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Schäfchen mitgeben, als Andenken an die Geschichte.“

      „Ich hab ein Schäfchen zu Haus – ich bring es ihm herauf morgen nachmittag“, rief Netti. „Es hat auch so ein Glöcklein.“

      „Und ich komme mit dir“, erklärte Eva. „Meine Mutter hat heut Anisstengel gemacht; da gibt sie mir ein paar für das Büblein.“

      „Wir gehen auch mit, wir auch!“ riefen drei oder vier andere. „Ich schenk ihm meinen Gummiball und ich hab ein Pfeifchen für ihn.“ Die Leute lachten.

      „Das gibt ja eine ganze Bescherung. Jetzt sehen Sie, Frau Horber, dass das keine Räuber sind. Statt Lösegeld für das geraubte Kind zu verlangen, bringen sie ihm Geschenke dar.“

      Dann aber löste sich der Knäuel von grossen und kleinen Leuten, und Frau Horber nahm mit ihrem Büblein den Weg zum Tor hinaus. Die Mädchen, als sie sahen, dass das kecke Netti neben der Frau herging und plauderte, gaben auch noch ein Stück weit das Geleite und erzählten dem Büblein, was es morgen alles bekomme.

      Die Buben aber gingen dem Marktplatz zu. Etwas kleinmütig hörten die Sechstklässler den Fünftklässlern zu, dass sie in der Riedau einen Fuchs gesehen hätten und zwei Männer in einem Schiff und ein Feuer, an dem ein paar Kesselflicker sassen und was alles an Merkwürdigkeiten.

      In der Sonnengasse sprach man noch einige Zeit von der Geschichte, und die Buben und Mädchen wurden oft geneckt. Wenn ein kleines Kind recht unartig war, so sagte etwa seine Mutter im Spass zu ihm:

      „Wart, wenn du nicht brav bist, so kommen die Leuenhofer und holen dich!“ –

      Das Hochwasser.

      Seit ein paar Tagen regnete es unaufhörlich. Die ganze Nacht hindurch goss und rauschte es fort, und die alten Leute, die nicht mehr so fest schliefen, horchten auf. Immer noch! Immer noch, dachten sie; es wird doch nicht etwa ein Hochwasser geben, wie damals, wo es die Brücke von Ferlikon weggerissen und das ganze Dorf überschwemmt hat. Mein Gott! Und die Leute, die drunten in der Riedau wohnen: Kann es denn gar nicht mehr aufhören!“

      Die Kinder, wenn sie schnell einmal erwachten, hörten das Rauschen und Plätschern auch.

      „Du“, rief Gustav Brenner von seinem Bett dem gegenüber schlafenden, ältern Bruder zu – „vor der Schule rennen wir noch zur Ecke beim Doktorsgarten. Dort sieht man die Mauer, wo man angestrichen hat, wie hoch allemal das Wasser gestiegen ist.

      „Glaubst du, dass es so hoch wird, wie vor 15 Jahren? Ich wollte, ich wäre damals dabei gewesen!“

      Und in einer andern Ecke des Städtchens war in ihrer Schlafstube Sara Wiebold auch einen Augenblick erwacht.

      „Wie das tut! Die Josephine bei Metzgers hat gesagt, beim letzten Hochwasser habe man keine Schule gehabt zwei Tage lang!“ Sara wollte sich ausdenken, was man alles unternehmen könnte an einem schulfreien Vormittag; aber ehe sie sich’s versah, war sie wieder eingeschlafen.

      Am andern Morgen, als die Brennerbuben und noch andere zum Doktorsgarten kamen und über die Mauer hinüber sahen, bemerkten sie, dass die Illig seit gestern abend stark gestiegen war. Gelbbraun wälzte sich das Wasser daher.

      Die Männer, die auch dastanden, machten ernste Gesichter und sahen zum Himmel hinauf, der mit einförmigem Grau verhängt war, und von dem es heruntergoss wie gestern und vorgestern. Die Leuenhofer aber rannten durch das Städtchen zur Schule.

      Von den Dächern plätscherte es herunter, und es war sehr lustig, wenn man den Schirm unter solch einen Wasserfall hielt; das trommelte prachtvoll.

      In der Schule erzählten die Kinder, die vom untern Städtchen kamen, in der Riedau fingen die Leute an auszuziehen; im Keller vom Schuhmacher Burnlich stehe schon das Wasser.

