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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
Читать онлайн.Название Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann
Год выпуска 0
isbn 9788027208593
Автор произведения Jakob Wassermann
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Drypetis verstand ihn nicht, doch was er sagte, weckte in ihrem Innern ein Echo, dem sie sinnend und verwirrt nachlauschte. Sie heftete einen Blick grundloser Dankbarkeit auf Hephästion.
»Geh nur, Drypetis,« sagte er, »du bist frei. Nach habe ich dich nicht angetastet. Vermähle dich mit einem deines Volkes.«
Geheimnisvoll lächelnd schüttelte Drypetis den Kopf. »Nicht nur mit dem Leib sind Menschen aneinander gebunden,« antwortete sie, und nach kurzem Schweigen fuhr sie flehend fort, Hephästion möge in dieser Nacht den Palast nicht verlassen. »Ich hatte einen Traum,« sagte sie, »Traumfurcht zwingt mich zu der Bitte …«
Hephästion schwieg.
Leider hat die Zunge nur ihre Worte und das Herz nichts als seine Angst, dachte Drypetis. Sie nagte beklommen an der Unterlippe. Bevor sie den Schleier über das Gesicht zog, schien es sich von innen heraus zu verschleiern. Dann ging sie.
Nach einer Weile verließ Hephästion ebenfalls den Raum und schritt den Gang entlang bis er in ein kleines, kuppelähnliches Rundgemach kam, das um mehrere Stufen tiefer lag, von den bewohnten Räumen entfernt. Es war durch eine Öllampe erhellt, deren Schein auf die hölzerne Statue eines gefesselten Eros fiel. Die Figur stand auf niedrigem Postament, ihre verwitterten Züge, ihre vielfach beschädigten Glieder deuteten auf hohes Alter. Doch entbehrte sie keineswegs einer edlen kargen Schönheit. Der Leib über den enggeschlossenen Beinen war schmal und lang, der Ausdruck des Gesichts von besonnener Freundlichkeit.
Hephästion nahm einen Talisman, der ihm an silberner Kette um den Hals hing und legte ihn zu Füßen des Eros nieder. Als er aus dem friedlichen Kreis des Gottes trat, war ihm traurig zu Sinn. Den Tod fürchten wir, das Leben sollen wir nicht lieben, dachte er, so führt der Weg ins Dämmernde und Gefühllose.
Er verließ den Palast, stieg die Terrasse hinab und ging in die schwüle Nacht hinein.
Die Straßen waren leer. Die Sterne blinzelten dumpf durch die Dünste, die den Himmel belagerten. Es gluckste das Wasser eines Kanals, Schilf stand an den Ufern. Aus weiter Ferne tönte der Lärm des Lagers. Ein niederer Tempelbau tauchte auf, von kleinen Kuppeln gekrönt.
In einer Anwandlung von Schwäche ließ sich Hephästion unter einer Tamariske auf die Erde nieder. Es war etwas Ärgeres als Trunkenheit in ihm, lähmender als Fesseln. Er konnte durch die Mauer hindurch in den lichterfüllten Raum des Tempels sehen. Er sah das Gesicht eines Weibes, das mit getrennten Lippen wild und stier lächelte. Vierundzwanzig Lampen brannten im Kreis, für jede Stunde des Tages eine. Die Mauern aus blauglasiertem Ton bogen sich schwerfällig nach aufwärts und vereinigten sich in einem goldenen Ring, von welchem zuckend eine Schlange herabhing. An der Wand dehnte sich vielfarbig, von einem Ende zum andern hinübergebogen, mit den Flügeln den Kreis der Wölbung umspannend, der Dämon des Fiebers: ein halbentfleischter Totenkopf mit gelblohenden Augen und Ziegenhörnern; mit vier Flügeln am Rumpf, schien er durch einen selbstgeschaffenen Raum verderbenspeihend einherzurasen.
Das Weib erhob sich. Langsam schritt sie zu der ersten Lampe und blies sie aus, dann zur zweiten, zur dritten, und so ringsum. In dem Maß wie die Beleuchtung immer düsterer wurde, verfinsterte sich ihr Gesicht, und als sie beim Licht der Mitternachtsstunde angekommen war, zeigte es kein Lächeln mehr. Durch ihre geschlossenen Augen sickerten Tränen, ihr Mund war verzerrt. Sie verlöschte das letzte Licht. Der Leib der Schlange leuchtete phosphorisch …
Hephästion schlief. Die durchwachten Nächte forderten ihre Stunden zurück. Doch allmählich ging sein Schlaf wieder in halbes Wachen über, und er vernahm eine Stimme:
Von Millionen Jahren bin ich auserwählt,
Dem unteren Himmel entstiegen,
Ich habe die Sterne des Himmels gezählt,
Muß über den Wassern fliegen.
