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      »Ihr habt euch also gestritten«, stellte Fräulein von Zirpitz ohne Überraschung fest, »so etwas soll Vorkommen. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Yvonne: Versöhnen Sie sich wieder mit Helga, und zwar schnell.«

      »Ich denke gar nicht daran!« rief Yvonne aufgebracht.

      »Sie vergreifen sich im Ton, mein liebes Kind«, erklärte Fräulein von Zirpitz hoheitsvoll. »Aber davon abgesehen, Sie wissen, dass Schloss Hohenwartau seine Aufgabe nicht nur darin sieht, das Wissen seiner Schülerinnen zu erweitern, sondern sie vor allem auf die Aufgaben des Lebens vorzubereiten. Wenn Sie erst verheiratet sein werden …«

      »Ich bin es aber noch nicht!« Fräulein von Zirpitz überhörte den Einwand. »… können Sie Ihren Mann auch nicht einfach verlassen, wenn Sie sich einmal mit ihm gezankt haben! Die Ehe erfordert Selbstbeherrschung und Großzügigkeit.«

      »Woher wissen Sie das? Waren Sie schon mal verheiratet?« fragte Yvonne frech.

      Ein ungesundes Rosa stieg in das graue Gesicht von Fräulein von Zirpitz. Die Schülerinnen hielten den Atem an.

      »Sie sind unverschämt, Yvonne«, erklärte sie eisig. »Ziehen Sie sich für die nächsten zwei Stunden in den Studiersaal zurück. Ich werde Ihnen eine Lektion erteilen, die Sie auswendig zu lernen haben.«

      Yvonne drehte sich auf dem Absatz um, verließ das Wohnzimmer und knallte die Tür hinter sich zu.

      3

      Helga war, obwohl sie sich die Decke über die Ohren gezogen hatte, Zeugin dieser Auseinandersetzung geworden. Es war ihr klar, dass Yvonne einen Reinfall auf der ganzen Linie erlebt hatte.

      Aber dieser äußerliche Sieg tröstete Helga nicht über die Tatsache hinweg, dass ihre langjährige Freundschaft mit einem einzigen Schlag zerbrochen war.

      Und noch etwas anderes machte ihr zu schaffen: Sie hatte bis zum heutigen Tag nicht geahnt, dass sie nur Stipendiatin auf Schloss Hohenwartau war. Sie hatte, wie alle, gewusst, dass etwa zehn Prozent der Schülerinnen aus der sogenannten Begabtenreserve stammten und nichts zu zahlen brauchten. Aber Direktor Pförtner verriet niemals, wer zu dieser Gruppe gehörte.

      Helga konnte sich auch nicht vorstellen, wie Yvonne es herausbekommen hatte. Vielleicht hatte sie irgendwann eine Bemerkung aufgeschnappt, die nicht für ihre Ohren bestimmt gewesen war, oder vielleicht hatte sie ihren vergifteten Pfeil auch einfach ins Blaue losgeschnellt. Aber Helga machte sich nichts vor.

      Sie wunderte sich über sich selbst, wie sie so gedankenlos hatte sein können. Sie war ihren Eltern immer dankbar gewesen, dass sie sie dieses erstklassige Internat besuchen ließen. Aber niemals hatte sie sich darüber Gedanken gemacht, woher ihr Vater das Geld für eine so kostspielige Erziehung nehmen konnte. Denn obwohl er nicht schlecht verdiente, waren der große Haushalt mit den fünf jüngeren Geschwistern, die Miete des Hauses in München-Trudering teuer genug, um das Monatsgehalt eines Bankprokuristen zu verschlingen.

      Sekundenlang hatte Helga den Wunsch, ihre Koffer zu packen und auf und davon zu gehen. In der Stadt hätte sie wie jedes andere Mädchen ein Gymnasium besuchen können, ohne Schulgeld zu bezahlen.

      Aber sie verwarf die Idee, aufzugeben, sogleich wieder. Das konnte sie ihren Eltern nicht antun. Außerdem wusste sie, dass sie mit ihrem Abgang Yvonne nur den größten Gefallen getan hätte.

      Nein, Yvonne sollte nicht triumphieren. Helga war entschlossen, die Zähne zusammenzubeißen und durchzuhalten, und sie war sicher, dass ihr das um so leichter fallen würde, da die meisten in der Klasse auf ihrer Seite standen.

      Aber noch etwas anderes wurde Helga in dieser Nacht klar. Sie durfte sich nicht den kleinsten Flirt mit Dr. Herbert Jung erlauben. Sie gestand sich, dass er ihr viel bedeutete. Jedenfalls hatte sie sich so, wie sie jetzt empfand – mit dieser ziehenden, fast schmerzhaften Sehnsucht in der Herzgrube – immer die Liebe vorgestellt. Doch ihr Verstand sagte ihr, dass sie sich irren musste. Dr. Herbert Jung war ein erwachsener Mann, er sah sehr gut aus und war ausgesprochen intelligent – warum sollte er ausgerechnet an ihr Gefallen finden?

