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zu bevorzugen und Frauen zu benachteiligen –, die strukturelle patriarchale Bedingungen (re-)produzieren. Durch gesellschaftliche Vorstellungen und die tägliche (Re)Produktion von Geschlechterstereotypen, eingebettet in eine patriarchale Gesellschaft, wird männliches Verhalten, das dazu dient, Ambivalenzen und Unsicherheiten auszuhalten und zu kompensieren und von den mit Männlichkeit einhergehenden Privilegien zu profitieren, toxisch.

      Simmel (1985, S. 201 in Döge/Meuser 2001, S. 11 f.) bringt es auf den Punkt: Er verweist auf den Zusammenhang zwischen Herren und Sklaven in Bezug auf Geschlechterverhältnisse. Es gehört „zu den Privilegien des Herrn, dass er nicht immer daran zu denken braucht, dass er Herr ist, während die Position des Sklaven dafür sorgt, dass er seine Position nie vergisst.“

      Da toxische Männlichkeit Denk- und Verhaltensmuster von Männern negativ prägt und einen enormen gesellschaftlichen Schaden anrichtet, wird dringend eine psychologische und therapeutische Auseinandersetzung mit dem Thema benötigt. In den USA veröffentlichte im Jahr 2018 der nordamerikanische Psychologenverband „American Psychological Association“ (APA) erste Richtlinien für die Auseinandersetzung mit problematischen männlichen Geschlechterstereotypen (vgl. APA 2018). „Die Psychologen warnen darin: ‚Beschränkte Vorstellungen von Männlichkeit, die Aggressivität, Homophobie und Frauenfeindlichkeit betonen, können Jungs dazu veranlassen, einen Großteil ihrer Energie in schädliches Verhalten umzulenken, wie Mobbing, Spott gegenüber Homosexuellen oder sexuelle Belästigung – und nicht in gesunde schulische und außerschulische Aktivitäten.‘ Männlichkeit sei dann schädlich, so die Psychologen, wenn sie die eigene Stärke überhöht, Frauen und andere Männer, die nicht den Rollenklischees entsprechen, hingegen abwertet. Die Geschlechterforschung hat dafür den Begriff ‚toxische Männlichkeit‘ geprägt, was letztlich meint, dass die Art und Weise, wie Männlichkeit definiert und ausgelebt wird, allen schadet: Frauen, der Gesellschaft – aber vor allem auch Männern selbst. Männlich zu sein heißt in diesem Weltbild: keine Schwäche zeigen, Emotionen im Griff haben. Wut ist erlaubt, Fürsorge und Verletzlichkeit haben wenig Platz, stattdessen muss Männlichkeit immer wieder neu unter Beweis gestellt werden, körperlich und geistig, im ewigen Kräftemessen des Leistungskapitalismus – im Job wie im Privaten. Ein Mann muss risikobereit sein, mutig und stark.“ (Dörr 2019)

      Robert Connell (vgl. 2000, S. 98) hat das Verhalten von Männern gegenüber anderen in vier Kategorien eingeteilt: Hegemonie (Männer, die Zugang zur patriarchalen Macht besitzen – dies sind in der Regel weiße heterosexuelle Männer), Unterordnung (Männer, die die hegemoniale Männlichkeit untergraben könnten, wie Männer mit vermeintlich weiblichen Eigenschaften oder homosexuelle Männer), Komplizenschaft (Männer, auch wenn sie nicht der aktuellen Norm männlicher Vorstellung entsprechen, profitieren von der patriarchalen Dividende – sie gehen aber daraus resultierend teilweise Kompromisse mit Frauen ein) sowie Marginalisierung (Männer, die zwar vom Patriarchat profitieren, selber aber auch Diskriminierungen beispielsweise aufgrund ihrer Hautfarbe erleben (Schwarze Menschen/People of Color).

       Der Begriff „Toxische Männlichkeit“

      Der Begriff, der heute in feministischen und soziologischen wie psychologischen Kontexten Bestandteil akademischer Auseinandersetzungen bezüglich geschlechterspezifischen Verhaltens und Gewalt ist, hat seine Idee in der mythopoetischen Männerbewegung der 1980er- und 1990er-Jahre. Terry A. Kupers führte den Begriff der toxischen Männlichkeit in einem an TherapeutInnen und PsychologInnen gerichteten Aufsatz ein, um die problematischen Verhaltensweisen von Männern im System von Gefängnissen zu benennen (vgl. Kupers 2005, S. 713 – 724).

