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werde Vatern ’mal wieder uffsuchen, dachte er. Der alte Koblank, der seinen Posten als Güterinspektor bei der Potsdamer Bahn kürzlich aufgegeben hatte, lebte jetzt als Witwer einsam hoch oben unter dem Dach eines der ersten Häuser in der Flottwellstraße. Da hatte er einen weiten Überblick über die Bahngleise, sah abends die bunten Signallaternen aufflammen, hörte den Pfiff der Lokomotiven und philosophierte bei seiner Pfeife Rosenblättertabak über Welt und Menschen still vor sich hin. Denn er war ein sinnierlicher Herr.

      »Nanu?« fragte er verwundert, als er die Tür geöffnet und den Sohn erkannt hatte. »Nanu, was treibt dich denn her?« Er ließ ihn in die Stube vorangehen und wies auf einen Stuhl am Fenster.

      Ferdinand faßte in die Brusttasche und hielt ihm ein paar Zigarren hin. Der Alte schüttelte den Kopf. »Behalt man«, sagte er, »ich rauch’ am liebsten meine Piepe, die Dinger haben ja keine Luft!«

      »Aber du hast ja man bloß noch Pollack drinne!«

      Ja, die Pfeife war ausgebrannt, gab nur noch Schmirgeltöne von sich. Der Alte zog ein paarmal kräftig, ohne gleich zu antworten. Er ärgerte sich stets, wenn sein Sohn »berlinerte«, denn von Jugend auf hatte er darauf gehalten, daß Ferdinand »ordentlich« spräche – obwohl er, der Alte, sich in der Erregung ebenfalls gehenließ. Aber er war der Sohn eines prinzlichen Leibkutschers, hatte gute Umgangsformen gelernt und hätte es gern gesehen, wenn der Junge einen Beruf ergriffen, der ihn in die Höhe gebracht. »Wenn du bloß beim Militär geblieben wärst, den Zivilversorgungsschein bekommen hättest«, sagte er seufzend.

      »Na ja – Vater – ick weeß ja!«

      Der Alte hatte nun doch eine Zigarre genommen und sie in der Hand zerbröckelt, während er den Sohn forschend betrachtete. »Wie geht’s dir denn eigentlich?«

      »Jott – ick lebe meinen juten Tag! Mir kann keener – ick brauch’ mir nich anranzen zu lassen und strammzustehen – mache, wat ick will!«

      »Und was machste dann später–als alter Mann, ohne Pension?«

      »Ick pfeif’ uff die paar Jroschen!«

      »Ja – jetzt – aber nachher!«

      »Denn werd’ ick Totenjräber!«

      Der Alte sah ihn mit einem Blick an, in dem die ganze Verdrossenheit lag, die er seit Jahren gegen den widerspenstigen Sohn aufgespeichert hatte – aber er schwieg. Wozu sich den schönen Sonntagabend verderben! Als er dann aber Ferdinand so weltverloren in den Abendhimmel starren sah, durchfuhr ihn plötzlich ein Schreck. »Na, sprich doch, dir is doch was, Nante, haste was ausgefressen, dann sag’s doch!«

      »Nee – Vater, mach dir keene Sorge!«

      »Denn das würdest du mir doch auch nicht antun?« fragte der Alte, noch immer mißtrauisch.

      »Ick mach’ dir keene Schande – also keene Bange – so eener bin ick nu doch nich.«

      »Janz richtig kommt mir die Kiste aber nicht vor!«

      Ferdinand lachte. »Ick war nur herjekommen, um zu sehen, wie es dir jeht, Vater, nu will ick aber wieder türmen – adje!« Er reichte dem Alten die Hand.

      »Adjes, Nante! Du solltest dir ’ne tüchtige Frau nehmen, die tut dir not.«

      »Det werde ick ooch – du jlaubst ja nich, wie rasch det jehen kann.«

      Er nickte noch einmal zum Abschied und ging davon.

      2

      Graue Dunstschleier lagerten in der Frühe des nächsten Tages über dem Feld, schwanden aber schnell, als die Sonne höher stieg. Es wurde wieder ein herrlicher Spätsommertag, so wie gestern.

      Im Zuckeltrab fuhr Ferdinand auf der Landstraße nach Berlin. Heute war die weite Ebene leer, nur eine Schafherde mit ihrem Hirten in einiger Entfernung zu sehen, und zuweilen klang aus der Gegend der Hasenheide ein Trompetensignal – dort übten Soldaten. Dann und wann ein Lokomotivenpfiff oder das heisere Krächzen einer Krähenschar, die das Peitschenknallen und das Räderrollen des herannahenden Wagens aufgescheucht hatte.

