Скачать книгу

im KZ Engerhafe nicht überlebt. 68 Polen, 47 Niederländer, 21 Letten, 17 Franzosen, neun Russen, acht Litauer, fünf Deutsche, vier Esten, drei Belgier, zwei Italiener, ein Slowene, ein Däne, ein Spanier, ein Tscheche. Die ersten zehn wurden in fünf Holzkisten beerdigt, die darauf Folgenden nur noch mit Dachpappe und Draht umwickelt und die Übrigen in Papiersäcken oder völlig nackt verscharrt. Die Ersten lagen einen Meter tief, die Letzten nur noch 40 Zentimeter. Anfangs schmückte ein deutscher Wachmann die Gräber, mit kleinen Holzkreuzen, die er selber angefertigt hatte. Das wurde ihm untersagt. Dann gab es auch keine einzelnen Gräber mehr, nur noch Massengräber. Zwei Tage nachdem der Letzte neben der Kirche verscharrt worden war, feierte Elli dort Weihnachten und der kleine Johann, ihr erster Sohn, hörte die Frage »Mensch, wo gehst du hin?«, die der Pfarrer mehrfach in die Kirche gerufen hatte, und rief genervt zurück: »Wo gehst du denn hin?« Die 2000 Häftlinge wurden zurück nach Neuengamme gebracht. Dort oder auf den »Todesmärschen«, zu denen sie am Ende des Krieges gezwungen wurden, um die KZs zu vertuschen, oder in der Ostsee auf den Dampfern Cap Arcona und Thielbek nahm man ihnen ihr Leben.

      Adolf Janssen kam doch noch zurück. Eine Verwundung rettete ihn. Elli und Adolf lebten mit Johann, Adolf und Auguste in Engerhafe und dann in Emden. Alle drei Kinder kehrten Ostfriesland später den Rücken zu. Elli blieb und Gräber blieben und Namen. Adolf Janssen starb am 9. Juli 1978 an Magenkrebs, Ellis Bruder Lüdde starb 1979, Minni 1988 und Anni 2001.

      2005 stand Elli 88-jährig, schief und mit Stock, mit ihrer Enkeltochter auf dem Friedhof in Engerhafe. Sie ging nicht mit hinein in die kleine Anlage, die mit Buchsbaum abgetrennt ist. In der Mitte war eine Hecke in Kreuzesform.

      Elli blieb draußen und schaute in den Abendhimmel. Die Enkelin las die Namen.

      Bertulis Veinsberg, Gerrit Paul Edzes, Chaiw Jorkelski, Anton Skuda, Raymond Hermel, Josef Nowak, Israel Kowalis, Jan Michalski, Konstantin Spirikow.

      Und Elli wartete.

      Turis Krimus, Juri Lüü, Johannes Murs, Antoni Klosinski, Henry Eppler Sørensen, Isaak Kukies, Ignatz Velionaks, Eugenjusz Dzerner, Hirsch Kagan.

      Und Elli sagte: Gib mir die Autoschlüssel, ich kann nicht mehr stehen.

      Eugenjusz Nowinski, Kārlis Helfers, Maks Mateski, Dirk Dorland, Saul Izer, Karls Lanowsnis, Albin Chmielewski.

      Und Elli nahm die Autoschlüssel.

      Und ging.

