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in der Natrur blieb nicht immer so ungetrübt. Langsam erwachte in ihm die Sehnsucht, seine Gefühle und Gedanken mitteilen zu können — leise und in vertrautem Gespräch mit . . . ja, mit wem? — Erst ziemlich spät nahm für ihn dieses ersehnte Du die Gestalt eines Mädchens an. Zunächst war es ein reines Wunschbild mit unbestimmten Zügen.

      Nach solchen Nachmittagen in der Natur ging er oft noch in die Kirche und versuchte in der Orgel aufklingen zu lassen, was ihn bewegte. Oft spielte er, bis es ganz dunkel war in dem hohen, kühlen Raum. Aber immer weniger glücklich verließ er das geliebte Instrument. Je älter er wurde, desto stärker zeigte sich ihm eine schmerzende Spannung zwischen der seligen Verträumtheit draußen in den Feldern und der kühlen Klarheit seiner Orgelmusik.

      Einmal geschah es dann, daß an einem Abend, da er bei der Orgel seine zerfließenden gegensätzlichen Stimmungen fassen wollte, plötzlich ein Mädchen hinter ihm stand, als er die Hände von den Tasten nahm, den verschwebenden Klängen nachlauschend.

      Ein kleines Geräusch machte ihn aufmerksam. Das Mädchen hatte sich heimlich wieder entfernen wollen. Nun blickten sie einander an; er erstaunt, sie verlegen. Zögernd kam sie einige Schritte zurück und sagte:

      „Verzeih bitte! Ich — — — ich habe die Musik gehört draußen, und es war so schön. Ich wollte wissen, wer da spielte und habe dich nun belauscht.“

      Sie schien noch weitersprechen zu wollen, aber dann blieb sie doch stumm, sah vor sich nieder und strich nur mit der Hand leise über das Holz der nächsten Kirchenbank. Thomas war so verwirrt, daß er nur wie gebannt auf diese Hand blickte, die das dunkle Holz streichelte. Er raffte sich endlich zu einer Antwort auf, aber als er herausbekam: „Ich — das ist — —“, da sagte sie gleichzeitig leise „Auf Wiedersehen“ und war verschwunden.

      Lange machte sich Thomas Vorwürfe, daß er sich so täppisch und unbeholfen benommen hatte. Was mußte Gisela Machenberg — denn sie war es gewesen — nun von ihm denken? Sie kannten sich freilich schon seit ihrer Kindheit, aber seit Jahren war Thomas nicht mehr mit Gisela zusammengekommen.

      In den letzten drei Jahren hatte Thomas Gisela nur flüchtig gesehen, wenn sie in den Ferien nach Hause kam, denn sie war bei ihrem Onkel gewesen, einem Bruder Pastor Machenbergs, der Direktor eines berühmten Lyzeums war, durch das auch Gisela gehen sollte. Schließlich hatte es die Krankheit der Mutter nötig gemacht, daß sie zurückkam, damit sie die Mutter pflegen und ihr einen Teil des Haushalts abnehmen konnte.

      Nachdem Thomas sie nun wiedergesehen hatte, bat er Karl, die Schwester zu grüßen, aber von der Begegnung an der Orgel mochte er nicht sprechen. Bald besuchte er dann wieder einmal wie gewöhnlich den Freund in der Pfarre, und dabei traf er auch Gisela. Er konnte sie aber nicht allein sprechen. Sie war freundlich wie immer, aber er fühlte sich ihr gegenüber befangen, und es schien ihm, als habe auch sie etwas gegen ihn. Es wollte ihm nun nicht mehr gelingen, so wie früher, im Innersten bewegt, auf seiner Orgel zu spielen. Das kam dem Tagebuch zugute. Die ersten Verse entstanden, aber er war kritisch genug, sie selbst schlecht zu finden. Allmählich wurde ihm klar, daß es Gisela war, die ihm seine Ruhe raubte. Aber hatte er denn ein Recht oder auch nur eine Möglichkeit, sich ihr zu nähern, nachdem er so unhöflich und unbeholfen gewesen war? Außerdem traf er sie ja nie allein. Auf dem Bummel nicht, in der Buchhandlung nicht, bei Machenbergs selbst auch nicht, denn da besuchte er ja Karl, und Gisela war meistens bei der Mutter oder mußte sich um den Haushalt kümmern.

      Heimlich wuchs seine Neigung, was ihn ihr gegenüber immer verlegener machte. Von beglückenden Phantasiebildern stürzte er in tiefe Schwermut; manchmal erfüllte ihn überschäumende Lebenslust, oft aber mußte er alle Kräfte aufbieten, um nur die einfachsten Tagespflichten zu erfüllen. Am liebsten stürmte er hinaus in die Natur — auch an trüben Tagen —, um in ihrer erhabenen Ruhe sich wiederzufinden. Bald vernachlässigte er die Orgel, bald zwang er sich zu vielstündigen Uebungen. Manchmal glaubte er, Wärme und Verheißung in Giselas Blicken zu erkennen, manchmal schien es ihm, als sehe sie ihm mit verwunderter Gleichgültigkeit nach. Wenn er die Mutter oder andere das Pastorentöchterlein loben hörte, war er stolz auf sie, um gleich darauf um so trauriger zu werden, weil er einsah, daß alle Beziehungen zwischen ihr und ihm ja nur in seiner erhitzten Phantasie bestanden. Ob sie ihn überhaupt leiden mochte? Sie war freundlich zu ihm wie zu jedermann, aber er bemerkte, daß sie mit anderen freier umging. Fast mied sie ihn ein wenig.

