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und sie dringe unbedingt darauf, dass Elschen den viel sicheren Herrn Hinrichsen nehme.

      Elschen aber erwiderte, das tue sie nie und nimmer, und wandte sich mit einem leidenschaftlichen Apell an den Vater. Der gute alte Buchbindermeister äugelte misstrauisch zu seiner Gattin herüber. Die sagte gewöhnlich in solchen Fällen nur: „Untersteh dich!“ Dabei zog sie das „U“ in die Länge wie eine Vierverbandsnote über Menschen und Völkerrechte — und Martin Knesebeck hatte nicht Unrecht, wenn er diese Bemerkung Frau Ohnesorg die „U-bootandrohung der Ollen“ nannte.

      Also Vater Ohnesorg hatte jedenfalls keine Traute, es auf diesen rücksichtslosen U-Boot-Krieg ankommen zu lassen, denn er machte einige Bemerkungen mit wenn und aber und siehmal, um sich schliesslich eine Zigarre anzuzünden und das Plädoyer seiner Gattin zu überlassen.

      Aber Elschen liess sich nicht überzeugen. Die Stimmung im Hause Ohnesorg wurde im Laufe des nächsten Tages immer weniger rosig. Frau Ohnesorg wollte Elschens Einwendungen nicht gelten lassen.

      „Mit der Liebe ist es wie mit den „Ententerichten“ sagte sie. „Da wird alles versprochen und nichts gehalten!“ Aber Elschen erwiderte, die Politik habe mit der Liebe nichts zu tun, und sie jedenfalls lasse sich in ihrer Bündnispflicht nicht irre machen, denn sie sei keine Ententeriche, sondern eine Deutsche. So gingen die Reden im Hause Ohnesorg hin und her. Der gute Buchbindermeister wurde zerstreut und band ein Werk über die vegetarische Ernährung Deutschlands in Schweinsleder, wofür er nichts bezahlt bekam.

      Elschen aber ging mit betrübten Sinnen umher. Eines Tages hörte sie mitten auf der Strasse, im argen Schneetreiben ihren Namen nennen. Sie sah sich um — nichts. Sie guckte in die Luft, dass ihr die weissen Flocken ins Stumpfnäschen stiebten — da erblickte sie einen Bollewagen, der dicht am Rande des Bürgersteiges hielt. Eine flotte Kutscherin in blauer Schürze kletterte eben behend von dem hohen Bock und begann lachend den umherstehenden Frauen aus dem viereckigen Wagen Milch zu schenken, und die Milchkarten einzuheimsen, wobei es nicht immer ohne kleine Meinungsverschiedenheiten abging. Eine Kundin meinte, ob denn die Bollekühe endlich mehr Milch zu geben gesonnen seien, und ob sie nicht auch mal Vollmilch von sich geben könnten, statt immerzu Magermilch. Worauf die Kutscherin erklärte, die Kühe richteten sich nach den Verordnungen des Magistrats, nur die Ochsen sähen nicht ein, dass das grösstenteils zu Nutz und Frommen der Bürger wäre — worauf sich die Kritikerin unter dem Gelächter der übrigen Hausfrauen entfernte. Minna, die Bollekutscherin, wandte sich Elschen zu, das noch mit weitaufgerissenen Augen dastand und zusah.

      „Was hast du für ein Organ bekommen!“ stiess Elschen endlich heraus, worauf die Freundin erklärte, das bringe die Selbständigkeit mit sich. Man müsse schon mal ’ne Lippe riskieren, wenn man die Männer ersetze. Ein Wort gab das andere. Die Bollekutscherin sagte, jetzt sei eine Zeit, in der es für die Frauen Wichtigeres zu tun gäbe, als nur Strümpfe zu stopfen, und im übrigen „Selbst sei das Weib“.

      Elschen klagte Minna ihr Leid, dass sie den Hinrichsen nehmen solle, der „d. u.“ und frei von Überraschungen sei, worauf die von Bolle sagte, das sei Völkerrechtsbruch und die deutsche Frau hätte ihre Rechte auf die Zukunft, und die dürfte nicht im Wasser liegen, sonst sei es Essig. Elschen sollte einfach aufhören, den Eltern auf der Tasche zu liegen, die Zeit sei eine andere als vor etlichen Jahren noch, und es gelte, sich nützlich zu machen, dann habe man auch ein entsprechendes Selbstbestimmungsrecht.

      „Geh doch zur Elektrischen! Zivildienst!“ Das waren die letzten Worte, dann stieg die von Bolle auf ihren Kutscherbock, winkte noch mit der Peitsche, riss den Gaul herum, als hätte sie im Leben nie einen anderen Reisser gemacht und fuhr durch das Schneegestöber weg.

      In Elschens Herzen aber ging die Sonne auf.

      Zivildienst!

      Ach, sie kam sich so überflüssig vor, seit Martin fort war. Für einen beurlaubten Krieger, der aus dem Schützengraben kam, zu sorgen, das war doch schliesslich ein Beruf und ein Zweck. Und wenn sie Martin Knesebecks Frau hätte sein können — Gott doch, das konnte man auch eine Bestimmung nennen. Aber nun!

