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nehmen. Unsere sittliche Beschaffenheit bestimmt sich danach, ob wir uns das Gute oder das Böse zum Vorsatz machen, nicht danach was für Ansichten wir hegen. Wir bilden den Vorsatz uns einen Gegenstand von dieser oder jener Art anzueignen, ihn zu meiden oder sonst dergleichen; eine Ansicht dagegen bilden wir uns über das Wesen des Gegenstandes, über seinen Wert, und wem oder wie er sich nützlich erweist: dagegen ihn zu erwerben oder zu meiden, das ist ganz und gar nicht der Inhalt einer Ansicht. Ein Vorsatz findet Billigung eher deshalb weil er sich auf das richtet was pflichtmäßig, als deshalb weil er richtig gebildet ist, eine Ansicht dagegen gerade deshalb, weil sie der Wahrheit entspricht. Einen Vorsatz bilden wir betreffs dessen, wovon wir ganz sicher wissen, daß es etwas Gutes ist: eine Ansicht haben wir über das, was wir nicht genau wissen. Es sind auch nicht dieselben Menschen, die die besten Vorsätze und die die besten Ansichten haben; manche haben wohl die bessere Ansicht, bilden aber infolge ihres schlechten Charakters Vorsätze, wie man sie nicht bilden soll. Ob aber eine Ansicht dem Vorsätze vorangeht oder nachfolgt, kommt hier nicht in Betracht. Denn das ist nicht die Frage, die wir behandeln, sondern, ob ein Vorsatz dasselbe ist wie eine Ansicht die jemand hegt.

      Was ist nun der Vorsatz, oder was ist sein unterscheidendes Merkmal, wenn er doch keines von dem Bezeichneten ist? Offenbar ist er ein frei Gewolltes, aber nicht alles frei Gewollte ist auch ein Vorsätzliches. Ist er also das Prämeditierte, das Ergebnis vorhergehender Überlegung? Wirklich ist ein Vorsatz gedankenmäßig und überlegt. Schon das Wort deutet augenscheinlich darauf hin, daß er auf einer Auswahl des einen vor anderem beruht.

      Hat nun solches Überlegen jedes Beliebige zum Inhalt und kann alles Beliebige den Gegenstand einer Überlegung bilden? oder gibt es auch solches worüber eine Überlegung nicht stattfindet? Als einen Gegenstand der Überlegung darf man schwerlich das gelten lassen, worauf ein geistesschwacher oder ein von Sinnen gekommener, sondern nur das, worauf ein vernünftiger Mensch seine Überlegung richtet. Kein Mensch ferner überlegt sich das was ewig ist, z.B. den Weltenbau oder die Inkommensurabilität zwischen der Seite des Quadrats und der Diagonale, und ebensowenig das was zwar in Bewegung ist, dessen Bewegung aber sich in immer gleicherweise vollzieht, sei es, daß solche Wirkung durch äußere kausale Notwendigkeit, sei es, daß sie durch innere Anlage oder durch irgendeinen anderen Grund hervorgebracht werde, z.B. die Sonnenwenden und Sonnenaufgänge. Andererseits überlegt man sich auch nicht, was sich jetzt so, jetzt anders zuträgt, wie Dürre und Regengüsse, oder was Sache bloßen Zufalls ist, wie das Finden eines Schatzes, aber auch nicht einmal alle menschlichen Verhältnisse.

      Welche Staatsverfassung für die Skythen die geeignetste ist, das überlegt sich kein Mensch, der in Lakedämon zu Hause ist; denn unsere Macht reicht nicht bis dahin. Wir überlegen uns vielmehr das was in unserer Macht steht und sich von uns herstellen läßt; das allein bleibt noch übrig.

      Als Ursachen der Ereignisse gelten innere Anlage, äußere Notwendigkeit und Zufall; dazu tritt dann die Vernunft und alle menschliche Einwirkung. Für jede Klasse von Menschen nun ist Gegenstand der Überlegung das, was man selbst zu bewerkstelligen vermag. Kenntnisse, die völlig klar und gesichert sind, überlegt man sich nicht erst, z.B. nicht die Schriftzeichen; denn darüber, wie man zu schreiben hat, gibt es keine zwei verschiedenen Meinungen. Nur was sich durch uns vollziehen läßt, aber nicht immer in derselben Weise, das überlegen wir uns, z.B. Fragen der Heilkunde und des Gelderwerbes oder Fragen der Steuermannskunst, und zwar diese letzteren noch eher als die der leiblichen Übungen, sofern auf jenem Gebiete das Verfahren in geringerem Grade festgelegt ist. Ähnlich verhält es sich durchgängig. Technische Verfahrungsweisen sind Gegenstand der Überlegung in höherem Grade als wissenschaftliche; denn über jene gehen die Meinungen weiter auseinander. Man überlegt sich Dinge, die nur in der Regel vorkommen und deren Verlauf unsicher ist, Dinge, bei denen es unbestimmt ist, wie man sich zu benehmen hat. Wo es sich um wichtige Dinge handelt, da nimmt man überdies noch fremden Rat in Anspruch, weil man sich selber nicht recht zutraut, daß man zu einem richtigen Urteil genügend befähigt sei.

