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Daher nehmen beide Extreme den Platz in der Mitte für sich in Anspruch, und auch wir nennen wohl das eine Mal den der die rechte Mitte innehält einen Ehrgeizigen und das andere Mal einen Gleichgültigen, und das eine Mal loben wir den Ehrgeizigen und das andere Mal den Gleichgültigen. Woher das kommt, soll später dargelegt werden. Jetzt wollen wir von dem, was noch übrig bleibt, in demselben Sinne wie bisher zu handeln fortfahren.

      Auch im Zornigsein gibt es ein Überschreiten des Maßes, ein Zurückbleiben hinter demselben und eine rechte Mitte. Da aber dafür eigentlich keine besonderen Ausdrücke existieren, so wollen wir die rechte Mitte Gelassenheit und den, der sie innehält, gelassen nennen, und von den Extremen soll, wer zu weit geht, jähzornig, und sein Fehler Jähzorn, wer nicht weit genug geht, etwa unempfindlich und seine Eigenschaft Unempfindlichkeit heißen.

      Es gibt noch weitere drei Fälle der rechten Mitte, die miteinander eine Art von Verwandtschaft haben, aber doch auch wieder voneinander verschieden sind. Gemeinsam ist ihnen, daß sie sich sämtlich auf den Umgang mit Menschen in Wort und Tat beziehen; verschieden sind sie dadurch, daß der eine sich auf die Wahrhaftigkeit im Umgang, die beiden anderen auf die Gefälligkeit, und zwar der eine im Scherz, der andere in jederlei ernsten Angelegenheiten des Lebens bezieht. Auch von diesen muß die Rede sein, damit man um so besser sehen kann, daß die rechte Mitte bei ihnen allen das ist, was Lob verdient, während die Extreme weder das Rechte, noch das Löbliche, sondern das Tadelnswerte sind. Allerdings gibt es auch für die Mehrzahl von diesen keine besonderen Ausdrücke; wir müssen also wie bei den anderen versuchen, Namen für sie selbst zu prägen zum Zwecke der Deutlichkeit und Verständlichkeit.

      Wer in bezug auf die Wahrhaftigkeit die rechte Mitte innehält, soll etwa wahrheitsliebend und die rechte Mitte selber Wahrheitsliebe heißen, dagegen die Neigung zum Erdichten, wenn sie auf Übertreibung ausgeht, Prahlerei, und wer sie betreibt prahlsüchtig, wenn sie auf Abschwächung geht, Ironie, und der Mensch ironisch heißen.

      Handelt es sich um das Gefällige und zwar im heiteren geselligen Verkehr, so soll der, der die rechte Mitte hält, ein guter Gesellschafter, und seine Eigenschaft Unterhaltsamkeit, die Übertreibung Albernheit und der sie betreibt ein Possenreißer, wer zu wenig davon hat ein Unbeholfener und seine Eigenschaft Grobheit heißen. Das Gefällige betreffend, was nun noch übrig ist, in bezug auf den täglichen Umgang, so heißt der, der im rechten Maß gefällig ist, freundlich, und die rechte Mitte Freundlichkeit; wer es in zu hohem Grade ist, wenn ohne Nebenabsicht, liebedienerisch, wenn aber um seines eigenen Vorteils willen, kriechend. Wer es an dem rechten Maße fehlen läßt und in allen Dingen sich ungeberdig zeigt, mag etwa ungeschliffen und widerborstig heißen.

      Nun gibt es aber auch eine rechte Mitte in den Empfindungen und in dem was mit ihnen zusammenhängt. Schamhaftigkeit ist keine Willensbeschaffenheit, aber sie erwirbt sich Lob, und ebenso der Schamhafte; denn auch dabei redet man von einer rechten Mitte, vom Zuviel und Zuwenig. Wer darin zu weit geht, der Blöde, ist der, der sich vor allem geniert; wer nicht weit genug geht und sich überhaupt vor nichts geniert, heißt unverschämt, dagegen wer die rechte Mitte hält, schamhaft. Gerechtigkeitsgefühl bildet die Mitte zwischen Neid und Schadenfreude; diese sind die Empfindungen von Schmerz und Freude über das, was dem Nächsten begegnet. Den Mann von Gerechtigkeitsgefühl verdrießt das Glück des Unwürdigen; den Neidischen, der weiter geht als dieser, verdrießt fremdes Glück überhaupt. Den Mann von Gerechtigkeitsgefühl betrübt unverdientes Leid anderer; der Schadenfrohe aber bleibt so weit hinter solcher Betrübnis zurück, daß er geradezu Freude darüber empfindet.

      Indessen davon zu handeln, wird sich die Gelegenheit noch anderswo bieten. Dagegen von der Gerechtigkeit werden wir, da das Wort nicht bloß in einer Bedeutung gebraucht wird, später so handeln, daß wir die beiden Arten unterscheiden und dann von beiden aufzeigen, inwiefern dabei der Begriff der rechten Mitte Platz hat; und ebenso werden wir dann auch den Intellekt auf seine Bedeutung für die Sittlichkeit untersuchen.

