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Die Sache, die man Liebe nennt. Lise Gast
Читать онлайн.Название Die Sache, die man Liebe nennt
Год выпуска 0
isbn 9788711509111
Автор произведения Lise Gast
Издательство Bookwire
›Nun hab’ ich nicht zugehört, na, ich werde schon herausbekommen, um was es sich handelt‹, dachte ich und lächelte ihn auf alle Fälle an.
»Natürlich wird es mir gefallen, wenn du es hübsch findest«, sagte ich bereitwillig.
»Vorsicht, Vorsicht. Es ist doch sehr wichtig«, sagte er und umfuhr einen Sattelschlepper mit Stroh auf dem Anhänger. Hier waren wir schon in ausgesprochen ländlichem Gebiet. »Das Haus liegt auf dem Dorf, nicht in einer hübschen Villensiedlung. ›Auf dem Dorf‹ ist auch nicht ganz richtig, es liegt vor dem Dorf. Der Mann, der es gebaut hat, wollte ringsherum alles aufkaufen, um die Aussicht nach keiner Seite hin zugebaut zu bekommen. Er starb ganz plötzlich, ehe er eingezogen war.«
Wir schwiegen alle drei. ›Wenn Uli jetzt ‚schönes Omen!‘ sagt, hau’ ich ihr eine runter‹, dachte ich, und Uli dachte vermutlich genau das, was auszusprechen ich ihr suggestiv verbot: ›Schönes Omen.‹ Sie sagte es indes nicht.
»Ist dir das arg?« fragte Jochen, was mich rührte. Eins zu Null für ihn, jawohl, auch Patentanwälte können, zumal in der Verlobungszeit, ungemein zartfühlend sein – ›durch Verliebtheit dem Schwachsinn nahe kommen‹, hätte Uli es zweifellos formuliert. Nun, die Gedanken sind frei, sagt ein altes Volkslied.
»Gar nicht arg!« sagte ich sogleich. »Ich meine, ich bedauere ihn natürlich, ihn und seine Familie ...«
»Hat er nicht«, berichtete Jochen. Sein volles, gescheites Gesicht mit der geraden Nase und den betäubend rasierten Wangen sah vorschriftsmäßig geradeaus. »Er war Junggeselle, der einzige, den ich in diesem Alter kenne, im näheren Bekanntenkreis jedenfalls.«
»Außer dir«, sagte ich und lachte, »außer dir – noch.«
»Ja, noch. Nicht mehr lange. Das eben wollte ich anschließend mit dir besprechen. Anschließend erst, und nur, wenn es dir gefällt. Wenn dir das Haus gefällt. Du mußt ehrlich sein, Alexandra, es ist eine wichtige Entscheidung für mich, verstehst du. Dann brauchten wir mit dem Heiraten nicht mehr zu warten. Worauf schließlich? Ich wollte dir meine Junggesellenwohnung mitten in der Stadt nicht zumuten, und ehe wir etwas anderes finden, das hätte natürlich eine Weile gedauert. Wenn wir aber dieses Haus kaufen ...«
Ich fühlte, wie es mir heiß in der Brust aufstieg. Geplant war nämlich, erst Ostern zu heiraten. Ostern – das liegt himmelweit, wenn der Herbst das Land vergoldet. Bis dahin hat man sich gewöhnt, ja, man sagt dann wahrscheinlich: ›Lieber ein Ende mit Schrecken.‹ Himmel, was für Ausdrücke für eine liebende Braut! Ich rief mich verwirrt zur Ordnung.
»Das wäre fein«, sagte ich also und fühlte einen Tritt von Uli, der mich schräg von hinten traf. Verstört überlegte ich, wie dies möglich sein konnte – ich saß doch auf einem ordentlichen Polster und hing nicht in Gurten wie in einem Citroën oder Renault oder einem andern sparsamen Studentenwagen.
»Wirklich? Du freust dich? Wie schön!« Jochen wandte mir einen Augenblick das Gesicht zu, und ich sah gerührt, wie es strahlte. O Jochen, natürlich freu’ ich mich.
»Aber ehrlich sein, Alexandra, bitte. Ich habe extra darum gebeten, daß deine Freundin mitkommt. Sie kennt dich und weiß, was dir gefällt. Und zu dritt kann man überhaupt besser besehen und beraten. Ich kaufe das Haus nur, wenn es euch beiden gefällt. Zufrieden?«
»Zufrieden? Mehr: dankbar«, murmelte ich. Uli trat wieder. ›Tritt du nur, infame Heuschrecke, ich werd’ es dir beibringen, wenn wir allein sind!‹ fauchte ich innerlich und war entschlossen, das Haus nun gerade schön zu finden. Nicht nur schön, sondern wundervoll. Und wenn der Dachfirst nach unten hing und die Decke des Wohnzimmers mit modischen Malereien verziert war, die einem für immer den Blick nach oben verekelten.
»Hier geht’s nach Lauterbach«, sagte Uli in mein leidenschaftliches Denken hinein. Ich fühlte eine herzliche Erleichterung. Uli ist doch die Beste, so borstig sie sich oft stellt.