      Der Begriff toxisch kommt aus dem Englischen und bedeutet giftig. „Toxische Männlichkeit“ beschreibt also eine „giftige Männlichkeit“. Giftig impliziert hierbei, dass Männlichkeit für andere, aber auch für den Mann selbst giftig ist. Schädliches und tödliches Gift ist per se nicht Teil des Menschen/des Mannes (oder der gesellschaftlichen Strukturen), es entsteht durch männliche Sozialisation und durch patriarchale Strukturen – und kann ausschließlich durch aktives Handeln abgebaut werden, da das Gift der Sozialisation und der patriarchalen Strukturen permanent wirkt und sich nicht eigenständig zersetzt. Der Begriff der toxischen Männlichkeit ist eine „zielführende Krücke“, unter der alle problematischen Denk- und Verhaltensweisen toxischer Männlichkeit subsumiert und mittlerweile allgegenwärtig im öffentlichen Diskurs thematisiert werden. Durch den Begriff wurde ein schwer zu fassendes Problem diskutierbar und thematisierbar – es wurde fassbar.

      Es wird in dem Zusammenhang von schädlichem Verhalten von Männern auch von „toxic masculinity“ gesprochen oder auch von „kritischer Männlichkeit“. Während ersteres die englische Original-Bezeichnung darstellt, ist der Begriff „kritische Männlichkeit“ ebenfalls nur ein Oberbegriff und stellt wie toxische Männlichkeit nur eine Krücke dar. Denn: Die Männlichkeit an sich kann niemals kritisch sein, höchstens der Umgang mit ihr. Aber auch hier geht es darum, durch Begrifflichkeiten nur schwer fassbare soziologische Erkenntnisse in Worte zu fassen, damit sie in die Öffentlichkeit transportiert und thematisiert werden können. Jedoch fehlt hier aus semantischer Sicht die Benennung der problematischen Anteile männlicher Sozialisation, der für andere Menschen und die Männer selber schädlich ist. Semantisch sinnvoller wäre beispielsweise die Formulierung „kritische Männerforschung“.

      Es wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob es eine nicht toxische Männlichkeit überhaupt geben kann. Das grundsätzliche Problem besteht vor allem darin, dass bestimme Fähigkeiten nur dem einen oder nur dem anderen Geschlecht zugeschrieben werden. Durchsetzungsfähigkeit ist beispielsweise zunächst keine problematische Eigenschaft, doch durch die Zuschreibung an Männer wird sie Frauen abgesprochen, beziehungsweise werden durchsetzungsstarke Frauen als unangenehm und hysterisch bewertet, Männer hingegen als selbstsicher und zielorientiert. Toxisch wird das Verhalten, wenn beispielsweise Durchsetzungsfähigkeit als Mittel eingesetzt wird, durch welches andere Menschen oder der Mann selber kurz-, mittel- oder langfristig zu Schaden kommen, andere benachteiligt oder patriarchale Strukturen (re)produziert werden.

       2. Wo zeigt sich toxische Männlichkeit?

      Toxische Männlichkeit zeigt sich in allen Lebensbereichen – individuell sowie strukturell. Damit einzelne Aspekte im vorliegenden Buch schneller gefunden werden können, sind die Bereiche untergliedert in:

      •Männer als Gewalttäter

      •Männer im öffentlichen Raum

      •Männer am Arbeitsplatz

      •Männer und Sexualität

      •Männer in der Familie und Partnerschaft

      •Männer und ihre Gesundheit

      Diese Einteilung wird auch im Kapitel mit den Lösungsansätzen für den eigenen Umgang mit toxischer Männlichkeit für eine einfachere Orientierung beibehalten.

      Gewalt ist ein männliches Phänomen. Bedingt durch die männliche Sozialisation und patriarchale Strukturen sind es fast ausschließlich Männer, die gewalttätig werden – gegenüber anderen Männern, gegenüber allen marginalisierten Menschen und gegenüber Frauen. Zu beachten ist, dass sich das Risiko, Gewalt zu erfahren, erhöht, wenn sich unterschiedliche Diskriminierungsformen miteinander verschränken und somit potenzieren (Intersektionalität1). Beispielsweise potenziert sich das Risiko einer Frau, Gewalt zu erleben, wenn sie zudem Schwarz und lesbisch ist und eine Beeinträchtigung hat.

       Häusliche Gewalt und Femizide

      Die Zahlen der kriminalstatistischen Auswertung des Bundeskriminalamts (vgl. 2018) zur Gewalt in Partnerschaften sind erschreckend: 2017 wurden 138.893 Menschen statistisch erfasst, die in Deutschland von ihrem Partner oder Ex-Partner misshandelt, gestalkt, bedroht oder getötet wurden. Darunter waren 113.965 Frauen

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