      Es gibt also drei Arten des Verhaltens; zwei davon, die eine, die ein Zuviel, und die andere, die ein Zuwenig bedeutet, sind fehlerhaft; die dritte, das Innehalten der rechten Mitte, ist das Richtige. Alle drei stehen zueinander eigentlich im Verhältnis des Gegensatzes. Die beiden ersteren sind der rechten Mitte und sind einander entgegengesetzt, und ebenso die Mitte den Extremen. Wie das was einem dritten gleich ist, im Verhältnis zum Kleineren das Größere, im Verhältnis zum Größeren das Kleinere ist, so bedeuten die Verhaltungsweisen, die die rechte Mitte innehalten, im Verhältnis zum Zuwenig ein Mehr und im Verhältnis zum Zuviel ein Weniger, und das ebensowohl beim Affiziertwerden wie beim Sichbetätigen. Der Mannhafte erscheint dem Feigen gegenüber verwegen, dem Verwegenen gegenüber feige; ebenso erscheint wer sich in der Gewalt hat dem gegenüber den nichts aufregt ausgelassen und dem Ausgelassenen gegenüber gefühllos, der Freigebige dem Knickrigen gegenüber verschwenderisch, dem Verschwender gegenüber knickrig. So lehnen denn die auf der extremen Seite Stehenden den der sich in der Mitte hält jeder von sich ab und weisen ihn dem anderen Extrem zu; den Mannhaften nennt der Feige verwegen, der Verwegene feige, und das gleiche Verhältnis zeigt sich auch in den übrigen Fällen.

      Während nun so diese zu einander im Gegensatz stehen, so ist doch der Gegensatz der Extreme untereinander der stärkste und stärker als der zur rechten Mitte. Denn die Entfernung zwischen jenen ist größer als die zwischen ihnen und der Mitte, geradeso wie das Große vom Kleinen und das Kleine vom Großen weiter absteht als beide vom Gleichen. Indessen gibt es gleichwohl Fälle, wo sich zwischen den Extremen und der rechten Mitte eine gewisse Verwandtschaft zeigt, so zwischen der Verwegenheit und der Mannhaftigkeit, zwischen der Verschwendung und der Freigebigkeit, während die Extreme untereinander am wenigsten verwandt sind. Was von einander am weitesten absteht, das bestimmt man begrifflich als das konträr Entgegengesetzte, und darum bedeutet auch weiterer Abstand schrofferen Gegensatz. Der Gegensatz zur rechten Mitte aber ist größer bald bei dem was ein Zuwenig, bald bei dem was ein Zuviel bedeutet. So bildet zur Mannhaftigkeit den schärferen Gegensatz nicht die Verwegenheit, die ein Zuviel, sondern die Feigheit, die ein Zuwenig bedeutet; dagegen zur Selbstbeherrschung wieder nicht die Unempfänglichkeit, die ein Zuwenig, sondern die Ausgelassenheit, die ein Zuviel bedeutet. Das stammt aus einem doppelten Grunde. Der Grund liegt einmal in der Sache selbst. Weil das eine der beiden Extreme der rechten Mitte näher liegt und verwandter ist, darum stellen wir jenem nicht diese, sondern das andere Extrem gegenüber. So z.B. bei der Mannhaftigkeit. Weil die Verwegenheit ihr näher und verwandter, die Feigheit minder verwandt erscheint, stellt man diese letztere in den Gegensatz zu ihr. Denn was von der Mitte weiter absteht, das, nimmt man an, bildet auch den schärferen Gegensatz zu ihr. Ist dies nun der eine Grund, der der Sache selbst entnommene, so liegt der andere in uns selbst. Wozu wir selber von Natur irgendwie die stärkere Hinneigung verspüren, das stellt sich uns in schärferem Gegensatz zur Mitte dar. So fühlen wir uns von Natur mehr zu dem hingezogen was uns Vergnügen macht, und es liegt uns die Ausgelassenheit näher als die Wohlanständigkeit. Wir bezeichnen also das als den schärferen Gegensatz, wozu wir uns mit stärkerer Kraft hingezogen fühlen, und deshalb ist der Gegensatz, in dem die Ausgelassenheit, die ein Zuviel besagt, zur Selbstbeherrschung steht, der schärfere.

      Darüber also, daß sittliche Tüchtigkeit das Innehalten der rechten Mitte und in welchem Sinne sie dies bedeutet, ferner daß das wo zwischen sie die rechte Mitte innehält die beiden fehlerhaften Abweichungen, das Zuviel und Zuwenig sind, und daß sie diese Beschaffenheit hat, weil sie im Affiziertwerden wie im Sichbetätigen die rechte Mitte sich zum Ziele zu setzen bestimmt ist, haben wir damit ausreichend gehandelt. Da liegt nun auch der Grund, weshalb es eine so schwierige Aufgabe ist, sittlich tüchtig zu sein. Denn in jedem einzelnen Falle die rechte Mitte zu treffen ist sehr schwer. So ist das Zentrum eines Kreises zu finden eine Aufgabe nicht für jedermann, sondern nur für den Kundigen. So ist es wohl jedermanns Sache und leicht, sich zu erzürnen oder sein Geld auszugeben und zu vertun; dagegen ist es nicht jedermanns Sache und nicht leicht, zu entscheiden, wem, wieviel, wann, zu welchem Zweck und in welcher Weise man geben soll. Das Richtige ist deshalb etwas Seltenes, etwas Preiswürdiges und Edles.

      Wer nach der rechten Mitte zielt, muß darum zunächst das lassen, was dazu im schärferen Gegensätze steht; so mahnt auch Kallypso:

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