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Stellung des Duden(-Verlags) im deutschsprachigen Raum verdient dabei besondere Beachtung und Bachmann-Stein/Stein zeigen überzeugend, wie sehr auch die in der Stilanalyse selten berücksichtigten Grammatik-Darstellungen Aufmerksamkeit verdienen.

      Ein besonders enger Anknüpfungspunkt besteht andererseits zu dem Beitrag von Ulla Fix, die den Wandel von Denkstilen in den Mittelpunkt stellt. Sie behandelt denselben zeitlichen Ausschnitt (nämlich grob die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts), wählt aber als Textsorte den auch sonst besonders oft untersuchten (sprach-)wissenschaftlichen Aufsatz. Fix stellt das Kategorieninventar von Ludwik Fleck vor und versucht den Denkstil je eines Denkkollektivs aus den Perioden des Neoidealismus, des Strukturalismus und der Pragmalinguistik zu charakterisieren. Für eine Übersicht über Stilzüge und typische Stilelemente wissenschaftlicher Aufsätze greift sie auf die Funktionalstilistik zurück. Ihre empirische Analyse gilt – im Sinne einer exemplarischen Untersuchung – je einem Aufsatz der jeweiligen Periode. Während die letzten beiden Richtungen, wenn auch in charakteristisch verschiedener Ausprägung, die erwarteten Stilzüge klar erkennen lassen, weicht der Vertreter des Neoidealismus, Leo Spitzer, davon stark ab, insofern bei ihm Bestimmtheit (statt vorsichtiger Differenzierung und Vorläufigkeit) sowie Subjektivität dominante Stilzüge darstellen. Gerade dies entspreche allerdings dem Denkstil seines Denkkollektivs, trage also bei aller individualstilistischen Spezifik durchaus überindividuelle Züge.

      Ebenfalls essentiell historisch ausgerichtet ist der Beitrag von Sabine Ylönen, die sich gleichermaßen mit Aufsätzen beschäftigt, allerdings solchen aus der Deutschen Medizinischen Wochenschrift. Ihre Untersuchung deckt den umfangreichsten Zeitraum ab (1884 bis 1999) und arbeitet mit einem umfangreichen Korpus. Außerdem nimmt sie eine besonders enge Phänomeneingrenzung vor, geht nämlich in diesem Aufsatz nur auf Zitationskonventionen ein. Angesichts des verbreiteten Topos von den Charakteristika der (Natur-)Wissenschaften ist besonders bemerkenswert, wie spät (nämlich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts) sich hier ein standardisiertes Verfahren etabliert hat. Trotz der auf den ersten Blick auf rein Formales gerichteten Analyse von Phänomenen, die sich auch besonders gut auszählen lassen, kann Ylönen aufzeigen, dass damit doch paradigmatische Änderungen des Wissenschaftsverständnisses – anders gesagt: Denkstilwechsel – verbunden sind.

      Insgesamt lässt sich festhalten: Stilwechsel sind ein facettenreiches, gesellschaftlich und kommunikationsgemeinschaftlich relevantes Phänomen, das sowohl in synchroner als auch in diachroner Hinsicht temporäre und/oder bereits etablierte Stilveränderungen innerhalb von Textsorten, Kommunikationsformen, Texttypen und Diskursen indiziert. Die Beiträge des Bandes zeigen, dass die Erforschung der Funktionenvielfalt der Stilwechsel – gerade im Bereich der als eher wandelresistent geltenden Wissenschaftskommunikation – ein lohnenswertes Unterfangen darstellt, deuten aber gleichzeitig auf weiteren Forschungsbedarf hin.

      ***

      Als Herausgeberinnen danken wir herzlich allen Beiträgerinnen und Beiträgern für ihr Interesse am Thema, für ihre Mitwirkung an diesem Band und insbesondere für die Geduld, die sie bis zum Abschluss der Veröffentlichung aufgebracht haben.

      Genf/Athen, im September 2020 Die Herausgeberinnen

      Stilistische Unterschiede und Stilwechsel in der Grammatikschreibung

      Ein exemplarischer Vergleich von wissenschaftlicher Grammatik, Grammatik-Lehrbüchern für das Studium und Grammatikhilfen für die Schule und den Alltag

      Andrea Bachmann-Stein/Stephan Stein

      Gliederung

       0 Vorbemerkungen

       1 Theoretische Grundlagen1.1 Das Stilkonzept textpragmatischer und interaktionaler Provenienz1.2 Einheitlichmachen und Wechseln von Stil als textstilistische Handlungsmuster1.3 Stil und Stilwechsel in Wissenschaftstexten1.4 Textmuster- und Stilwandel

       2 Stilwechsel im synchronen Vergleich von Grammatik-Darstellungen2.1 Zielgruppenidentische Grammatik-Darstellungen2.2 Zielgruppendifferente Grammatik-Darstellungen

