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Christuslegenden. Selma Lagerlöf
Читать онлайн.Название Christuslegenden
Год выпуска 0
isbn 9783849659196
Автор произведения Selma Lagerlöf
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Als Großmutter da angekommen war, unterbrach ich sie wieder. "Großmutter, warum hat der Stab den Mann nicht getroffen?" Großmutter machte sich nicht die Mühe, mir zu antworten, sondern setzte ihre Geschichte fort.
"Dann ging der Mann zum Hirten und sagte zu ihm: 'Guter Mann, hilf mir und leih mir ein wenig Feuer! Meine Frau hat gerade ein Kind zur Welt gebracht, und ich muss ein Feuer machen, um ihr und dem Kleinen Wärme zu spenden.'
"Der Hirte hätte am liebsten 'Nein' gesagt, aber als er so darüber nachdachte, dass die Hunde den Mann nicht verletzen konnten, die Schafe nicht vor ihm davongelaufen waren und der Stab ihn verfehlt hat, bekam er ein wenig Angst und wagte es nicht, ihm das zu verweigern, worum er ihn bat.
"'Nimm so viel, wie du brauchst!", sagte er zu dem Mann.
"Aber da war das Feuer fast erloschen. Es waren keine Holzscheite oder Äste mehr darin, nur ein großer Haufen glühender Kohlen, und der Fremde hatte weder Spaten noch Schaufeln, womit er diese hätte wegtragen können.
"Als der Hirte das sah, sagte er noch einmal: 'Nimm so viel, wie du brauchst!' Und er war froh, dass es dem Mann nicht gelingen würde, Kohlen mitzunehmen.
"Aber der Mann bückte sich, nahm mit bloßen Händen Kohlen aus der Asche und legte sie in seinen Mantel. Weder verbrannte er sich die Hände, als er sie berührte, noch verbrannten die Kohlen seinen Mantel; er trug sie weg, als wären sie Nüsse oder Äpfel gewesen."
Aber da wurde die Geschichtenerzählerin zum dritten Mal unterbrochen. "Oma, warum verbrannten die Kohlen den Mann nicht?"
"Das wirst du gleich hören", sagte Großmutter und fuhr fort:
"Als der Hirte, der so ein grausamer und hartherziger Mensch war, all das sah, begann er sich zu fragen: 'Was für eine Nacht ist das, in der die Hunde nicht beißen, die Schafe keine Angst haben, der Stab nicht trifft und Feuer verbrennt?" Er rief den Fremden zurück und sprach zu ihm: 'Was für eine Nacht ist das? Und wie kommt es, dass alle Dinge dir gegenüber so teilnahmsvoll sind?'
"Da sagte der Mann: 'Ich kann es dir nicht sagen, wenn du es selbst nicht siehst.' Er wollte seines Weges gehen, damit er bald ein Feuer machen und seine Frau und sein Kind sich wärmen konnten.
"Aber der Hirte wollte den Mann nicht aus den Augen verlieren, bevor er herausgefunden hatte, was das alles zu bedeuten hatte. Er stand auf und folgte dem Mann, bis sie an den Ort kamen, an dem er lebte.
"Da sah der Hirte, dass der Mann nicht mal eine Hütte hatte, in der er leben konnte, sondern dass seine Frau und sein Baby in einer Berggrotte lagen, wo es nichts als kalte, nackte Steinmauern gab.
"Der Hirte dachte, dass das arme, unschuldige Kind vielleicht in der Grotte erfrieren könnte; und obwohl er so ein hartherziger Mann war, berührte ihn dieser Anblick und er überlegte, dass er ihnen helfen musste. Er löste seinen Rucksack von der Schulter, nahm daraus ein weiches, weißes Schaffell, gab es dem Fremden und sagte, er solle das Kind darauf schlafen lassen.
"Und sobald er offenbarte, dass auch er barmherzig sein konnte, wurden seine Augen geöffnet, und er sah, was er vorher nicht sehen konnte, und hörte, was er vorher nicht hören konnte.
"Er sah, dass rings um ihn herum ein Kreis aus kleinen, silbernen Engeln stand, von denen jeder ein Streichinstrument in der Hand hielt, und alle in lauten Tönen davon sangen, dass in dieser Nacht der Erlöser geboren wurde, der die Welt von ihren Sünden befreien würde.
"Da verstand er, warum in dieser Nacht alle Dinge so glücklich waren, dass sie nichts falsch machen wollten.
"Und nicht nur um den Hirten herum standen Engel, er sah sie überall. Sie saßen in der Grotte, draußen auf dem Berg, und sie flogen am Himmel. Sie kamen in großen Gruppen, und als sie an ihnen vorbeigingen, hielten sie inne und warfen einen Blick auf das Kind.