      Edward Gregorek, Cornelis van Drie, Stefan Szanawski, Badislaw Jenarcik, Roger Levy, Kazimierz Milczarek, Alphons Derknideren, Roman Wyganowski, Josef Ambroziak, Israel Meierowitsch, Peteris Avotnisch, Wladislaw Stepien, Akim Fiodorow, Tadeusz Blazejewski, Sebastien Kinberg, Andries Schipper, Wladislaw Capanda, Edward Prus, Daniel Weijs, Hendrik Olofsen, Augusts Sniedze, Janis Musikants, Witold Pyrek, Kasimir Kieszskowski, Johann van Wijngaarden, Tomasz Edward Gruca, Witold Jerzy Rzadkowski, Jerzy Dybowski, Jazeps Stankewitsch, Tadeusz Sassek, Henryk Godlewski, Arie Kiesling, Jacob Lodewijk Hamming, Marten de Vries, Janis Camans, Jaamis Kwiesis, Nicolas Boyard, Antonio Messarotti, Omer Marechal, Johannes Flapper, Siemions Valtins, Peter Josephus Vranken, Otto van Noggeren, Louis Raymond Bouchet, Lambertus Schuitema, André Albert Coste, Jozef Wozniak, Theo Stok, Feiwa Cosne, René Levij, Ladislaus Jasinski, Manuel Canto Guerrero, Leon Wojciechowski, Willem Petersen, Adrien Bessas, Heinrich Rieck, Josef Abramowitsch, Hendrik Vermeulen, Louis Marie L. Arband, Hendrikus Muldery, Elmars Stumbergs, Willem Klaassen, Lammert Wever, Josef Tewzak, Leon Kalaruch, Felix Wieclaw, Willem Heine, Rients Westra, Bronislaw Waleka, Edward Bogacki, Jan Elibert van der Helden, Israel Smorgonski, Rudolf Sejkora, Timofej Salij, Michel Malerzyty, Henryk Laszkiewics, David Koton, Solomon Kulkes, Owsicj Prusak, Vladislaus Vilecoskis, Sander de Beun, Witold Piotrowski, Fiodors Strogonows, Stanislaw Golaszewski, Dirk Zuidam, Georges Richemond, Peter Verbeek, Gustaaf Baccauw, Harald Cimsetis, Virgilis Carniel, Bronislaw Krol, Aart van Someren, Konstantin Kujawski, Janis Skutuls, Oscher Levin, Janusz Magierza, Geurt van Beek, Pansili Jurjew, Maarten ter Vrugte, Leendert Serier, Cornelius Bak, Louis André Guiot, Willem van de Pol, Adolf Sientniks, Nikolay Wlassow, Johann Dracht, Tadeusz Skrzypezak, Jan Wisniewski, Georges Charles Raillard, Theodors Baumanis, Mieczyslaw Tcharzewski, Matwey Sklas, Michel Kultis, Arwed Wikard, Ottis Witola, Michel Grange, Josef Lyakowski, Henryk Lukasik, Miecyslaw Lebroda, Frederik Kroeze, Henriyk Krysiek, Gustave Weppe, August Chlebek, Claas de Vries, Eduard Randberg, Leyba Brenner, Jakob de Graaf, Stanislaw Mastaleiz, Jan Skrzeczyna, Louis Vincent, Herbert Strobel, Cornelius de Roij, Roger Edmond Peres, Henricus Rutgers, Johannes Gortzak, Wladislaw Golaszewski, Bronislaw Miesiel, Aleksander Taraneks, Reijer Kleyer, Wladislaw Tchorek, Johann Meyboom, Jan Hoefmann, Roman Rulkowski, Eugeniusz Weijcmann, Ewald Neumann, Franc Sovdat, Jan Dawidowski, Jakob van Etten, Jan Klasztozny, Gijsbert van den Top, Adriane Mandel, Arkady Lardrow, Erich Siebert, Wladimir Dmytrow, Pieter van der Weij, Stanislaw Pietrzyk, Afanasi Dimitriew, Gerrit Hellendorn, Elgasz Chajes, Stanislaw Sawicki, Creslew Ochmann, René Godelier und Joseph Denoyette.1

      Neuengamme

      Neuengamme liegt am Ostrand der Stadt Hamburg an einem Nebenarm der Elbe. Der Zug braucht vom Hauptbahnhof bis Bergedorf zehn Minuten und von da ab fährt ein Bus. Er überquert eine Autobahnbrücke und dann beginnen die Wiesen, von Kanälen durchzogen, die unter einem weiten Himmel liegen, der hellblau ist heute, ohne Wolken.

