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sich auf der Spüle und die alten Zeitungen stapelten sich, weil sie seit Wochen keiner zum Altpapier gebracht hatte. Im Küchenschrank fand Svala noch eine angebrochene Schachtel Tagliatelle und im Kühlschrank entdeckte sie in einem alten Eierkarton ein letztes Ei. Als sie die Dose mit dem Haushaltsgeld schüttelte, klimperte darin keine einzige Münze.

      Während das Nudelwasser kochte, briet sich Svala in einer unabgespülten Teflonpfanne ein Spiegelei, das sie unter Unmengen von Ketchup und Cayennepfeffer begrub.

      »Dir ist klar, dass du das Baby einer Henne massakrierst?« Oskar warf Svala einen provozierenden Blick zu und schwang sich auf die Küchenbank.

      »Lass dein Veganergequatsche! Ich hab einen Riesenhunger und kann kein schlechtes Gewissen gebrauchen.«

      Lachend zerstrubbelte Oskar ihre kurzen schwarzen Haare, als sei sie ein kleines Kätzchen. Svala guckte ihn misstrauisch an.

      »Isst du überhaupt mal was?«

      »Das weißt du doch genau! Wohldurchdachte vegane Kost mit Nahrungsmittelergänzung. Wissenschaftlich alles genau berechnet.«

      »Ja – Sojamilch im Kaffee, null Alkohol und keine Zigaretten. Gesundheitsfanatismus pur.« Svala lud sich das Spiegelei auf den Teller und goss die Nudeln in ein Sieb.

      »Wenn du nicht so pingelig wärst, hätte ich glatt mein schlichtes Mahl mit dir geteilt«, sagte sie.

      Oskar nickte.

      »Ich weiß, Svala. Das ist echt edel von dir.«

      »Ich komm gerade aus dem Kafka. Hab gehört, dass ihr eine Menge Nerze auf Tynningö freigelassen habt. Das war wohl nicht so durchdacht wie eure Ernährung.«

      Oskar sah sie argwöhnisch an.

      »Wer hat denn behauptet, dass ich dabei war?«

      Svala hob abwehrend die Hand.

      »Du brauchst hier nicht den Unschuldigen zu spielen, ich verrate es sowieso niemandem. Dein Name ist gar nicht gefallen. Ich hab nur mitgekriegt, wie darüber spekuliert wurde, ob nicht militante Veganer hinter der Sache stecken.«

      Oskar sprang von der Küchenbank.

      »Wenigstens ein bisschen mehr könntest du rauslassen, wenn ich dich schon extra frage«, sagte Svala und sah ihm hinterher, als sein schmaler Rücken in der Tür verschwand. Schlecht gelaunt setzte sie sich an den Küchentisch und schob ein paar Zeitungen von ihrem Platz. Dabei fiel ihr Blick auf die aktuelle Tageszeitung.

      Ein Foto zeigte eine Gruppe besorgter Mütter mit ihren Kinderwagen. Dazu ließ die Schlagzeile verlauten, die Mütter befürchteten, dass die befreiten Nerze ihre schlafenden Babys beißen würden.

      Svala guckte hoch und stierte mit leerem Blick in Richtung Wohnzimmer. Das war mal wieder typisch – ihr Bruder und seine Freunde erzählten ihr nie etwas. Aber sie war gezwungen, die Jungs tagtäglich zu ertragen, in ihrem eigenen Zuhause.

      Diskussionsbedarf

      Vor dem Fenster brachte die Frühlingssonne den schwarzen Asphalt auf dem Schulhof zum Glitzern. Svala wollte nach draußen. Bloß weg hier! Sie wollte ins Kafka, zu ihrem Stammplatz in der Ecke, zu Filippa, Moa und den anderen.

      Manchmal bereute sie es, dass sie damals darauf bestanden hatte, nach dem Umzug auf ihrer alten Schule in Enskede zu bleiben. Svala ließ ihre Augen durch die Klasse wandern. Sie kannte fast alle ihre Mitschüler seit der ersten Klasse. Aber inzwischen konnte sie nicht mehr viel mit ihnen anfangen. Sie hatten sich irgendwie nichts mehr zu sagen.

      Zum Glück gab es immerhin Matilda. Aber das reichte ihr nicht.

      Der Gemeinschaftskundelehrer laberte einschläfernd über das schwedische Parlament. Das Lehrbuch war so alt, dass darin immer noch von der »Sowjetunion« die Rede war. Früher hatte Aisa zu Hause am Küchentisch flammende Reden über die Mittelkürzungen in den Schulen gehalten, über veraltete Lehrmittel und darüber, dass Fächer wie ihre – Kunst, Musik und Textiles Gestalten – dem Sparwahn zum Opfer fielen.

