ТОП просматриваемых книг сайта:
Glück und Gischt. Hans Leip
Читать онлайн.Название Glück und Gischt
Год выпуска 0
isbn 9788711467374
Автор произведения Hans Leip
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Es ist aber einzufügen, daß ich als Kind die Sonntagsschule einer Kapellengemeinde eifrig genossen, allwo konfessionelle Abweichungen weitherzig ineinanderschwankten.
Hierorts aber war kein Verweilen mehr. Ich legte ein Zweimarkstück neben die Vase. Es war der Preis, den Kundige mir verraten. Und sagte höflich „Adjö“! und ging von dannen. Ging die Gasse der Spießrutenblicke und unflätigen Mäuler entlang und aus dem Bumms und Rummel der „Freiheiten“ St. Paulis zurück ins Bürgerliche, vorerst ungeletzt, aber innerst beschämt und gewappnet von anmaßender, kaum faßbarer Verheißung.
Nur ein Pekinghündchen
Die kleinen Pekinghündchen haben Augen wie Teleskopfische oder wie uralte Dubliner Whiskytrinker. Ihre Stimme gleicht denen pensionierter Operettensterne. Vor ihren Steinbildern in China erschrecken die bösen Geister, und solange sie leben, nehmen sie heftigen Anteil an den Regungen ihrer Herrschaft, erbeben, wenn die Hausglocke sich rührt, hassen das Telefon, geraten in Raserei, wenn die Dienstboten unleise die Türen schließen und sind schrecklich eifersüchtig.
In Schanghai – damals, eben bevor manches anders kam – saß auf der Terrasse des Vendy-Hotels eines Abends eine Dame mit einem solchen Hündchen. Es war schönster Sommer, und ihr Tischnachbar, frisch von jenseits des Stillen Ozeans, bewunderte unverhohlen den Ausschnitt ihres Kleides, indem er glaubte, mitten in das Dorado smartester Freiheit geraten zu sein. Die Dame schien seine Auffassung nicht widerlegen zu wollen. Das Hündchen indes schnalzte verhalten, den Kopf zwischen die Pfoten gedrückt, unaufhörlich vor sich hin. Die Dame bemerkte es nicht ohne Unruhe. Das Hündchen saß auf ihrem Schoß, wo es auch beim Roulette, im Auto und auf der Rennbahn-Tribüne zu sitzen pflegte, das heißt, es war seit Jahren bei allen ihren Unternehmungen dabei, und sie nannte es Piggy, ihr Glücksschweinchen. Manchmal in angeregter Stimmung setzte sie Piggy auf den Tisch, ohne Rücksicht auf Marmor, Edelholz, kostbare Tafeldecken und Geschirr. Piggy pflegte dann zu erstarren und sah aus wie die Hunde aus billigem Porzellan, wie sie vormals von Matrosen aus britischen Häfen als teure Andenken mitgebracht wurden. „ Schäm dich, Piggy!“ sagte die Dame dann mit bezüglichem Lächeln. Und Piggy schämte sich und barg sich flugs in ihren Arm oder Schoß zurück. Sie war eine gewisse von Pedureit, Tschechin ungewisser Herkunft und schon länger in China, hängengeblieben im Nachtrab der weißen Armeen, Erbin eines umgekommenen Waffenhändlers und, bei schwindendem Vermögen und Einkommen, genötigt, hier und da ein einträgliches Abenteuer zu riskieren. Doch hatte sie den Abend, bevor der Yankee eintraf, fast mehr aus Langeweile einen Flirt mit einem der gelben Kellner angefangen, als er den Tee besonders geschmeidig servierte, und erst im Verlaufe eines geschickt geführten Gespräches war ihr aufgegangen, daß er ausgezeichnete Beziehungen zu dem kommunistischen Hauptquartier haben mußte. Dem Hündchen war auch er keineswegs angenehm gewesen, noch weniger fast als der Amerikaner, und es wäre ihr sonst jederzeit ein Omen und Wink gewesen, sich zurückzuziehen. Aber gerade in besagten Tagen begannen die schwanken Kursfluten des mexikanischen Silberdollars wieder einmal weniger üppig und mühelos in die weißen Scheckhefte zu fließen. Die Baronin konnte es sich nicht leisten, auf das Schnalzen Piggys zu achten und den von ihrem geschulten Blick als wirtschaftlich höchst leistungsfähig erkannten Mister Dyhard ungenutzt abfahren zu sehen. Aber auch den unverhofft über Gelb angesponnenen roten Faden gedachte sie nicht aus den Fingern zu lassen. Ihr mochte sogar eine Verknüpfung zu einigen angedeuteten geschäftlichen Erwartungen des frischen Ankömmlings vorschweben. Und da sie nun besagten Kellner herbeirufen ließ, damit er und kein anderer sie bediene, und sie den sichtlich Geschmeichelten äußerst sozial behandelte, geriet das Hündchen plötzlich in eine zitternde Unruhe und pfiff hoch und heiser zwischen seinen Pfoten hervor.