Es schwindet der Fluß, die Erde sprüht,
Das Auge des Vaters im Zorn erglüht,
Finster bin ich, finster bin ich.«
Die Augen aufschlagend, sah Hephästion fackeltragende Sklaven, die ihn umstanden. Und dicht vor ihm das Weib, das er visionenhaft im Tempel gesehen. Doch erkannte er sie jetzt, es war Liblitu, die während Alexanders Abwesenheit Klage über die Leute des Meno geführt hatte. Das rötliche Haar umflatterte mähnengleich ihr Gesicht. In ihren Augen lag das Fieber, ihr Körper schauderte vom Fieber, und sie kam, um Heilung zu erflehen, zum Tempel des Fiebergottes.
Eine eisige Erwartung entstand in Hephästion, ob das Gebilde sprechen würde, welche Worte den verruchtlächelnden Mund verlassen würden. Unwillkürlich hob er den Kopf. Und plötzlich spürte er sich umfaßt, Arme um seinen Hals, tastende Hände an seinem Nacken, den Hauch eines Mundes und sah ein Gesicht, gefährlich lachend vor Lust und Mord und Liebe. Denkst du nicht an das Wehgeschrei der Kinder in den Flammenhaufen? flüsterte es; sie streckten die Arme aus, und es glich einem Wald von kleinen Baumstämmen mit geschälter Rinde. Hörst du die Mütter schreien? Blut strömt durch die marmorgepflasterten Straßen. Hörst du die Mütter schreien wie eingesperrte Wölfe? Fühlst du, wie Asien zittert? Ich liebe dich, Zerstörer, trinke den Tod aus mir, deine Augen will ich dir aus dem Kopf schlürfen …
Hephästion vergingen die Sinne. Aufschreiend, aufjubelnd warf sich die Babylonierin über ihn, bohrte die Zähne in seine Schulter und trank sein Blut, und wenn sie den Kopf erhob, um Atem zu schöpfen, gellte sie den Namen der Anahita in die Luft. Hephästion war es, als erlitte er einen beständigen qualvollen Tod. Er hörte das eigene Blut tönend in den Adern rollen, das Herz pochte laut wie der Hammer einer Glocke, schwefliges Licht umgab ihn, die Fackeln verschwanden, die Morgenröte überzog das ganze Rund des Himmels, giftiger Schlaf überwältigte ihn, und aus dem Wasser stiegen die Dünste.
Sechstes Kapitel.
Fieber
Im selben Morgenschein kam vom Tigris herüber Arrhidäos mit seiner Schar. Zehn Tage war er in der Ebene jenseits des Stromes geblieben. Während ein großer Teil seiner Söldner heimlich ins große Lager entwich, verweilte er geduldig Tag um Tag, flöteblasend, fischefangend oder jagend, bis alle Vorzeichen günstig waren.
Durch das westliche Tor zog er in die Stadt und zum Palast, stieg vor der Terrasse vom Pferd und ging, von seinen Hauptleuten begleitet, rasch die Treppen hinauf. Von der Wache am Portal angehalten, nannte er ärgerlich seinen Namen. Alexander ist im Bad, hieß es. »Ich bin Alexanders Bruder,« sagte Arrhidäos eindringlich und stolz. Wenn du nicht Alexander selbst bist, können wir dich nicht einlassen, wurde ihm erwidert.
In diesem Augenblick kamen Leonnatos und Perdikkas aus dem Tor. Ihre Mienen verrieten eine gewisse Bestürzung. Alexander hatte nach Hephästion verlangt, als er vom Gelage zurückgekommen war, und seit einer Stunde suchten sie Hephästion, hatten ins Lager geschickt, in die Zelte seiner Freunde, in die Frauenwohnungen.
Arrhidäos erkannte Perdikkas. Er trat auf ihn zu und sagte mit einer Herzlichkeit, mit der man einen Freund nach Jahren der Trennung begrüßt: »Dich liebt Gott, mein Perdikkas! Du bist jünger als vor zwölf Jahren, der Ruhm steht dir gut. Erinnerst du dich meiner? Ich bin Arrhidäos. Geh, sag’ doch meinem Bruder Alexander, daß ich ihn sehen möchte.«
Perdikkas stutzte und konnte wie Leonnatos sich nicht enthalten zu lächeln; vielleicht über das naive Selbstbewußtsein im Gegensatz zu dem dürftigen Aufzug