»Richtig, hier biegt man ab. Einer meiner Brüder ist dort, zu einem Lehrgang. Ach ja, Lauterbach! Ich glaube, das wird meine schönste Zeit bleiben – vor der Ehe natürlich«, fügte ich schnell ein. »Dieser Kursus damals ... Lauterbach ist kein x-beliebiges Gestüt, Lauterbach ist ein Begriff, für jeden, der einmal dort war.«
»Ich hab’ es gehört. Und es soll auch deine schönste Erinnerung bleiben«, sagte Jochen freundlich. »Nur Reiten – nicht wahr, das hört nun auf. Ich bin froh, daß dir bisher nie etwas Ernstliches passiert ist. Wenn ich mir vorstelle, du säßest dort oben auf unberechenbaren Pferden – dort werden doch auch junge Pferde von Kursteilnehmern zugeritten –, dann hätte ich keine ruhige Minute mehr. Natürlich sehe ich auch einmal gern das schöne Material. Mit amerikanischen Geschäftsfreunden war ich einmal zur Hengstparade dort; die staunten, als sie hörten, wie alt das Gestüt ist. Alles Historische macht ihnen immer großen Eindruck.«
»Ja. In Amerika bewundern sie ein Haus, das achtzig Jahre alt ist – und in Lauterbach wird bald das Vierhundert-Jahre-Jubiläum gefeiert«, sagte Uli.
»Unsere Kreisstadt ist achthundert Jahre alt. Achthundert und ein paar dazu. Ich ging noch in die Schule, da wurde das Fest begangen. Alle reitbaren Pferde von Lauterbach hatte unser Reitverein geborgt, es waren über achtzig. Dieser Festzug! Alle Reiter in historischen Kostümen, sie ritten paarweise, und unser Reitleiter mit dem Dreispitz ...« Ich begann, Einzelheiten zu schildern. »Eine von uns hatte – ja?« fragte ich, wie erwachend. Der Wagen hielt. Ich sah verwundert um mich.
»Wir sind da«, sagte Jochen.
»In Lauterbach? Ich dachte ...«
Uli trat aufs neue, diesmal so derb sie konnte. ›Bist du bescheuert, holde Braut?‹ hieß dieser Tritt. ›Wenn wir schon ans Ziel unserer Reise kommen, dann mach bitte deine verklärten Glotzbibberle auf!‹
»Ach so, entschuldige.« Und dann, mit einem unterdrückten Schrei: »O Jochen, das kann doch nicht wahr sein! Ist das etwa das Haus?«
»Zu dienen, gnädige Frau.«
Es war kein Haus, wie sich sofort herausstellte, sondern ein Traum. Ein Traum jedenfalls für einen jungen Menschen unserer Zeit, der auch nur einen Funken Geschmack hat. Ich kniff mich immer wieder in den Arm, aber ich wachte nicht auf. Vielleicht war es doch Wirklichkeit. Ich vermochte es nicht zu fassen.
Das Haus war einstöckig und sah aus, als habe ein Schwede es sich ausgedacht und gebaut. Das Dach weit herabgezogen und von unten mit hellem Holz verschalt – überhaupt sehr viel helles Holz, wohin man auch sah, außen und innen. Im Kaminraum – oh, der Kaminraum!
»So was hab’ ich schon mal gesehen, in ›Film und Frau‹«, seufzte Uli und hatte alle Warnungen dieser und jener Art vergessen, »aber daß es so was in Wirklichkeit gibt ... Hier zu sitzen und Gäste zu haben ...«
Die Räume gingen ineinander über. Insofern konnte man nicht sagen, wie viele es waren. Aber man hatte gleichzeitig das Gefühl von sehr viel Platz und ebenso viel anheimelnder Gemütlichkeit. Das Ganze war einfach und unglaublich raffiniert – einfach unglaublich raffiniert, unglaublich raffiniert einfach. Ich stand und murmelte diese drei Adjektive vor mich hin, stellte sie um, wechselte sie aus und schüttelte den Kopf. Von Berufs wegen gewöhnt, im Text meiner »Streifen« die richtigen Worte so lange hin und her zu schieben, bis sie am richtigen Ort stehen, merkte ich: Hier standen sie immer richtig. Dies Haus war so richtig, wie ein Haus überhaupt nur sein kann. Nur –
»Nur?« fragte Jochen leise. Hatte ich gesprochen? Ich meinte, das Ganze nur gedacht zu haben. Oder war er etwa Gedankenleser? Jochen entwickelte sich ...
»Nur: daß ich hier wohnen soll. Ich meine natürlich: wir«, sagte ich und schüttelte den Kopf noch immer. Jochen sah mich an. In diesem Augenblick, so erzählte Uli mir später, sei ihr aufgefallen, was für schöne Augen Jochen hat. Grau, ein wenig tiefliegend – mit Schatten darin. Schatten, die wohl nirgends ausbleiben, wo das Leben weitergeht. Keiner bleibt jung, keinem wird erspart, daß das Leben ihn rauft, ihm Wunden schlägt und Narben hinterläßt – und seien es nur Schatten im Grund der Augen