       3 Stilwandel im diachronen Vergleich zielgruppengleicher Grammatik-Darstellungen

       4 Kursorischer Blick auf Stilphänomene in Grammatikforen4.1 Allgemeines zur Beziehungsgestaltung4.2 Beleidigen4.3 Ironisieren

       5 Fazit

      0 Vorbemerkungen

      Man weiß es ja: Allein schon die Bezeichnung „Grammatik“ ruft bei vielen Menschen Abwehrhaltungen und ‑reaktionen hervor. Und man darf annehmen, dass Grammatiken oder auch generell Texte, die grammatische Themen behandeln, nicht zur bevorzugten Lektüre des durchschnittlichen Sprachteilhabers gehören, sondern nur dann konsultiert werden, wenn bestimmte Umstände es sinnvoll oder unumgänglich erscheinen lassen (z.B. Behandlung grammatischer Themen in Schule und Studium, Klärung grammatischer Probleme und Zweifelsfälle im Alltag).1 An diesem weit verbreiteten Negativimage dürfte auch das mittlerweile beträchtliche Angebot an Grammatikdarstellungen und ‑hilfen, die für bestimmte Adressaten‑ und Zielgruppen konzipiert sind und einen spezifischen Nutzerzuschnitt aufweisen, wenig ändern. Umso lohnenswerter erscheint es, einmal unter die Lupe zu nehmen, inwiefern versucht wird, die Attraktivität von Texten mit grammatischen Themen (im Weiteren kurz: Grammatik-Darstellungen bzw. ‑Texte) durch bestimmte Weisen des Gestaltens zu steigern.

      1 Theoretische Grundlagen

      1.1 Das Stilkonzept textpragmatischer und interaktionaler Provenienz

      Für die hier verfolgte Fragestellung bietet es sich an, von einem (text)pragmatischen und einem interaktionalen Stilverständnis und Stilkonzept auszugehen, wie es maßgeblich durch Arbeiten von Sandig (vgl. insbesondere Sandig 1986 und 2006) und Selting (vgl. z.B. 2001) geprägt worden ist. Diesem Begriffsverständnis zufolge ist Stil als sozial relevante Art der Handlungsdurchführung (vgl. Sandig 2006: 9) zu fassen, ist Äußerungen und Texten stilistischer Sinn zuzuschreiben und können Typen stilistischen Sinns (ebd.: 17) ermittelt und unterschieden werden:

      „Stil ist also die sozial bedeutsame Art der Durchführung einer kommunikativen Handlung, wobei diese Art der Handlungsdurchführung und die Handlung selbst und/oder das Thema als solches indizieren kann, wobei weiter die Handlungsdurchführung erkennbar bezogen sein kann auf die Art der an der Handlung Beteiligten und ihre Beziehung und/oder auf verschiedenartige Handlungsvoraussetzungen wie Kanal, Textträger, Medium, Institution, umfassendere Handlungsbereiche … Durch die Art der Handlungsdurchführung können außerdem Einstellungen/Haltungen zu den verschiedenen Aspekten des Handelns mit ausgedrückt werden. Stile sind bezogen auf ihre historische Zeit und eingebunden in bzw. Ausdruck von (Sub)Kulturen.“ (Sandig 2006: 17)

      Auf dieser Grundlage ist im Blick auf Grammatik-Texte zu fragen, inwiefern das Thema bzw. der Gegenstand (Grammatik) eine bestimmte Art der Handlungsdurchführung nahelegt und erwartbar macht, inwiefern sich aber im Blick auf die an der Handlung Beteiligten auch Unterschiede in der Art der Handlungsdurchführung erkennen lassen und inwiefern sich dadurch für die Rezipienten bzw. Nutzer sowohl erwart‑ bzw. generalisierbare als auch individuelle Stilwirkungen ergeben. Solche Stilwirkungen sind maßgeblich durch stilistisches Wissen geprägt, d.h. durch die Kenntnis der Konventionen darüber, wie typischerweise in bestimmten Handlungsbereichen Stilgestalten hergestellt werden.

      1.2 Einheitlichmachen und Wechseln von Stil als textstilistische Handlungsmuster

      Vor diesem hier nur äußerst knapp skizzierten Hintergrund textstilistischer Grundannahmen gewinnen die Fragen an Bedeutung, auf welche Weise die Handlungsdurchführung in Grammatik-Texten erfolgen kann, inwieweit stilistische Einheitlichkeit erwartbar und gegeben ist sowie ob und gegebenenfalls welche Arten von Stilwechsel(n) erkennbar sind. Diese Fragen können bezogen auf eine bestimmte konkrete Darstellung gestellt werden, sie gewinnen aber an Relevanz, wenn verschiedene zielgruppenorientierte Darstellungen einander gegenübergestellt oder wenn in diachroner Perspektive verschiedene zielgruppengleiche Darstellungen verglichen werden.

      Im Mittelpunkt stehen dafür „textstilistische Handlungsmuster“,

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