      Sie hatte so ein unbändiges Verlangen, nützlich zu sein auch das Ihre beizutragen in dieser gewaltigen, waffenklirrenden Zeit, einmal sagen zu können: Auch ich habe das Meine getan, dass wir damals durchhielten, als sich die Welt gegen uns beschwor und sogar der letzte Zulukaffer und Hottentotte von England als Kämpfer für die Freiheit der Menschheit aus seinem schmutzigen Lehmwinkel geholt wurde.

      Der Rat der Freundin liess sie nicht mehr schlafen, und ohne sich mit den Eltern lange auseinander zu setzen, meldete sie sich eines schönen Tages zur „Elektrischen“ und wurde nach ärztlicher Untersuchung für tauglich befunden.

      Nun stellte sie ihre Eltern vor die vollendete Tatsache. Und da die alte Ohnesorg eben nur ihr eigenes Blut erkannte, das da rebellisch wurde und nicht untätig sein konnte, so gab sie ihren Segen, und Vater Ohnesorg küsste sein Elschen und bat sie, doch bloss nicht unter die Räder zu kommen, denn das sei jetzt am naheliegendsten.

      Elschen also machte ihre Lehrzeit durch und eines schönes Tages ihre Probefahrt. Angetan mit der Ledertasche und dem Knipser fuhr sie in Begleitung eines gelernten Beamten durch die Stadt, und Frau Ohnesorg schleppte ihren Gatten zehnmal auf der gleichen Linie durch die Nummer 16 der Elektrischen, damit sie ihr Elschen als Zivildienstlerin sehen konnte.

      Es ging alles gut. Am nächsten Tag hatte die Sache schon den Reiz des Ungewöhnlichen verloren, und Elschen tat ihren Dienst, als habe sie nie etwas anderes gemacht. Sie rief die Strassen aus und half den Fahrgästen beim An - und Aussteigen, sie hob, wenn der Wagen überfüllt war, mit der Würde eines Feldherrn den Arm und rief:

      „Besetzt.“ Und sie sagte denen, die keine amtliche Überlegenheit anerkennen wollten, mit einem Temperament ihre Meinung und stellte sich dabei in Positur, dass man meinen konnte, sie habe die Schlacht in Masuren gewonnen. Ihr Stumpfnäschen stieg dann noch etwas höher in die blaue Luft, und die Herren guckten dieses Näschen an, ein Genuss, für den sie nichts zu bezahlen brauchten. Indessen wusste Herr Hinrichsen nichts von dem, was sich zugetragen.

      Zu sehr mit seinem Fettherzen beschäftigt, hatte er für die grösseren Ereignisse augenblicklich keine Zeit. Denn da er sich die Heirat mit Elschen nicht aus dem Kopfe schlagen wollte, so hielt er es — schon der Rassenhygiene wegen — für seine Pflicht — zunächst zu einem Professor zu gehen und sich eine Diagnose über sein Fettherz zu holen. Daran sollte sich ein Gesundungsaufenthalt in einem Sanatorium schliessen, fern der Grossstadt, und dann wollte Herr Hinrichsen in den Zivildienst treten. Geschmückt mit diesem neuen Beruf und womöglich dem Kreuz für Zivildienste wollte er seine Werbung erneuern, und wenn dann immer noch kein Erfolg blühte, dann — nun doch, dann stand die Welt einfach Kopp!

      Also Herr Hinrichsen kam zu Professor Heinemann. Der war siebzehn Monate draussen im Felde gewesen, hatte schwer Verwundete behandelt und war noch erfüllt von all dem Jammer und Leid, das er gesehen, aber auch von dem Heroismus der Feldgrauen, von der tapferen, zähen Energie, dem Heldenmut all derer, die durchhielten und wenn gleich wochenlang der Himmel Feuer und Eisen spie.

      „Wo fehlts?“ fragte er seinen neuen Patienten kurz, der mit einem Bückling — aber keinem zu zwei Mark, sondern einem, der gratis war — eintrat. Er schloss die Stores, denn draussen stiebte noch immer der Schnee und wuchs in den Strassen.

      „Fettherz, Herr Professor. Rheuma, Atembeschwerden, Müdigkeit, Unlust zu allem, trockener Hals, Kurzsichtigkeit und so weiter.“

      „Schön, ziehen Sie sich aus!“

      Professor Heinemann untersuchte seinen Patienten, stellte Fettherz fest, fand, dass die Sache gar nicht so schlimm sei und Patient durch sitzende Lebensweise an sich selber sündigte.

      „Haben Sie einen Beruf?“

      „Früher, ja, in Trikot, jetzt nicht mehr.“

      „Hm!“

      „Ich muss wohl nach Karlsbad, Herr Professor?“

      Professor Heinemann schob die Unterlippe spöttisch vor.

      „Karlsbad? Aber wer wird sich denn in heutiger Zeit so ne Bagatelle so teuer machen!

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