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und betrogen erschien, obwohl er allen zu mißtrauen begann, allen menschlichen Gesichtern. Ihm war, als stehe er in einer Gewitterwolke und dürfe sich nicht bewegen, um nicht den Blitz aufzustören. Schauer auf Schauer rieselte über seinen Nacken. Während eines Gedankens Kürze dachte er an Umkehr und daß er nicht mehr zurückkonnte. Die er hergeführt, drängten ihn weiter, nichts vermochte sie zu hemmen, ihr Wille hatte die Gewalt einer Wassersflut. Aber ihm dünkte es unmöglich, die Ereignisse rollen, die Umstände mächtig werden zu lassen, zu einem Knecht der Gelegenheit herabzusinken, hin-und herzuirren zwischen Zufall und Augenblicksgunst, die Gefahr schon an ihrem Schatten zu messen, Einsatz und Gewinn aneinander abzuwägen und statt Herr über die Dinge zu sein, in gemeiner Furcht ihren Lauf zu erklügeln.

      Unwillkürlich reckte er sich auf; er befahl, die Chaldäer gefangen zu setzen.

      Sehr erschrocken, wagten die Soldaten nicht den Befehl auszuführen. Er wiederholte seine Worte. Die Söldner umringten die sieben Priester. Ein höchst sonderbares Lächeln schwebte um den Mund des Ältesten; keiner von ihnen zeigte Unwillen oder Angst.

      Am Abend zog Alexander das makedonische Kleid an, setzte die Purpurmütze auf und bog die breite Krämpe weit ins Gesicht; er wollte durchs Lager gehen und ungestört bleiben. Er nahm seinen Lieblingshund Perita mit, ein indisches Windspiel.

      Die meisten Zelte waren schon abgebrochen. Von den herausgerissenen Stangen war das Erdreich aufgewühlt, und Sand war zu Haufen geschüttet, auf denen die Asche der Küchenfeuer lag. Der Boden war besät von Dattelkernen, Knochen, Speiseresten und weggeworfenem Tand. Der Abend war mild. In der schwarzblauen Höhe zogen weißliche und im Westen goldgelbe Wolken dahin, langsam wie führerlose Kähne.

      Lässig schritt Alexander durch die Gruppen der hingelagerten Söldner. Einige spielten Würfel, andere das Städtespiel, andere sangen. Viele saßen beim Essen vor großen dreifüßigen Pfannen, in denen riesige Stücke gekochten Fleisches schwammen. Ein dicker gefräßiger Bursche hatte einen mit Sardellen gefüllten Korb zwischen den Knien und stopfte die Fische mit beiden Händen in den Mund. Er lud seine Freunde ein mitzuhalten, aber sie trauten sich nicht, sie fürchteten die syrische Göttin, die den Sardellenesser mit Abzehrung der Leber heimsucht.

      Bei einer thessalischen Abteilung entstand Streit. Schreiend und mit blanken Schwertern drangen sie aufeinander ein. Nicht wie sonst trat Alexander hinzu, um Ordnung und Recht zu schaffen, achtlos ging er vorbei, ging durch das Gewühl kreischender Weiber. Asiatinnen und griechische Dirnen hockten auf der Erde und warteten auf Käufer ihres Leibes. An dunkleren Orten, im Schatten der Gebüsche sah man Paare, die sich umschlungen hielten.

      Auf einmal war es still um Alexander geworden. Rings auf der bloßen Erde lagen lauter Schläfer. Nicht Männer, nicht Soldaten; es waren die zurückgebliebenen Kinder der heimgezogenen Veteranen. Manche Mütter saßen, da es noch früh in der Nacht war, aufrecht neben den Schlummernden. Was mochten sie sinnen? welches Antlitz mochte ihnen die Zukunft zeigen, welche dürre Hoffnung nährte wohl ihr Herz?

      Zu Hunderten lagen sie da, auf Stroh und trocknes Gras gebettet, vom Säugling bis zu dem Alter, wo die nächtlichen Träume schon durch einen Strahl der Vernunft beleuchtet werden. Die Luft schien bewegt durch ihren unschuldigen Atem. Eine Erinnerung glomm in Alexander empor und wurde hell, als der Gedanke sie berührte.

      Er ließ sich auf eine abgebrochne Baumwurzel nieder, rief Perita und streichelte das seidige Fell des Hundes. Und er dachte an den Inder Kondanyo, der einst – so war es ihm gegenwärtig – mitten durch das flammende Abendrot gezogen war und den Kindern der Wüstengefallenen Schutz erfleht hatte. Noch hörte er das Wort: Süß ist die Einsamkeit! und er schüttelte den Kopf und dachte: bitter, bitter ist die Einsamkeit. Warum war also keine Wahrheit im seligen Glanz jenes Angesichts?

      Zur selben Stunde starb in Babylon Kondanyo, müde vom Anblick der menschlichen Geschäfte, satt und übersatt des unvollkommenen Lebens, den freiwilligen selbstgewählten Tod auf dem Scheiterhaufen.

