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      Emma Vall

      Café Kafka im Visier

      Ein Krimi aus Schweden

      Aus dem Schwedischen

      von Dagmar Brunow

      Saga

      Leben, um zu sterben

      Es war völlig dunkel im Wald. Das dichte Geäst der Tannen verschluckte selbst das leiseste Geräusch. Routiniert bewegten sich Gummistiefel über die niedergetrampelte Erde. Ein widerlicher Geruch lag in der Luft. In den Käfigen hetzten die Tiere auf engstem Raum hin und her. Damit sie sich nicht gegenseitig totbissen, war jedes einzeln eingesperrt. Sie lebten, um sich zu Pelzen verarbeiten zu lassen, ihre Herzen schlugen, damit sie Kleidungsstücke wurden, sie bekamen Futter, um später Menschen Schutz vor der winterlichen Kälte zu bieten.

      Die Nerzfarm züchtete sie, um sie zu töten. Das war einfach so. Ohne Wenn und Aber. Ob es auch in Ordnung war, daran schieden sich die Geister.

      Vorsichtig näherten sich die nächtlichen Besucher den Käfigen. Die Tiere drehten sich um, nahmen Witterung auf, fletschten die Zähne und suchten verängstigt nach Schutz. Ihr Futter, das in einer Rinne vor den Käfigen lag, und ihre Exkremente verbreiteten einen ekelerregenden Gestank. Schweigend wurden Handschuhe übergestreift. Die Augen, die sich inzwischen an das schwache Licht der Dämmerung gewöhnt hatten, musterten fachkundig die Reihen von Käfigen, die geöffnet werden mussten.

      Auszuhalten war der Gestank nur, wenn man an etwas anderes dachte. An eine frische Meeresbrise, die Weite des Himmels oder das Dunkel des Waldes.

      In wenigen Minuten würde alles vorbei sein. Dann würden die Schatten der Tannen die umherirrenden Nerze verbergen. Die Tiere bräuchten ein wenig Zeit, um zu begreifen, dass sie nun in Freiheit waren. Dann käme ihr Raubtierinstinkt wieder zurück. Die kleinen Körper würden plötzlich aus dem Dickicht hervorschießen. Sie würden töten, anstatt getötet zu werden. Das war einfach so. Ob es auch in Ordnung war, daran schieden sich die Geister.

      Geübte Handgriffe hielten die Klappen fest, während ein Bolzenschneider das Gitter zerschnitt. Gezeter stieg zum Nachthimmel. Aber keiner nahm es wahr, niemand achtete auf die Tiere, die sich, zunächst unsicher taumelnd, davonmachten.

      Einige Nerze schienen noch so etwas wie eine Ehrenrunde um ihr Gefängnis zu drehen, bevor sie ihre Käfige und das Futter für immer verließen.

      Die Beine in den Gummistiefeln liefen auf und ab, ohne vom Gewimmel der Körper Notiz zu nehmen, die wie ein lebendiger Teppich über den Boden wanderten.

      Nachdem sie verschwunden waren, legte sich eine Ödnis über den Ort. Als ob hier nie etwas existiert hätte.

      Außer dem Gestank.

      Svala belauscht ein Gespräch

      »Dein Typ wird verlangt.« Svala stieß ihre schwarzhaarige Tischnachbarin in die Seite und zeigte auf den roten Volvo, der vor dem Café Kafka anhielt. Durch das hell erleuchtete Schaufenster sahen sie Filippas Mutter auffordernd winken. Seufzend zog sich Filippa die schwarze Baskenmütze über ihr kurz geschnittenes Haar und schnappte ihre Tasche.

      »Mensch, Svala, sei bloß froh, dass dich deine Eltern nicht so überwachen. Bei uns ist Essenszeit. Wir sehen uns morgen, ja?«

      Es war früher Abend und relativ ruhig im Café, der größte Trubel war schon abgeflaut. Seit Stunden hatte Svala immer wieder sehnsüchtige Blicke auf die Schafskäse-Baguettes geworfen. Wie üblich hatte Filippa vorhin munter an der Theke ihre Bestellung aufgegeben und hätte sie auch eingeladen, aber Svala hatte nur den Kopf geschüttelt. Sie fand es demütigend, dass sie ständig pleite war und sich immer von den anderen durchfüttern lassen musste. Svala gab sich alle Mühe, dass niemand merkte, wie kläglich die Münzen in ihren Taschen klimperten. Papa hatte sich seit Wochen nicht gemeldet und auch nichts auf ihr Konto eingezahlt.

      Alle ihre Freundinnen saßen jetzt zu Hause beim Abendessen.