      Doch selbst wenn Tweedy Feuer gefangen hatte – wohin sollte das führen? Nicht nur um ihret-, auch um seinetwillen durfte das nicht so weitergehen. Direktor Pförtner war ein gerechter, aber äußerst strenger Mann. Selbst der Schatten eines Verdachtes würde ihm Anlass geben, dem jungen Lehrer zu kündigen und sie, die Schülerin, vom Internat zu entfernen.

      Die Mädchen auf dem Eliteinternat hatten alles: Tennisplätze, ein geheiztes Schwimmbad, die Möglichkeit zu reiten und Ski zu laufen, ein Fernseh- und ein Radiozimmer, sogar ein Heimkino, gutes Essen und erstklassigen Unterricht. Nur etwas war ihnen absolut verboten: der private Umgang mit Wesen männlichen Geschlechts.

      Die meisten Eltern zahlten das hohe Schulgeld nicht in erster Linie wegen der guten Erziehung, die ihren Töchtern hier zuteil wurde, sondern vor allem deswegen, weil sie in den gefährlichen Jahren gegen alle Verlockungen der Außenwelt wohl behütet wurden.

      Helga wusste, dass sie dieses Gesetz nicht übertreten durfte, wenn sie sich und dem geliebten Lehrer nicht erheblichen Ärger bereiten wollte.

      Auf jeden Fall musste es Schluss mit den privaten Beziehungen zwischen ihr und Dr. Jung sein, Schluss, bevor noch etwas begonnen hatte. Das schwor sich Helga in dieser Nacht. Sie würde sich ihm gegenüber völlig unpersönlich verhalten und jedes Zusammensein unter vier Augen vermeiden, so heftig und schmerzhaft ihr Herz auch bei dem bloßen Gedanken an ihn schlagen mochte.

      Sie konnte nicht schlafen. Sie ging nach unten, in die Duschräume. »Ein heißes Bad ist das Einzige, was mich wieder auf vernünftige Gedanken bringen kann«, dachte sie.

      Sie war gerade dabei, sich nun endgültig für die Nacht fertig zu machen, als der Duschvorhang aufgerissen wurde. Yvonne stand vor ihr, umringt von den anderen Mädchen. Helga sah erschrocken auf. »Wollen wir uns nicht wieder vertragen, Yvonne?« fragte sie schüchtern. »Sieh mal, wir müssen doch mindestens dieses Schuljahr noch miteinander verbringen. Es wird grässlich sein, wenn wir uns wegen eines Nichts in eine Todfeindschaft hineinsteigern!«

      »Das soll es ja auch!« knurrte Yvonne wütend und warf ihren Pullover in hohem Bogen in eine Ecke. »Es soll grässlich werden, du Biest. Du wirst schon sehen, wie es ist, wenn du nichts mehr geschenkt bekommst von mir, wenn du dauernd in deinen blöden Klamotten herumlaufen musst!«

      Jetzt war auch Helgas Friedensbereitschaft erschöpft.

      »Und du wirst dich wundern«, gab sie böse zurück, »Wie es sein wird, wenn dir niemand mehr den Lehrstoff dreimal vorkaut, bis du ihn endlich kapierst, wenn du niemanden mehr hast, von dem du abschreiben kannst, wenn Fünfer und Sechser auf dich hereinprasseln werden!« Es dauerte lange in dieser Nacht, bis die Mädchen, beide Groll und Weh im Herzen, endlich eingeschlafen waren. Eigentlich hatte Helga erwartet, dass Tweedy sich über ihr verändertes Wesen wundern würde. Ohne es sich einzugestehen, hatte sie gehofft, dass er sie bei nächster Gelegenheit fragen würde, warum sie sich so betont zurückhaltend und sachlich gab.

      In Wirklichkeit aber schien Dr. Jung nicht einmal zu bemerken, dass sie sich ihm gegenüber betont kühl benahm. Er tat ganz so, als ob er vollkommen vergessen hätte, dass sie vor gar nicht langer Zeit in seinen Armen gelegen hatte.

      Das war eine bittere Enttäuschung für Helga. Trotz allen Kummers aber war sie doch erleichtert, dass sie ihm wenigstens nicht gezeigt hatte, wie sehr sie sich nach einer Aussprache sehnte.

      Sie bedeutete ihm nichts, nun gut, jedenfalls konnte aber auch er nicht wissen, welche Rolle er in ihren Träumen spielte.

      Yvonne war durch nichts zu überzeugen, dass es keine privaten Beziehungen zwischen Tweedy und Helga gab. Nach wie vor verfolgte sie die frühere Freundin mit unerbittlichem Hass.

      »Menschenskind, du hast ja eine Meise!« sagte Babsy eines Tages in der großen Pause, als Yvonne wieder einmal ihre Schmährede gegen Helga losgelassen hatte. »Du brauchst die beiden doch nur mal zu beobachten, dann musst du doch merken, dass nichts zwischen ihnen ist.«

      »Denkst

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