      Der Bus passiert eine Flussbrücke und erreicht das Dorf, das beschaulich wirkt. Links und rechts alte Bauernhöfe, reetgedeckt, grüne Fensterläden, Jahreszahlen und Segenswünsche über den Türen. Gewächshäuser stehen in zweiter Reihe und der Bus überholt einen Traktor, der dafür rechts ranfahren muss. Hinter dem Dorf liegen Äcker, aufgebrochene Erde, grobe Schollen, und am Horizont stehen Windräder, fünf oder sechs an der Zahl, und nur das Windrad ganz rechts dreht sich langsam.

      Ich sitze allein im Bus und für einen Tag Anfang März ist es außergewöhnlich warm. Ich krempele die Ärmel des Pullovers hoch und dann sehe ich die langgezogenen Klinkergebäude am Ende des Feldes. Kälte kriecht mir den Rücken hinauf und packt im Nacken fest zu; noch nie habe ich die Gebäude eines ehemaligen KZs besucht. Der Bus biegt ab und hält, ich blicke geradeaus, die Fahrerin dreht sich um. Ob ich nicht zur Gedenkstätte wollte, fragt sie mich, sie hat die Sonnenbrille abgenommen und blickt mich misstrauisch an. Ich nicke, sie macht die Türen auf, ich greife den Rucksack und stehe draußen.

      Das Gelände ist groß. Zwei lange Gebäude stehen sich gegenüber und zwischen ihnen sind die einstigen Häftlingsblocks angedeutet: Aufgeschichtete Steine, handhoch, die von niedrigen Zäunen eingefasst sind. Es ist ein weiter Platz und es ist still. Ich setze mich auf eine Stufe, in der Ferne sind die Rufe einer Schar Kraniche zu hören, die Richtung Nordosten ziehen, sehr weit oben. Ein Übersichtsplan zeigt die Lage der ehemaligen Produktionsstätten der Zwangsarbeit: Klinkerwerk und Rüstungshallen, den Stichkanal und das Hafenbecken, dazu SS-Hauptwache und -garagen. Eingezeichnet sind auch die Fundamentreste des Arrestbunkers, ein Mahnmal und das Haus des Gedenkens.

      Ich laufe über den Platz, betrete ein Klinkergebäude, »Ehemaliger Waschraum«, steht auf dem Schild an der ersten Tür, der Gang ist lang und alle Fenster stehen weit auf, ein Sommertag mitten im März, ich bin die einzige Besucherin heute. »Da lang«, sagt der Mann im Eingangsbereich und streckt müde einen Arm in eine Richtung aus. Ich laufe an nachgebauten Stockbetten vorbei, an gestreifter Häftlingskleidung und an Bildern, die Szenen des Lageralltags zeigen, die Inhaftierte gemalt haben. Auf großen Stoffbahnen sind Zitate aus Briefen oder Interviews von ehemaligen Häftlingen zu lesen: »Harret die Weile noch aus, bald ist der Kreis wieder rund und der Mensch wieder gut«, zitiert Reinhold Meyer, ein Mitglied des Hamburger Zweigs der »Weißen Rose«, in seinem letzten Brief den Dichter Martin Beheim-Schwarzbach. Auf Tischen liegen kleine rote Ordner, die Einzelbiografien erzählen, lachende und ernste Gesichter schauen von den Umschlagdeckeln. Die Wände der Räume sind weiß, der Boden beige und die Fenster sind ebenso weiß. Ich überfliege die Bilder und Zahlen, auf großen Plakaten wird die Geschichte des Lagers erzählt.

      Das KZ wurde 1938 als Außenlager des KZs Sachsenhausen errichtet, 1940 wurde es eigenständig. Das SS-Unternehmen Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH kaufte das 50 Hektar große Gelände mit der stillgelegten Ziegelei der Stadt Hamburg ab und die Stadt unterschrieb einen Vertrag über 20 Millionen Ziegel im Jahr für neue Prachtbauten am Ufer der Elbe.

      1938

Скачать книгу