      Von ihrem Lieblingsplatz aus, dem durchgesessenen Samtsofa in der hintersten Ecke, ließ Svala ihre Augen durchs Café wandern, entdeckte aber nur Leute, die sie kaum kannte. Stammgäste verschmähten die Tische vorne im Schaufenster. Dort saßen eher Gäste von außerhalb, die sich cool vorkamen, wenn sie über den anderen thronten und die Blicke auf sich zogen.

      Ein heftiger Wortwechsel ließ Svala aufhorchen. Ein Pärchen im Fenster stritt sich über Bands.

      »Als ob Dennis von Refused in Lederschuhen herumrennen würde! Das glaub ich einfach nicht!«, schimpfte der Typ.

      Hundertprozentig Veganer, dachte Svala. Das sieht man schon an den Klamotten.

      »Eine Bekannte von mir hat ihn gesehen. Angeblich hat er eben doch Lederschuhe getragen, und wenn sie recht hat, ist er ein Verräter!«

      Refused hieß die Band, die Oskar immer auflegte, wenn er zu ihr und Pétur kam. Svala verkroch sich mit angezogenen Knien in ihre Sofaecke, als wäre sie ganz in Gedanken versunken, während sie in Wahrheit aufmerksam die Unterhaltung verfolgte. Erst als das Gespräch auf andere Hardcore-Bands kam, verlor sie das Interesse. Sie drehte sich um und entdeckte Sebastian an einem Tisch weiter hinten.

      Aus den Augenwinkeln linste Svala zu ihm hinüber. Am Anfang hatten sie nicht gewusst, wie er hieß, und hatten ihn Nagel genannt wegen seines auffälligen Kinnpiercings. Svalas Freundinnen hatten beim Anblick seiner schwarzen toupierten Haare verzückt geseufzt. »Der ist ja soooo süß!«, fanden sie.

      Nachdem Svala ihn eine Weile in Augenschein genommen hatte, hatte sie entschieden, dass er nicht ihr Fall war. Für ihren Geschmack war er viel zu selbstbewusst.

      Filippa hatte schon recht, es war super, allein über sein Leben zu entscheiden. Trotzdem wünschte sich Svala manchmal, ihre Eltern würden hupend vor dem Café anhalten und sie abholen, so wie früher.

      Sie hatte zwar noch ihren großen Bruder Pétur, aber das war nicht dasselbe.

      »Ich bin nicht dein Vater und hab auch keinen Bock auf die Rolle«, hatte Pétur von Anfang an klargestellt.

      Als ihre Mutter nach der Scheidung zurück nach Island gegangen war, hatten weder Svala noch Pétur mitkommen wollen.

      »Okay, ich fahr probehalber für ein Jahr in meine Heimat und teste es aus. Vielleicht krieg ich ja Sehnsucht nach Schweden«, hatte Aisa gesagt. »Oder ihr überlegt es euch anders und kommt nach.«

      »Glaub ich nicht.«

      Pétur und Svala hatten beide den Kopf geschüttelt. Mama war auf der Suche nach ihren Wurzeln. Das hieß im Klartext, sie hatte ihren Job als Kunstlehrerin an den Nagel gehängt, um auf Island zu malen. Zu Hause sprachen sie nie isländisch miteinander und in den letzten Jahren waren sie nur gelegentlich zu Besuch dort gewesen. Island war nicht ihre Heimat. Obwohl Svala fand, dass manche typisch isländischen Vorstellungen gut zu ihr passten. Zum Beispiel, dass sich nicht alles mit Vernunft erklären ließ. Oder dass unsichtbare Wesen wie Elfen und Trolle existierten. Irgendwie hatte sich Svala schon immer nach einer Welt gesehnt, die man nur mit besonderer Einfühlungskraft erfahren konnte. Aber weil sie nicht als Hexenschwaflerin abgestempelt werden wollte, redete sie lieber nicht darüber.

      »Außerdem kümmert sich euer Vater um euch«, hatte Aisa zu Svala und Pétur gesagt, als sie hier in Stockholm bleiben wollten.

      Dabei konnte Mama das gar nicht wissen. Seit der Scheidung sprachen Papa und sie nämlich kein Wort mehr miteinander.

      Deshalb hatte sie auch keine Ahnung davon, dass Papa neuerdings als Brummifahrer Hilfstransporte in den Kosovo brachte. Sein Job als Sachbearbeiter bei der Schulbehörde hing ihm zum Hals heraus. Wer konnte es ihm verdenken?! Svala fand, dass Papa von Jahr zu Jahr eingefallener wirkte und immer blasser geworden war. Er hatte immer im Schatten von Aisa gestanden, die eine auffällige Erscheinung war.

      Eines Tages hatte Papa Svala und Pétur zu einem Familienrat zusammengetrommelt.

      »Ihr wisst ja, was für eine Übermutter Aisa sein kann«, hatte er gesagt. In diesem Moment wurde Svala klar, dass es für ihn um sehr viel ging. Wenn

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