstraßen des Ortes heißen »Avenue du Groupe Manouchian«, eine Partisanengruppe der Résistance, und »Rue des Fusillés«, die »Straße der Erschossenen«. Steigt man am Bahnhof des Ortes aus und läuft zu dem Haus der »Kleinen Schwestern«, passiert oder streift man die Straßen »Rue Gabriel Péri«, »Avenue Danielle Casanova« und »Avenue Guy Môquet«. Das sind Namen von Kommunistinnen und Kommunisten, die von den Nazis getötet wurden.

      Das Haus in Vitry-sur-Seine ist ein Treffpunkt der durchreisenden »Kleinen Schwestern«. Drei Frauen leben dort und beherbergen die, die auf dem Weg sind in andere Länder, zu anderen Gemeinschaften. Sechs Schwestern aus drei Kontinenten saßen am Tisch und jede von ihnen sprach mehrere Sprachen und hatte in entferntesten Orten gelebt. Es war kalt an dem Tag der Begegnung, aber die Sonne schien hell in das Zimmer. Es war Lichtmess, und zu Lichtmess gehen die Schwestern natürlich zur Kirche und im Anschluss daran essen sie Crêpes. Es wurde geplaudert und auch gelacht. Bis dann die Frage fiel: Warum der Besuch denn die Reise gemacht habe? Ja, überhaupt, was führte den Besuch von Deutschland so weit hierher?

      Mónica sprach über das Leben von André in einem sehr kleinen Zimmer unter der Dachschräge. Sie hatte Bleistiftnotizen auf etlichen Blättern Papier und Fotos. Es gab viel zu erzählen und sie hat sehr viel geweint. Am Abend und am nächsten Morgen liefen wir durch die eiskalte Luft zum Gemeindesaal einer Kirche. Die Messen wurden von drei verschiedenen Priestern gehalten, von einem schwarzen, einem gesichtsgelähmten und einem alten, beständig schmunzelnden. Der Raum, in dem sich die Schwestern zur Stille trafen, war mit Teppichen ausgelegt, die Schuhe blieben vor der Tür. Übernachtet habe ich in dem Zimmer, in dem der Kopierer stand und die Nähmaschine, unruhig war die Nacht und kurz, ich lag in einem Netz von Straßennamen und Sätze des Nachmittags flatterten um mich herum. Gefrühstückt wurde im Schweigen. Später brachte Mónica mich zum Bahnhof, zum Zug. Gut verstaut hatte ich das Geschenk: Eine Weltkarte, auf der Indonesien im Zentrum liegt und Europa rechts unten am Rand. Wir gingen den Aufgang hinauf, umarmten uns und standen unschlüssig da. Eine junge Frau sprang mit Anlauf über die Zugangssperre vom Gleis, in dem Moment, als Mónica sagte: »Und jetzt geh.«

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