      Christa hatte lange durchschaut, wie es um ihren Bruder und ihre Freundin stand und beschloß, ein wenig Vorsehung zu spielen. Als Gisela Geburtstag hatte, nahm Christa sie beiseite und flüsterte ihr zu, Thomas wollte ihr gern eine Freude machen, und sie möge doch am Abend zu der gleichen Stunde wie damals, als sie ihn belauscht habe, in der Kirche sein. Alles andere werde sie hören. Zu Thomas aber sagte sie, Gisela habe gefragt, ob er ihr nicht zum Geburtstag einen Gefallen tun wolle. Sie wünsche sich, daß er ihr gegen Abend in der Kirche etwas vorspiele. Er solle nur gar nicht auf sie achten und einfach so spielen wie damals. Von dieser Begegnung der beiden wußte Christa durch Gisela, die in einer vertrauten Stunde einmal darüber gesprochen hatte.

      Thomas wurde erst blaß und dann rot; schließlich versprach er alles und wollte sich gleich ans Ueben begeben. Christa hielt ihn indessen zurück; Gisela habe besonders gebeten, er solle ganz so spielen wie damals, keine Glanzstücke, sondern wie es ihm einfalle, aus sich heraus.

      Mit banger Erwartung ging er abends in die Kirche, begann erst ein wenig unsicher über ein Bachsches Thema zu improvisieren, dann aber entzückte ihn die Gewalt dieser Klänge, und allmählich vergessend, weshalb er spielte, verlor er sich ganz in den Zauber dieser Musik.

      Und wieder war es wie damals. Er lauschte dem letzten Akkord und wendete sich, durch ein kleines Geräusch aufgeweckt, um. Da reichte ihm Gisela die Hand, ohne etwas zu sagen.

      Christas List hatte die Spannung zwischen ihnen aufgehoben; sie begegneten sich nun unbefangener. Aber wenn sie jetzt wußten — jeder von sich selbst gewiß, vom anderen mit banger Hoffnung —, daß sie einander gut waren, so ließen sie es sich doch nicht anmerken, wenn sie jetzt auch öfter zusammentrafen. Auch Gisela spielte recht gut Klavier und wagte sich nun, unter Thomasʼ Anleitung, an die große Orgel. Da sie eine schöne Stimme hatte, musizierten sie manchmal auch gemeinsam. So wurden sie gute Freunde, fühlte sich aber gleichwohl nicht für immer glücklich in diesem Zustand, und jeder erwartete irgendeine Entwicklung vom anderen.

      Da kam jene Schulwoche vor den großen Ferien, in denen Thomas nach England fahren wollte.

      4.

      Dieser letzte Sonntag vor den Ferien schien alle Sonnenpracht des Sommers in sich zu vereinigen. Wie jeden Sonntagmorgen, hatte Thomas zum Gottesdienst gespielt. Der alte Kantor Herse, bei dem er die ersten Orgelkenntnisse erlernt hatte, war gestorben, und da der Kirchenrat einverstanden war, übte Thomas das Organistenamt an der kleinen Kirche aus. Zu seinem Unterricht mußte er immer über Land nach Hellwedel zu Professor Gehrmann. Gehrmann hätte ebensogut in der Großstadt eine berühmte Kantorenstelle haben können, aber er liebte das Land, die Muße und die kleine Silbermannorgel in der Kirche von Hellwedel. Für Thomas war das ein Glück, denn sonst hätte er schwerlich einen solchen Lehrer gefunden.

      An diesem ersten Sonntage im Juli stand er nach dem Gottesdienst noch plaudernd mit Gisela und Karl Machenberg unter den mächtigen Linden des Kirchgartens. Auf der Hauptstraße gingen sonntäglich gekleidete Menschen spazieren, und ein warmer Friede lag in der Luft. Durch das dichte Blätterdach der Linden fiel gedämpft das Sonnenlicht und zeichnete lustige Kringel auf den sauber geharkten Boden und auch auf die drei jungen Menschen. Giselas helles Lachen klang oft auf, weil die beiden Freunde in bester Laune miteinander scherzten.

      „Ach, Kinder“, sagte Gisela und klatschte froh in die Hände, „heute ist ein herrlicher Tag. Mutti geht es wieder ein bißchen besser, die Ferien stehen vor der Tür und dieses Wetter . . .“

      „Ja, wir sollten am Nachmittag einen Spaziergang machen“, fiel Karl ein.

      „Großartig“, lobte Thomas, „Christa muß unbedingt mit. Die Eltern werden gewiß nichts dagegen haben.“

      „Ich freue mich so“, sagte Gisela, „aber nun muß ich mich schnell ums Mittagessen

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