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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
Читать онлайн.Название Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann
Год выпуска 0
isbn 9788027208593
Автор произведения Jakob Wassermann
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Zwei Tage später, als er sich entschlossen hatte, nach Südwesten zu steuern, wo nach den Andeutungen der Indios (so nannte er sie, da er ja überzeugt war, sich in Indien zu befinden) noch anderes Land war, berichtet er, daß beim Tagesgrauen der Strand von lauter jungen Menschen voll gewesen sei, alle von hohem Wuchs. »Es ist wahrhaftig ein schöner Menschenschlag«, beteuert er »ihre Haare sind nicht gekräuselt, sondern fallen lang herab und sind grob wie Roßhaar. Die Augen sind schön und keineswegs klein. Ihre Hautfarbe ist nicht schwarz, sondern wie die der Leute auf den Kanarischen Inseln, die Füße sind ganz gerade. Ich frug sie aufmerksam aus, um zu hören, ob sie Gold haben. Ich bemerkte, daß einige ein kleines Stückchen Gold in einem Loch tragen, das sie sich in die Nase machen, und es gelang mir, durch Zeichen zu erfahren, daß, wenn ich ihre Insel umschiffe und mich nach Süden wende, ich ein Land finden werde, dessen König eine große Menge von diesem Metall besitze. Ich versuchte sie dazu zu bringen, mich zu diesem Land zu führen, begriff aber bald, daß sie nicht wollten. (Das heißt, er hatte sich einer Anzahl von ihnen mit Gewalt bemächtigt und zwang sie zu Führerdiensten.) Das Gold, das sie in den Nasenlöchern tragen, findet sich wohl im Lande, aber ich lasse nicht danach suchen, um keine Zeit zu verlieren, denn ich will trachten, daß ich an der Insel Zipangu landen kann.«
Derselbe bezeichnende Vorgang wiederholt sich nun immer wieder. Er verläßt Guanahani, dem er den Namen San Salvador verleiht, und entdeckt eine zweite Insel, die er Santa Maria de la Concepcion nennt, eine dritte, die den Namen Fernandina, eine vierte, die den Namen Isabella erhält. Schickliche Ordnung: zuerst der Erlöser und die Mutter Gottes, dann die irdischen Majestäten. Überall begegnen ihm die Indios mit scheuer Freundlichkeit, nachdem sie die tiefe Angst vor den Fremdlingen überwunden haben, in denen sie Götter und Halbgötter erblicken. Niemals das geringste Anzeichen feindseliger Gesinnung, niemals eine boshafte Handlung, höchstens stehlen sie gelegentlich eine Kleinigkeit auf einem der Schiffe, etwas Glänzendes oder Buntes, das ihr naives Verlangen erweckt hat; damit machen sie sich dann eilig aus dem Staub, um es in Sicherheit zu bringen, sind aber, zur Rede gestellt, gern bereit, ihr ganzes Eigentum hinzugeben, wenn man ihnen nur erlaubt, das wunderbare glänzende oder bunte Ding, einen Spiegelscherben, einen Fetzen rotes Tuch, zu behalten. (Dies scheint, in allen Jahrhunderten vorher und nachher, das symptomatische Benehmen der sogenannten Wilden gewesen zu sein: der Kehricht europäischer Zivilisation, der glänzende Scherb und der bunte Fetzen reichen hin, sie in Entzücken zu versetzen und den Geist anzubeten, der dergleichen hervorzubringen imstande ist. Zweihundertsiebzig Jahre nach Columbus macht Kapitän Cook genau dieselbe Erfahrung in der Südsee.)