"Da war ein solcher Jubel und solche Freude, Gesang und Frohlocken! All das sah er nun in der dunklen Nacht, während er vorher nichts erkennen konnte. Er war so glücklich, dass ihm seine Augen geöffnet worden waren, dass er auf die Knie fiel und Gott dankte."
Hier seufzte die Großmutter und sagte: "Was dieser Hirte sah, könnten auch wir sehen, denn die Engel fliegen an jedem Heiligabend vom Himmel herab. Ach, wenn wir sie nur sehen könnten."
Da legte Großmutter ihre Hand auf meinen Kopf und sagte: "Du musst dich daran erinnern, denn diese Geschichte ist wahr, so wahr, wie ich dich sehe und du mich siehst. Und diese Wahrheit wird nicht erst durch das Licht von Lampen oder Kerzen enthüllt, und sie ist nicht auf Sonne oder Mond angewiesen; das einzig Wichtige ist, dass wir unsere Augen öffnen und die Herrlichkeit Gottes sehen können."
DIE VISION DES KAISERS
Es geschah zu der Zeit, als Augustus Kaiser in Rom und Herodes König in Jerusalem war.
Damals legte sich eine sehr dunkle und heilige Nacht über die Erde. Es war die dunkelste Nacht, die man je gesehen hatte. Man hätte meinen können, dass die ganze Erde in ein Kellergewölbe gefallen war. Es war unmöglich, Wasser und Land zu unterscheiden, und man konnte sich nicht mal mehr auf einer gut bekannten Straße zurechtfinden. Und es konnte ja auch nicht anders sein, denn kein Lichtstrahl fiel vom Himmel. Alle Sterne blieben versteckt in ihren eigenen Häusern, und selbst der schöne Mond hatte sein Gesicht abgewandt.
Die Stille und das Schweigen waren so tief wie die Dunkelheit. Die Flüsse standen still, der Wind rührte sich nicht mehr, und selbst die Espenblätter hatten aufgehört zu zittern. Wäre jemand am Ufer des Meeres entlang gelaufen, hätte er festgestellt, dass sich die Wellen nicht mehr auf dem Sand brachen; und wäre einer in der Wüste gewandert, hätte der Sand nicht unter den Füßen geknirscht. Alles war so bewegungslos, als wäre es in Stein gehauen, um ja die Heilige Nacht nicht zu stören. Das Gras hatte Angst zu wachsen, der Tau wollte nicht mehr fallen, und auch die Blumen wagten es nicht, ihren Duft zu verströmen.
In dieser Nacht suchten die wilden Tiere nicht nach Beute, die Schlangen bissen nicht, und die Hunde bellten nicht. Und was noch herrlicher war, selbst unbelebte Dinge waren nicht bereit, die Heiligkeit der Nacht zu stören, indem man sie für eine böse Tat benutzt hätte. Kein nachgemachter Schlüssel wollte ein Schloss knacken, und kein Messer hätte seinem Opfer auch nur einen Tropfen Blut gekostet.
In Rom verließ in genau jener Nacht eine kleine Gruppe von Menschen den Kaiserpalast auf dem Palatin und nahm den Weg über das Forum, der zum Kapitol führte. Während des gerade zu Ende gegangenen Tages hatten die Senatoren den Kaiser gefragt, ob er Einwände gegen die Errichtung eines ihm geweihten Tempels auf Roms heiligem Hügel hätte. Aber Augustus hatte seine Zustimmung nicht sofort gegeben. Er wusste nicht, ob es den Göttern recht sein würde, wenn sein Tempel neben ihrem stünde, und er hatte geantwortet, dass er zuerst ihren Willen in dieser Angelegenheit feststellen wollte, indem er ihnen ein nächtliches Opfer darbrachte. Er war es, der in Begleitung einiger vertrauter Freunde auf dem Weg war, dieses Opfer zu erbringen.
Augustus ließ sich von ihnen in seiner Sänfte tragen, denn er war alt, und es war beschwerlich für ihn, die lange Treppe zum Kapitol hinaufzusteigen. Er selbst hielt den Käfig mit den Tauben, die als Opfer dienen sollten. Keine Priester, Soldaten oder Senatoren begleiteten ihn, nur seine engsten Freunde. Fackelträger gingen vor ihm her, um den Weg in der Dunkelheit zu erhellen, und hinter ihm folgten die Sklaven, die das Dreibein, die Messer, die Holzkohle, das heilige Feuer und all die anderen Dinge trugen, die für das Opfer notwendig waren.
Unterwegs unterhielt sich der Kaiser fröhlich mit seinen treuen Anhängern, und so bemerkte keiner von ihnen die unendliche Stille und Ruhe der Nacht. Erst als sie den höchsten Punkt des Kapitols und die freie Stelle erreicht hatten, die