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Als er dann aber im Freien war, blieb er unbeweglich stehen. Seine Nüstern blähten sich, die feinen Ohren spielten.

      Ich wartete. Er rührte sich nicht, aber ich sah, wie tief er die Luft einatmete, wie sich seine Nüstern immer stärker weiteten. Dann durchschnitt ein helles Wiehern die Stille. Als Antwort erklang kurzes Schnauben, und gleich darauf kamen ein paar Jungpferde mit leuchtenden Augen von der Wiese hinter dem Stall herangaloppiert. Wieder stieß Silber ein Wiehern aus, heftiger als vorhin, und dann begann er im Kreis um mich herumzutanzen. Ich schlug ihm den Halfterriemen über die Nase, denn eines wußte ich: wenn Silber aus Begeisterung stieg, konnte ich ihn kaum am Halfter halten.

      Da hörte ich oben am Haus eine Türe zuschlagen. Auf dem Kiesweg erklangen Schritte.

      „Du kannst dein Pferd schon mal in den Stall stellen“, vernahm ich eine Stimme. „Stell es nur in irgendeine der Boxen. Im Augenblick sind alle leer.“

      Ich drehte mich um – gerade gelang es mir noch, meine Zehen vor Silbers Hufen zu retten – und stand vor Lasses Bruder.

      „Ich bin Göran“, sagte er und schüttelte mir die Hand. Dann lachte er breit und fröhlich, und dabei sah er Lasse ein wenig ähnlich. „Willkommen!“ Er war viel älter als Lasse, hatte helles Haar und war etwas kleiner. Er trug Jeans und ein buntes Hemd. Sein Gesicht wirkte offen und ehrlich. Sicher lachte er gern. „Das ist ja ein munterer Kerl, den du da mitgebracht hast!“ Göran pfiff anerkennend und öffnete mir die Stalltüre. Der Stall war riesengroß und sehr eigenartig. Die meisten modernen Ställe sind ja langweilig: Sie haben in der Mitte einen breiten Gang und zu beiden Seiten Boxen. Dieser Stall aber hatte vier große, solid gebaute Verschläge an der Stirnseite des Ganges, für die Ardenner-Pferde. Man merkte genau, daß dieser Teil noch zu dem alten Stallgebäude gehörte.

      Ich erkannte es an den alten, zerbissenen Krippen, auch war der Boden stark abgenützt und hatte kleine Schabgruben. Die Wände der Verschläge hatten bestimmt auch schon allerhand erlebt, kurzum, hier sah es wie in einem normalen gemütlichen alten Stall aus.

      In der Mitte des jetzigen Stalles – wo früher die Laufställe für die Kälber gewesen sein mochten – gab es jetzt zwei Reihen Boxen für die Jungpferde. Auf der linken Seite, ein wenig abgesondert, große, geräumige Fohlenverschläge. Es war ein wunderbar angelegter Stall, und ich führte Silber in einen gemütlichen Verschlag, wo sogar ein Wassereimer stand und viel sauberes Heu in der Krippe lag. Silber begann auch sofort nach ein paar Halmen zu schnappen. Göran erklärte mir gleich, wo ich immer frisches Heu finden konnte, und versicherte mir, daß ich soviel davon nehmen dürfte, wie ich wollte. Und mein kleiner Freßsack Silber kaute und kaute und schien in diesem Erdenleben keinen Kummer zu haben. Zwischendurch steckte er sein Maul immer wieder in den Wassereimer und trank zufrieden.

      Jetzt schaute Göran auf seine Uhr. „Komm“, bat er, „Karin hat sicher das Abendessen längst fertig. Und wenn Frauen mit dem Essen warten müssen, werden sie lebensgefährlich! Wir müssen uns wirklich beeilen!“ Er lachte, während er dies sagte.

      Ich stellte mir nun unter dieser Karin etwas Großes, Dickes und Mächtiges vor. Es zeigte sich aber, daß Görans Frau klein, zierlich und hellblond war und höchstens fünfundzwanzig Jahre alt.

      Nach dem Essen zeigte sie mir mein Zimmer. Es lag im Oberstock. Ein gemütlicher Raum mit einem runden Kachelofen, der bis zur Decke reichte, und einem Webteppich auf dem hellen Bretterboden. An den Fenstern hingen handgewebte Gardinen. Das Zimmer wirkte anheimelnd und strahlte Ruhe aus.

      Langsam packte ich meine Sachen aus. Die vergrößerte Fotografie von Silber hängte ich an die Wand über meinem Bett.

      Ehe ich einschlief, stand ich noch lange am Fenster und schaute über den Hofplatz, über den kleinen Hang bis zu den Stallungen. Ich sah zwei Jungpferde langsam über die Wiese gehen und da und dort an dem grünen, schon nachtfeuchten Gras kauen. Und ich dachte an Silber, der drüben im Stall stand.

      Dann kroch ich mit einem Seufzer tiefster Zufriedenheit ins Bett und schlief augenblicklich ein.