Ihr ganzes Gefühl gegen die Ankömmlinge ist Bewunderung und Verehrung. Uralte Sage, die in allen Stämmen von hier bis nach Mexiko, Guatemala und Peru lebendige Tradition ist, hat die Erwartung göttlicher Wesen in ihnen erregt, von Söhnen der Sonne, die aus dem Osten kommen und unermeßliche Freude und Schönheit spenden werden: ein Erlösungsmythos, der die Menschheit durch alle Formen ihres frühen Bewußtseins begleitet. »Sie dankten Gott«, notiert Columbus am vierzehnten Oktober, »warfen sich auf die Erde nieder, erhoben die Hände zum Himmel und luden uns ein, an Land zu kommen.« Aber das erste, was er am andern Morgen unternimmt, ist, einen Ort zu bestimmen, wo er eine Festung bauen kann. Etwas beschämt fügt er dem Bericht hinzu; es sei vielleicht doch nicht nötig, da die Leute in bezug auf den Krieg äußerst einfältig seien. In dieser Feststellung tritt eine nicht geringe Verachtung des zivilisierten gegen den unzivilisierten Menschen, des kriegerischen frommen Katholiken gegen den friedfertigen Heiden zutage, und so läßt sich auch seine Sorge über ihren Unglauben begreifen und wie man sie möglichst rasch zu Christen machen könne. Er hat Angst um ihr Seelenheil, soviel herrenloses Gut der Kirche bedrückt sein Gemüt. Doch weiß er sich am Anfang nicht zu stellen; er und seine Sendlinge sind im Befragen der »Wilden« nicht geschickt, es ergeben sich wunderliche Mißverständnisse, aber der Admiral hört nur, was er zu hören wünscht, d. h. er hört überhaupt nicht. Nur mit seinem fertigen Traumbild beschäftigt, erwartet er alsbald, daß die Schiffe des Groß-Chans in den von ihm entdeckten Häfen erscheinen werden und daß er das asiatische Festland in zehn Tagen erreichen muß. Da er an dieser Überzeugung nicht rütteln läßt, werden alle Auskünfte der Indios falsch gedeutet, umgedeutet und in seinem Sinn übersetzt, und was die Dolmetscher wie der sprachgelehrte Jude Luis de Torres, den er an Bord hat, hierin versäumen, besorgt er selbst. Wenn sie von einer Gegend namens Cami sprechen, glaubt er, sie reden vom Grandchan, und wenn sie von der großen Insel Kuba erzählen, versteht er Zayton und Quinsay. Sie bringen ihm Gemüse und Früchte, er aber will Gold. Er bemerkt und anerkennt ihre Zutraulichkeit und Sanftmut, ihren Diensteifer und ihre Bereitschaft, ihn als Gott anzubeten, jedoch ihre vollkommene Armut übersieht er gänzlich, er konstatiert nur mit Verwunderung, daß sie sich aus Gold nichts machen, was ihn noch mehr in der Meinung befestigt, daß jedes dieser kleinen Gartenparadiese von verborgenem Golde starrt. Und eine tiefe grüblerische Unruhe bemächtigt sich seiner: wie kann man des Goldes habhaft werden? wie die Indios zwingen, daß sie es herausgeben?
Seine Aufzeichnungen lassen keinen gültigen Schluß darüber zu, wie er sich in seinem Innern zu den Indios wirklich verhielt. Meines Wissens hat auch noch niemand diese Frage zum Gegenstand der Forschung gemacht, obwohl sie sicherlich geeignet wäre, manche Unergründlichkeiten seines Charakters aufzuhellen. Man kann ihn nicht beim Wort nehmen, es gibt auch keines, bei dem er zu fassen wäre. Der Mensch des fünfzehnten Jahrhunderts hat im Hinblick auf soziale Konvention und humane Regelungen eine Verstellungsfähigkeit, für die dem heutigen Menschen jeder Begriff fehlt, und wenn man meint, die Insulaner seien für ihn nichts weiter als die lebendige Staffage in einer fremdartig-anmutigen Landschaft gewesen, so wäre das ebenso falsch, als wenn man im sentimentalen Geist des achtzehnten Jahrhunderts annähme, er habe einfache Naturgeschöpfe in ihnen gesehen, die er aus dem Dunkel der Unwissenheit befreien wollte. Voraussetzen darf man nur die absolute Fühllosigkeit, und nicht bloß die des Menschen seiner Zeit gegen den Nichtchristen, den nackt gehenden Gottlosen und in Glaubensfinsternis vegetierenden Wilden, sondern noch viel mehr die Taubheit und Blindheit des von seiner Idee besessenen Menschen gegen alle Erscheinung auf Erden, es sei denn, er bedarf ihrer, damit sie von der Idee zeuge und sie fördere. Aus diesem Grund kann man auch nicht von der Habsucht des Columbus reden, wie es oft geschehen ist; sein unstillbares Verlangen nach Gold hat eine andere Wurzel als die gemeine Gier. Don Quichote ist nicht habsüchtig, wenn er von den Schätzen des Kaisers von Trapezunt phantasiert; er betrachtet sie als Tribut, den ihm das Schicksal schuldig ist, er braucht sie zu seiner Bestätigung.
Seine Haltung gegen die Indios ist von Anfang an feig, verräterisch und unsicher. Einerseits kann er ihre Naturhaftigkeit und Unverdorbenheit nicht genug rühmen, andererseits zerbricht er sich fortwährend den Kopf, wie er möglichst viel Profit aus ihnen ziehen kann, denn er betrachtet sie ja als sein Eigentum, in erster Linie als seines und dann erst als das der spanischen Krone. Am liebsten möchte er durch die Folter aus ihnen herausfragen, was er zu wissen begehrt; oder vielmehr, er will von ihnen hören, was er zu wissen vermeint, so behauptet er zum Beispiel, sie hätten ihm von hundsköpfischen Menschen und von anderen mit einem Auge mitten auf der Stirn erzählt, oder von Inseln, die nur von Amazonen bewohnt seien; er bezweckt dadurch, die Fabeleien antiker Schriftsteller, die für ihn ein scholastisch-wissenschaftliches Gepräge haben, mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Andererseits ist er klug genug, sie nicht einzuschüchtern, ehe sie ihm nicht ihre Goldlager (die nur in seiner Einbildung existieren) und den Weg nach der Hauptstadt des Groß-Chans verraten haben (der ebenfalls nur in seinem Wahn besteht). »Wenn es unserm Herrn gefällt,