      Gegenstand der Überlegung sind aber nicht die Ziele, sondern die Wege zum Ziel. Ein Arzt überlegt sich nicht, ob er heilen, und ein Redner nicht, ob er überreden soll, ein Staatsmann nicht, ob er vernünftige Einrichtungen im Staate treffen soll; und so gilt es allgemein: niemand überlegt sich den Zweck, den er anstrebt, sondern während der Zweck festgestellt ist, ist die Frage die nach der Art und Weise und nach den Mitteln ihn zu erreichen. Wenn es dabei offenbar verschiedene Wege gibt, so fragt man: welcher Weg ist der gangbarste und fährt am sichersten zum Ziele. Läßt sich das Ziel aber nur auf einem Wege erreichen, so fragt man, wie es auf diesem zu bewerkstelligen ist und durch welche Mittel man zu ihm gelangt. So geht es weiter, bis man bei der obersten Ursache haltmacht. Diese ist dann bei der Mühe des Suchens das letzte was man erreicht. Denn wer sich etwas überlegt, der gleicht einem der etwas sucht; es ist ganz ähnlich der Weise, wie man bei der Lösung einer geometrischen Aufgabe verfährt. Und zwar ist augenscheinlich nicht jedes Suchen ein Überlegen, wie es in der Mathematik der Fall ist, aber wohl ist jedes Überlegen ein Suchen. Das was dann in der Lösung des Problems das letzte ist, ist in der Tätigkeit der Verwirklichung das erste. Stößt man dabei auf etwas Unausführbares, so steht man von dem Plane ab, z.B. wenn man zur Ausführung Geld bedarf und nicht imstande ist es sich zu verschaffen. Scheint es dagegen möglich, so geht man an die Ausführung. Möglich aber ist, was sich durch uns zustande bringen läßt, und dabei gilt das was wir durch unsere Freunde leisten, gerade so als ob wir's selber leisteten, sofern wir den Anstoß dazu gegeben haben. Zuweilen sucht man nach den Werkzeugen, zuweilen nach ihrer Anwendung. Ebenso fragt man sich auch sonst, das eine Mal, durch wen, das andere Mal, in welcher Weise oder womit die Sache sich machen läßt.

      Nun ist es wie gesagt augenscheinlich ein Mensch, der die Handlung ins Werk setzt. Seine Überlegung betrifft also das, was durch ihn ausführbar ist; das Ziel für sein tätiges Vorgehen aber ist etwas anderes. Denn Gegenstand der Überlegung ist nicht der Zweck, sondern die Mittel zum Zweck, und auch wieder nicht das ganz Singuläre, z.B. ob dieser Gegenstand ein Brot oder ob es gehörig gebacken ist; das ist vielmehr Sache der Erfahrung.

      Wenn man aber immer und immer weiter überlegen will, so gerät man damit in den unendlichen Progreß. Dasselbe was man sich zu überlegen hat, ist auch das, worüber man eine Entschließung zu fassen hat; nur daß der Beschluß schon eine Entscheidung bedeutet. Ein Beschluß nämlich ist das, wofür man sich auf Grund der Überlegung entschieden hat. Jedermann hört mit dem Suchen, wie er zu Werke gehen soll, auf, wenn er den Ausgangspunkt der Ausführung bis auf sich selbst und in sich auf das oberste leitende Vermögen zurückgeführt hat; denn dieses ist es, das die Entscheidung fällt. Ein Gleichnis dafür erblickt man auch an den ursprünglichen Formen des Staatslebens, wie sie Homer darstellt. Hier zeigen die Könige dem Volke einfach das an, wozu sie sich entschlossen haben. Da aber das was man beschließt, überlegt, erstrebt, etwas ist, was in unserer Macht steht, so ist auch vorsätzliches Handeln ein mit Überlegung verbundenes Streben nach solchem was in unserer Macht steht. Das Ergebnis der Überlegung gibt uns die Entscheidung an die Hand, und so richten wir denn unser Streben gemäß unserer Überlegung ein.

      Damit mag der Begriff der Vorsätzlichkeit in den Grundzügen bezeichnet sein, ebenso wie das worauf sie gerichtet ist, nämlich die Mittel und Wege, die zu den Zwecken führen.

      3. Der Willensinhalt

       Inhaltsverzeichnis

      Wir haben dargelegt, daß ein Wollen auf einen Zweck geht. Dieser ist nach den einen ein Gutes, nach den anderen ein solches, was als gut erscheint. Bezeichnet man das Gewollte als das Gute, so kommt man zu dem Ergebnis, daß dasjenige, was einer auf Grund einer unrichtigen Wahl will gar kein wirklich Gewolltes ist; denn wäre es gewollt, so würde es ja auch etwas Gutes sein; es kann aber vorkommen, daß es geradezu etwas Schlechtes ist. Denen dagegen, die das Gewollte als ein anscheinend Gutes bezeichnen, stellt sich die Sache so dar, daß etwas nicht durch seine eigene Natur zum Willensinhalt wird, sondern daß es für jeden jedesmal das ist, was ihm gefällt. Nun gefällt aber dem einen dies, dem andern jenes, und es kann vorkommen, daß dies gerade Entgegengesetztes ist. Wenn nun eine solche Ansicht keineswegs befriedigt, so wird man sich dabei beruhigen dürfen, daß zwar schlechthin und in Wahrheit

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