      Als Alexander in die Fackel und Feuerhelle des Lagers zurückgekehrt war, blieb er vor einem großen Zelt stehen und horchte auf den herausschallenden Lärm. Er trat hinein. Etwa fünfzig seiner Freunde waren zum Gelage versammelt. Es hatte etwas Traumhaftes für Alexander, sie alle so zu sehen; er hatte eine Empfindung wie: so wird es nirgends und niemals wieder sein auf dem Erdenrund; und doch glaubte er, daß seine Seele es schon einmal so qualvoll erlebt habe wie jetzt, vielleicht auf ihrer Wanderung durch einen früheren Leib.

      Ein peinliches Schweigen entstand, als die Zecher Alexander gewahrten. Seine grübelnde Miene, sein bohrender Blick, das Zucken des scharlachnen Mundes in dem bleichen Gesicht raubten ihnen die Unbefangenheit. Deutlicher als je spürten sie die Macht, die er über sie hatte, die Demütigung, die ihnen seine bloße Gegenwart auferlegte, das Wunderbare, ja Erschreckende seiner Person.

      Er nahm auf einem Ruhelager Platz, grüßte mit hastigem Lächeln und verlangte zu trinken. Es fanden sich Schmeichler und Schwätzer und schöne Knaben um ihn zusammen. Zwei schmarotzende Literaten stritten, ob er zweihundert oder dreihundert Jahre alt werden würde. Er trank viel, begann zu sprechen, aber seine Worte waren leblos. Er bat Eumenes, zu den Chaldäern zu gehen, die in einem dachlosen Zelte gefangen saßen. Sie sollten in dieser Nacht wohl auf den Lauf und das Antlitz der Gestirne achten, ließ ihnen Alexander sagen, und kein günstiges Zeichen sollten sie vergessen. Also in die Sterne setzest du deine Sicherheit? schien das ernste Auge von Eumenes zu fragen.

      Die Chaldäer saßen schweigend auf dem Teppich ihres Zeltes. Die Hände gefaltet, die gelben Gesichter von keiner Regung des Innern beseelt, blinzelten sie bald matt vor sich hin, bald hinauf in den Himmel. Die Nacht war kühl und wurde kalt, das Getöse des Lagers verrauschte. Mit jeder neuen Nachtwache trat ein anderer in die Mitte des Raums. Der Palmstab wurde gerichtet, die Wasseruhr lief ihren Gang. Wolken zogen über den Himmel wie lange schwarze Mäntel. Der Königsstern lohte dunkelrot wie ein Blutstropfen.

      Aber noch andre Dinge als das Werden und Ineinandergreifen der kleinen Menschenschicksale wußten die Chaldäer vom Firmament zu lesen. Sie ahnten glühende Welten dort oben, sie ahnten im zwiegespaltenen Bogen der Milchstraße, dem Abbild von Euphrat und Tigris, mehr als den blassen Nebelstreif, den das Auge sah. Sie verfolgten Bewegung um Bewegung, und das Tote ward lebendig, das Kleine ungeheuer. In mancher Nacht konnten sie die drückende Fessel des Irdischen abstreifen, ohne die Erde zu verlassen, die Maske des Aberglaubens fortwerfen, und ihr Herz, erfüllt von der Weltenstille des Sternenraumes, fürchtete nicht mehr die niedern Dämonen, denen sie zu Babylon willig dienten.

      Am Morgen gaben sie Alexanders Boten die Auskunft, er möge nicht in Babylon einziehen, zum wenigsten möge er warten, bis der Monat Ululu vorüber sei. Wolle er aber dennoch den Gestirnen Trotz bieten, so möge er beim Einzug gegen Morgen schauen, durch das Tor des Westens gehen und im Haus des glänzenden Berges beten, im Tempel der Göttin Gula.

      Eine Stunde nach Sonnenaufgang stand kein Zelt mehr außer den königlichen. An hundert Punkten zugleich ertönten die Trompetensignale. Die Erde dröhnte unter der Bewegung der Menschen-und Tiermassen. Eine unabsehbare Wolke feinen grauen Staubes zog sich längs der ganzen Straße gegen Babylon hin. Die vordersten Abteilungen verloren sich schon klein wie Insektenschwärme unter dem blaßblauen Horizont. Die Kanäle dampften.

      Nur die berittene Leibschar, die den Tagesdienst hatte, wartete noch auf den Befehl zum Aufbruch, und erst tief am Nachmittag kam die ersehnte Weisung. Alle Arme griffen gierig zu. Die Tücher wurden gefaltet, die Stangen aufgepackt, die Bänke, Sessel, Ruhelager, Kissen, Teppiche verladen. Alexander stieg zu Pferd, Lysimachos, Leonnatos und Seleukos ritten an seinen Seiten, dahinter Peithagoras und ein zweiter Wahrsager, dann die Söldner und zuletzt auf ihren gefärbten Eseln, noch immer sorgfältig bewacht, die sieben Chaldäer.

      Alexander wandte sich ab von der Straße, die das Heer gezogen war, und schlug die Richtung gegen den Euphrat ein. Einige glaubten, er wolle drüben in der Steppe jagen, sie reckten die Hälse und spähten nach dem schweifenden Getier.

      Ruhevoll floß der mächtige Strom zwischen den flachen Ufern. Das dunkelgrüne, kaum gewellte Wasser ähnelte einem straff gespannten, faltenlosen Tuch. Selten gurgelte ein Strudel, selten sprang ein Fisch in die Höhe. Etwas Erhabenes lag im

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