      Das war lange her, bevor Aisa in Schweigen und Grübeleien verfallen war.

      Plötzlich horchte Svala auf. Auf Matildas Wangen hatten sich zwei rote Flecken gebildet und sie brüllte den Lehrer an, dass er Schwachsinn redete.

      Svala war begeistert und versuchte herauszufinden, worum die Diskussion ging.

      »Gesellschaftliche Veränderungen sind doch überhaupt nur zustande gekommen, weil die Leute aufbegehrt haben! Wenn die Frauen nicht auf die Barrikaden gegangen wären, hätten wir bestimmt immer noch kein Wahlrecht!« Trotzig verschränkte Matilda die Arme und stierte zur Tafel.

      »Aber hör mal, wir müssen doch die demokratischen Spielregeln verteidigen. Das ist schließlich die Basis, auf die wir uns geeinigt haben. Deshalb ist es so wichtig, dass ihr Schwedens parlamentarisches System begreift. Damit ihr wisst, wie ihr eure demokratischen Rechte einfordern und euch an der Gesellschaft beteiligen könnt. Zu diesem Zweck gibt es Anträge ...«

      »Aber wenn keiner zuhört?« Matilda ließ nicht locker.

      »Dafür sind die Abgeordneten ...«

      »Sie meinen also ernsthaft, jemand hört mir zu, wenn ich in so einem politischen Gremium auftauche?« Svala mischte sich in die Diskussion ein, was Matilda mit einem dankbaren Nicken quittierte.

      »Aber sicher doch. Wenn deine Fragen wichtig genug sind.«

      »Und wer entscheidet das?«

      »Was?«

      »Ob eine Frage wichtig genug ist?« Svala kippelte mit dem Stuhl. Sie liebte solche Diskussionen.

      Der Lehrer schwieg, bevor er einen neuen Versuch unternahm.

      »Aber ihr versteht doch wohl, wie wichtig es ist, dass man sich an die Gesetze hält. Seht euch nur an, welche Folgen diese Nerzaktion der Tierrechtler auf Tynningö gehabt hat. Eine sensible Insellandschaft geht zugrunde, weil jemand die Gesetze und Bestimmungen nicht respektiert, die wir zusammen erarbeitet haben.«

      »Wenn die Landschaft so empfindlich ist, hätte man doch erst gar keine Nerzfarm dort hinbauen dürfen. Außerdem steht noch gar nicht fest, wer die Täter sind. Zur letzten Klassenarbeit mussten wir lernen, dass man so lange unschuldig ist, bis das Gegenteil bewiesen ist.«

      Svala triumphierte.

      »Matilda und Svala! Vielleicht lasst ihr die anderen auch mal zu Wort kommen und dominiert nicht immer die Diskussion.«

      Svala verdrehte die Augen.

      »Und hör auf zu kippeln!« Der Lehrer sah sie streng an.

      »Halten Sie Tierrechte womöglich nicht für eine wichtige Frage und wollen das Thema deshalb nicht diskutieren?« Matilda kippelte jetzt auch mit ihrem Stuhl.

      »Das hieße auch, dass Sie die Frage nicht behandeln würden, wenn Sie im Parlament säßen«, ergänzte Svala.

      »Das rechtfertigt immer noch keine ungesetzliche Handlung ...«

      »Nein, aber das zeigt ziemlich deutlich, dass die Politik nicht für uns da ist.« Svala bemerkte, wie der Lehrer die Fassung verlor.

      »Okay, ihr könnt das Gespräch in der Pause fortsetzen. Ihr verderbt den anderen den Unterricht. Und meldet euch gefälligst, wenn ihr etwas zu sagen habt.«

      Svala hob sofort die Hand. Der Lehrer ignorierte sie. Matilda warf ihr einen langen Blick zu, bevor sie sich auch meldete.

      Den Rest der Stunde saßen beide mit hoch erhobenen Händen da.

      Nachdenken über Kalle

      »Was läuft eigentlich mit dir und diesem Kalle?« Pétur hatte offenbar irgendwas läuten hören und grinste Svala an.

      Kein Wunder, dass er neugierig war. Svala und Kalle verabredeten sich öfter mal fürs Kino. Aber sie trafen sich eher unregelmäßig und waren nicht fest zusammen. Trotzdem wurden

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