      Überall, wohin heute der schöne Ferdinand kam, wunderte man sich, wie eilig er es hatte. Wenn er sonst die Bierfässer in die Gastwirtschaften rollte oder die Achtel- und Vierteltonnen in die Haushaltungen trug, war es immer mit großem Hallo geschehen, und die Dienstmädchen waren nachher noch stundenlang in heller Aufregung gewesen. Heute kniff er sie ja auch in die Backen und bloßen Arme, drückte wohl die eine oder andere an die Lederschürze – aber man merkte, er tat es nur aus Gefälligkeit, ohne selbst ein Vergnügen dabei zu haben.

      Nun lenkte er den Wagen um den Belle-Alliance-Platz in die Lindenstraße und hielt vor dem Hause des Töpfermeisters Zibulke. Dieses Haus stammte noch aus der ersten Bebauung der Straße, war zweistöckig mit ehemals rotem, jetzt schwarz gewordenem Ziegeldach, machte aber in seiner schmucklosen Einfachheit einen wohltuenden, gediegenen Eindruck.

      Der »olle Zibulke«, wie immer in merkwürdig großkarierten Hosen, stand vor der Haustür und überwachte den Mops seiner angejahrten, etwas verwachsenen Tochter.

      »Schon wieder een Achtel?« fragte er verdrießlich, als Ferdinand, das Fäßchen auf der Schulter, mit kaum merkbarem Gruß an ihm vorbeiging.

      »Wenn Se nich wollen?« Ferdinand machte kurzerhand kehrt. »Fräulein Aujuste hat bestellt – alle vierzehn Tage soll ick kommen!«

      »Wenn meine Tochter det so bestimmt, is’s ooch richtig – also man ’ruff damit!«

      Herr Zibulke sah ihm mit kritischen Blicken nach, wie er die weißgescheuerten Treppen nach dem ersten Stock hinaufstieg, wandte sich dann aber wieder der Betrachtung des Mopses zu, der auf dem Rinnsteinbrett vor der Tür stand.

      »Wat jlotzte, Mufti? Du fängst im Leben keene Ratte nich! Und wat sollsten ooch mit ’ne Ratte, wo du dein’ Futternapp nich mal leerfrißt!«

      Ein Drehorgelspieler kam, von einer Kinderschar gefolgt, in diesem Augenblick aus einem Nachbarhause und wollte an Herrn Zibulke vorbei in den Flur.

      »Raus – hier wird nicht jedudelt!« sagte der Alte.

      Der Drehorgelspieler zog ergeben weiter, die Kinder aber begannen Herrn Zibulke aus sicherer Entfernung zu beschimpfen:

      »Olle Töpperschürze! Jeizkragen!«

      Er tat, als hörte er nichts. Da begann die Rotte zu singen:

      »Aujuste Zibulke kriejt keenen Mann,

      Drum schafft sie beizeiten ’nen Mops sich an,

      Da freut sich der Olle und is vajniejt,

      Weil er so billig ’nen Schwiegersohn kriejt!«

      Herr Zibulke machte unwillkürlich eine Bewegung, als wolle er seine Holzpantinen abziehen und in die Schar schleudern. Doch er überlegte es sich. Schon einmal war ihm auf diese Weise ein Pantoffel abhanden gekommen, weil er nicht getroffen und einer der Jungen das Ding aufgehoben hatte und damit geflüchtet war. So hielt er es für das beste, dem Hunde zu pfeifen und in die Wohnung zu gehen.

      Herr Zibulke hatte, weil sie zu viel Lärm machten, die neuen schweren Pantinen auf der Treppe ausgezogen und war in Strümpfen hinaufgegangen. Als er jetzt die nur angelehnte Korridortür aufmachte, sah er, wie Liese, das Dienstmädchen, erschrocken von der Küchentür zurückprallte.

      »Nanu, du kiekst woll durchs Schlüsselloch, wat jibt’s denn da drinne so Scheenet – wat?«

      »Fräulein Juste hat mir ’rausjeschickt, als der scheene Ferdinand kam!«

      »Na – laß doch die beeden, da sollste eben nich bei sind. Wart, ick werd’ dir! Wirste jetz jleich den Mülleimer ’runtertragen!«

      Und als das Mädchen verschwunden war, klinkte Herr Zibulke die Tür auf und trat in die Küche.

      Fräulein Auguste hatte einen Taler in der Hand, den sie jetzt, als sie ihren Vater erblickte, in die Schürzentasche zu stecken suchte. Sie war aber

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