      Weil Herr Schwarzbeck merkte, dass die Gedanken seiner Buben und Mädchen alle nur bei dem steigenden Wasser waren, so fasste er sie an diesem Zipfel. Er sprach mit ihnen von den starken Sommerregen und von der Illig und wo sie herkam und wo sie hinging und was sie früher schon für Schaden angerichtet. Und die Kinder durften auch sagen, was sie wussten, und dann gab es einen Aufsatz über das Gesprochene. –

      Am Nachmittag kamen die Kinder noch aufgeregter in die Schule: Am Fabrikweiher oben seien die Leute schon den ganzen Tag bei der Arbeit, weil man Angst habe, der Damm breche durch.

      Ja, und am Seckelweg haben sie eine Menge abgehauene Tannen; die hängen sie an Ketten und Stricken ins Wasser – damit das Wasser nicht den Weg fortreisst.

      Ja, und von Ferlikon ist eine Frau gekommen, die hat gesagt, man habe schwere Wagen mit Sand und Steinen auf die Ferlikoner Brücke gestellt – weil das Wasser immer noch steige.

      Als letzter aber kam der pausbackige Fünftklässler Hermann Steininger hereingerannt.

      „Im Keller von meiner Grossmutter steht das Wasser schon so hoch!“ meldete er triumphierend und streckte den Arm aus.

      „O, das ist schlimm“, bedauerte Herr Schwarzbeck.

      „Ja, die Grossmutter hat geweint, und wir haben ihr geholfen, den Keller auszuräumen; die grosse Waschgelte ist geschwommen.“

      Hermanns rundes Gesicht strahlte vor Vergnügen. „Ich bin hineingestiegen und habe mit einem Stecken gerudert und gestachelt. Im ganzen Keller bin ich herumgefahren.“

      „Oh, oh“, riefen die Kinder, aber nicht wie Herr Schwarzbeck im Ton des Bedauerns. So in einer Waschgelte zu fahren wie in einem Schiff, das musste fein sein!

      Dann aber brachte Herr Schwarzbeck die Kinder doch dazu, den Ernst und den Schrecken einer wirklichen Ueberschwemmung zu begreifen.

      Es erzählte ihnen von der tapfern Johanna Sebus, die ihre Mutter aus dem Wasser errettete und dann noch einmal durch das brausende, furchtbare Wasser watete, um auch die Nachbarin mit ihren drei kleinen Kindern zu holen.

      Und dann schlug Herr Schwarzbeck sein Buch auf und las das Gedicht, in dem Goethe diese Heldentat geschildert hat. Das war schön.

      „Du“, sagte Ottilie Eggenberg leise zu Eva, „das ist besonders schön, dass einmal ein Mädchen so tapfer war.“ Eva nickte; gespannt horchten sie weiter.

      Wie das schaurig klang:

      „Der Damm zerreisst, das Feld erbraust,

      Die Fluten wühlen, die Fläche saust.“

      Und dann, wie Johannas Mutter voll Angst frägt:

      „Verwegen ins Tiefe willst du hinein?“

      Und Johanna entschlossen antwortet:

      „Sie sollen und müssen gerettet sein!“

      Wie furchtbar aber ging das Gedicht weiter: Johanna Sebus konnte die Familie nicht mehr retten. Die Wellen waren zu gewaltig. Ein Kind hielt sich noch am Horn der Ziege; dann versanken sie alle in der wirbelnden, schäumenden Tiefe. Und Johanna Sebus selbst, die tapfere hochherzige Johanna Sebus, war auch verloren; auch sie wurde von den wilden Wassern weggerissen und wurde nicht mehr gesehen.

      Wie traurig war das und zugleich wie prachtvoll; so mutig, so heldenhaft möchte man auch einmal sein!

      Von drei bis vier war Zeichnenstunde.

      ,,Herr Schwarzbeck, könnten wir nicht Johanna Sebus mitten in dem Wasser und das Haus der armen Frau zeichnen?“ fragten die Sechstklässler.

      „Wär’s nicht doch schade für das schöne Gedicht und die grosse Sache, wenn ihr mit eurer kleinen Kunst daran ginget?“ erwiderte Herr Schwarzbeck.

      „Versucht die Brücke von Ferlikon zu zeichnen. . . . Die Brücke von Ferlikon kennt ihr doch alle? – Nun stellt ihr ein paar Wagen darauf.“

      „Ja, und unten das Wasser“, riefen die Buben und Mädchen. „Oder wie das Wasser schon über die Brücke läuft! Mit dem blauen Farbstift das Wasser. Nein, natürlich mit einem graubraunen!“

      Mit Eifer ging es an die Darstellung der beschwerten Ferlikonerbrücke.

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