      Brittas erster Tag auf dem Gut

      Ich wurde durch einen echten Gaunerpfiff unterhalb meines Fensters geweckt. Noch ganz verschlafen, setzte ich mich im Bett auf. Mein Zimmer war voller Sonnenschein. Ich wußte aber zuerst nicht, wo ich mich eigentlich befand. Das glänzende runde Messingtürchen des Kachelofens blinkte in der Morgensonne und verteilte die Sonnenstrahlen im ganzen Zimmer, und das helle Licht tat meinen Augen weh. Da ich nicht unbedingt ein „Morgenmensch“ bin, dauerte es eine Weile, bis mir alles klar wurde. Natürlich! Gestern fuhr ich etwa dreihundert Kilometer mit Silber im Transportwagen, und heute sollte mein herrlicher, arbeitsreicher „Pferde-Sommer“ beginnen.

      Wieder drang ein greller Pfiff zu mir herauf, diesmal klang er schon ungeduldiger. Ich lief über den sonnenwarmen Teppich zum Fenster und öffnete die Fensterflügel weit. Frische Morgenluft wehte mir entgegen und machte mich blitzartig hellwach.

      „Hej, du! Ich dachte schon, du bist überhaupt nicht mehr wach zu kriegen!“

      Ich blickte hinunter zu einem Mädchen mit nahezu rabenschwarzem Haar und braunen, leuchtenden Augen. Sie saß ohne Sattel auf einem unglaublich dicken Pony von völlig unbestimmbarer Farbe, so etwa wie Vanillesoße mit hellem Schokoladeüberguß.

      „Göran sagte, ich solle heute vormittag mit dir ausreiten und dir unsere Pferde zeigen …“

      „Vormittag!“ rief ich aus dem Fenster zu ihr hinunter und unterdrückte ein Gähnen. „Sagte er wirklich Vormittag – oder meinte er halb sieben morgens? Hör mal! Es ist ja beinahe noch Nacht! Wird man hier immer mit einem Gaunerpfiff geweckt?“

      „Die beste Methode!“ erklärte sie ganz ernsthaft. „Wenn ich pfeife, kann keiner mehr schlafen.“

      „Ich glaube dir aufs Wort“, sagte ich mit einem Seufzer. Inzwischen hatte sie ihr fettes Pony schon gewendet und fragte: „Kommst du nun eigentlich herunter?“

      „Ich komme!“ rief ich ihr zu und war plötzlich strahlender Laune. Ein Morgenritt zu allen Pferdekoppeln, konnte man einen Tag schöner beginnen? Ich schlüpfte in eine alte, verwaschene Hose und zog eine Bluse und einen Pulli an. Dann rannte ich die Treppen hinunter und auf den Hof hinaus. In der Küche war Karin schon dabei, das Frühstück zu bereiten. Ich solle in einer Viertelstunde zu Tisch kommen, rief sie mir zu, als ich an ihrem Fenster vorbeirannte.

      „Ja gerne“, versprach ich. „Ich will nur einmal nach Silber sehen!“

      Draußen graste das dicke Pony gemütlich, das Mädchen stand neben ihm und hielt es am Zügel. Es schien, als gehöre dieses Mädchen auf den Hof. Ich wußte aber, daß es nicht im Hause wohnte, also war ich recht neugierig, zu erfahren, wer es eigentlich war.

      „Du!“ rief ich ihr zu und ging weiter zum Stall. „Ich muß zuerst noch frühstücken.“

      „Fein!“ Sie schien zufrieden zu sein. „Dann stelle ich Bella so lange in den Stall. Ich habe auch noch nichts im Magen.“

      Beim Offnen der Stalltüre pfiff ich ganz leise, und schon erklang von der nahe gelegenen Box ein Wiehern zur Begrüßung, und Silber hob seinen hellgrauen Kopf über die niedere Türe des Verschlages. Seit ich mein Pony besitze, war diese Morgenbegrüßung zwischen uns üblich, und jedesmal habe ich mich gefreut, sein leises Wiehern zu hören.

      „Ich heiße Titti“, sagte das Mädchen plötzlich neben mir. Sie Öffnete die Türe der Box neben Silber und stellte ihr dickes Pony hinein, das aber gar nicht begeistert darüber war. Es drehte Silber sofort sein Hinterteil zu und bearbeitete die Wände des Verschlages wild und zornig mit den kleinen Hufen seiner Hinterbeine.

      „Und Bella“, redete Titti weiter, „heißt eigentlich Isabella. Ich habe sie von Göran geschenkt bekommen, also darf er nicht viel sagen, wenn ich den ganzen Tag reite. Freilich meint er, ich könne auch etwas Nützliches tun, nämlich mit dir zu den Weideplätzen reiten und dir die Pferde zeigen. Ich finde es ja ganz prima, daß du zu uns gekommen bist, denn ich hatte nie jemanden, der mit mir ausritt, und es ist langweilig, immer allein zu reiten

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