„Ich seh, er singt sich sein Schlaflied“, lächelte der Amerikaner, „vielleicht nimmt er vorher noch einen Kaugummi.“
Die Dame hinderte ihn rechtzeitig, das gezückte Täfelchen dem gereizten Tier nahezubringen. Es geriet auch schon so ganz außer sich, und als der Mokka aufgetragen wurde, da sprang es wie der Satan aus dem Arm der Dame dem Kellner gegen die Hand, gerade als er das Tablett auf den Tisch setzte. Die Kanne kippte, und der braune Sud spritzte dem Gentleman auf den weißen Smoking.
Dem Kellner tropfte es rot von der Hand, und er erklärte demütig, der Hund habe schuld. Der Amerikaner aber brüllte ihn an: „Verdammte Zitrone, der Hund bist du!“ Und langte ihm eine saftige Ohrfeige.
Frau Pedureit barg ihren Piggy an der Brust, der Hotelmaitre eilte herbei und beförderte den armen Kellner mit einigen Fußtritten auf die Straße.
Ein neuer Kellner brachte neuen Mokka, auch eine nagelneue passende schneeweiße Smokingjacke war rasch zur Stelle. Der Direktor kam und entschuldigte sich persönlich, und das Hündchen erhielt zur Beruhigung ein Kaviarbrötchen. Somit hätte der Vorfall erledigt sein können und wäre zehn, ja fünf Jahre früher auch erledigt gewesen. Aber seit den Umwälzungen war die Entgötterung der weißen Rasse im gesegneten Osten weit vorgeschritten. Es gab allmählich so etwas wie ein verletzbares farbiges Ehrgefühl, selbst bei Kulis und Kellnern.
Eine halbe Stunde mochte vergangen sein. Man tanzte auf der Terrasse, und niemand schien mehr an die Sache zu denken. Selbst das Hündchen war still und zuckte kaum, als seine Herrin sich zärtlich zu dem Amerikaner beugte, obwohl es den kränkenden Augenblick herannahen fühlte, wo sie, um mit dem groben Kerl zu tanzen, aufstehen und es allein auf dem Stuhl zurücklassen würde. Gerade nun wollte ihr Partner der geschäftlichen Seite eine dringlichere Bemerkung widmen; die Dame war ihm als höchst verwendbar von seinem Konsul empfohlen, und er hoffte nicht nur Unterhaltung, sondern einiges mehr von ihren angeblich glänzenden allseitigen diplomatischen Verbindungen. Und gerade wollte sie ihm ein leichtes Bedauern nicht verhehlen über die eben so unglücklich zerrissene gelb-rote Verknüpfungsmöglichkeit, als unversehens der Gebissene und Geohrfeigte wieder heraufkam, hindurchflitzend zwischen den Fäusten der goldbetreßten Pförtner. Er stürzte den Gang der Tische entlang, schwang ein offenes Taschenmesser in der blutigen Rechten, und stieß, ehe ihn jemand hindern konnte, nach dem verdutzten Amerikaner, den er unweigerlich übel getroffen hätte, wäre nicht das rabiate Hündchen zum zweiten Male wie der Blitz ihm gegen die Hand und geradeswegs in die Klinge gesprungen. Sie drang tödlich in eins der Teleskopaugen. Dem Yankee geschah nichts weiter, als daß nun auch der Hotelsmoking beschmutzt wurde, diesmal durch Piggys Opferblut, und es floß auch auf das seidene Kleid der Pedureit, die darob in Ohnmacht fiel. Der Täter wurde festgenommen und wegen versuchten Mordes schon den andern Vormittag hingerichtet.
Damit hätte die Angelegenheit begraben sein können, zumal sie nach Ansicht der meisten Weißen glimpflich abgelaufen war und es sich nur um zwei „Hunde“ handelte. Aber erstens war der eine kein gewöhnlicher Hund, sondern das Schoßhündchen der Frau Pedureit, und zweitens war der andere zwar nur ein armer Tropf im Meer von Millionen und anscheinend weniger auf Rechnung als eine der weißen, roten oder grünen Glühlampen in den Reklamekaskaden, die von den Warenhaustürmen und die Nankingstraße auf und ab durch die blauschwarze dunstige Nacht Schanghais erschäumten, jedoch immerhin ein Mensch. Und siehe da, er begann für eine Weile im Tode zu leuchten und war mächtig genug, eine merkbare Welle gelben Unmuts emporzusignalisieren.
Den Anlaß dazu bot vielleicht die Dame selber, die in der Vernehmung angab, es habe sich um ein politisches Attentat gehandelt; der Geköpfte sei ein kommunistischer Agent gewesen. Denn obwohl ihr der Amerikaner den Hund kostbar aufgewogen hatte, hätte sie gern überdies