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das war eine Lust zu satteln, ohne vorher Striche zu putzen! Tim war zuerst fertig, gelernt ist gelernt. Wie oft hatten sie daheim um die Wette gesattelt! Er sprang seitlich auf Julfreund, ohne die Bügel zu benutzen, gurtete von oben her nach. Schadenfroh grinsend sah er, daß der Schriftgelehrte noch einmal hinunter mußte.

      »Hoho, langsam, langsam!« hörte er ihn keuchen. »Wirst du wohl stehen, du Kröte? Himmel, Kruzitürken und Ariadnefaden –« seine Flüche verklangen hinter Tim, der dem Reitlehrer folgte. Oben an den Baracken bekam Julfreund einen Rappel und fing an zu steigen, Tim trieb und bekam ihn wieder auf die vier Füße. Jetzt aber war der Anschluß an die andern verpaßt ...

      »Hier lang! Hier ist’s weicher und auch nicht weiter –«

      Einer der Einheimischen, wunderbar! Tim trieb Julfreund hinterher, gleich darauf tauchten rechts und links neben ihm zwei Reiter auf. Der eine war der Lokführer mit den traurigen Bernhardineraugen, der sächselte, das andere ein Mädchen. Sie hatten drei Mädchen im Kurs, die eine wurde Oma gerufen, weil sie ihr Haar in einem Knoten trug, bereits seit ein paar Jahren Volksschullehrerin war und demnach nicht mehr in allererster Knospe stand. Die war es nicht. Die beiden anderen konnte man in dem diffusen Licht verwechseln, sie trugen beide kurzes Fransenhaar und waren etwa gleich groß – gleich klein, besser gesagt. Tim schielte nach links, aha, es war Angeli! Er sah ihre lachenden Augen unter der in der Eile schief aufgesetzten Kappe. Angeli hatte ein kindliches Pfannkuchengesicht, das sich aber erstaunlich gut fotografierte. Jetzt wirkte sie wie höchstens zwölf, wie sie da auf ihrem Ortler hing, aber sie ritt Gelände wie der Teufel, Tim hatte sich schon manchmal darüber gewundert. Angeli gab überhaupt nicht an. Durch einen andern Kursteilnehmer hatte er zufällig erfahren, daß sie schon als Kind in England Jagden hinter dem lebenden Hirsch geritten hatte.

      Jetzt sah er wieder sehr deutlich, daß sie nicht nur in der Dressur und im Hallenspringen sattelfest war. Während sie galoppierte, grub sie mit der einen Hand in der hinteren Gesäßtasche.

      »Was suchst du denn?« fragte er halblaut und amüsiert und drängte Julfreund an ihren Ortler.

      »Ich weiß nicht, ich hab’ doch gestern ...« Ortler übersprang einen Graben, er schnaubte zufrieden, nachdem er aufgesetzt hatte. Angeli verrenkte sich noch mehr. »Einen Kaugummi. Ich brauch’ früh –«

      Tim lachte. Angeli schien gefunden zu haben, was sie suchte, stopfte etwas in den Mund und nahm die Zügel wieder in beide Hände.

      ›Mit einer Hand reiten konnte nur der alte Fritz‹, pflegte der Reitlehrer zu sagen, wenn er sich ärgerte, daß jemand freihändig ritt. Tim grinste vor sich hin, während er Julfreund Seite an Seite mit Ortler galoppieren ließ. Sie hielten ein wenig Abstand hinter dem Stalljungen, der den Weg zeigte, um nicht dauernd Brocken und Spritzer ins Gesicht zu bekommen. Die Augen gewöhnten sich, außerdem wurde es heller. Man sah jetzt schon etwas weiter.

      »Dort ist er, siehst du?« fragte Tim und deutete voran. Der Reitlehrer hielt, wie sie sahen, aufgerichtet im Sattel, eine Taschenlampe angeknipst in der senkrecht hochgestreckten Hand.

      »Liiinks – ein Leuchtturm überm Wendekreis«, sang Tim in rollendem Baß, und Angeli fiel ein: »Der bestrahlt die Szeneriiiii –«, um dann in prustendes Lachen auszubrechen. Von jetzt an hieß der Reitlehrer nur noch ›der Leuchtturm‹ das war ihnen beiden hellsichtig klar.

      »Tim, Angeli, Alfred – links einen Bogen schlagen! Ich glaube, dort sind sie!« hörte sie des Leuchtturms Stimme.

      »Fritz, du reitest mit mir nach rechts!«

      »Und wohin sollen wir treiben?« rief Tim fragend. »Weiter vorwärts? Oder ...«

      Der Leuchtturm überlegte. »Wenn man wüßte, wo sie zuletzt gestanden haben ... Auf alle Fälle auf die Halle zu!«

      »Und wo ist die Halle?«

      »Ostwärts! Dort hinaus!« Man sah am Himmel einen blassen Streifen. Der Leuchtturm wies die Richtung.

      »Also nicht im Bogen herum, sondern einfach vorwärts?« vergewisserte sich Tim noch.

      »Natürlich. Dumme Frage. Wer hat denn was von Bogen gesagt.«

      »Nicht wahr? Was geht mich mein saudummes Geschwätz von vorhin an«, brummte Tim und schlug Julfreund die Hacken in die Weichen, »vorwärts, vielleicht sind sie es gar nicht!«

      Er hatte das so hingesagt. Gleich darauf hörte er einen unterdrückt seligen Quietscher von Angeli. Wahrhaftig! Was sie, noch im Halbdämmern, für eine Fohlenherde gehalten hatten, besser: was der Leuchtturm als solche ansprach, erwies sich als Kuhherde. Die Milchspender, um diese Jahreszeit noch Tag und Nacht draußen, nahmen sehr übel, für junge, ihrer Meinung nach pflichtlose Rösser gehalten zu werden, und spielten Prärie. Mit hochgestellten Schwänzen begannen sie zu rasen. Angeli schrie vor Lachen, während sie hinterhergaloppierte, einfach angesaugt von der Bewegung. Tim natürlich mit. Er hörte genau, wie der Leuchtturm verzweifelt: »Halt! Stopp!« brüllte, aber er dachte ränkevollerweise: ›Brüll du nur! Ich kann mich wundervoll harmlos stellen. Befehl ist Befehl!‹ Erst nach ein paar Kilometern parierte er durch.

      »Jetzt müssen wir zurück, Angeli, der Leuchtturm hat bestimmt eine Sauwut auf uns«, sagte er und wischte sich über das Gesicht.

      Angeli ließ den Ortler eine Volte gehen und klopfte ihm beruhigend den Hals. »Aber schön war’s doch«, sagte sie atemlos und lachte noch immer, »schon in meiner Jugend – ach, wie lange her! – hab’ ich mir gewünscht, ein Cowboy zu sein.«

      »Daß du dich daran noch erinnerst! Du hast ein tolles Gedächtnis, Hut ab vor dir«, bewunderte Tim. »Also wohl oder übel zurück. Na, der wird angeben.«

      Sie ließen die Pferde am langen Zügel gehen. Die dampften, es war kalt, jetzt erst merkte man es. Tim hauchte sich in die Hände.

      »Da haste meine – ich frier nicht« – Angeli warf ihm ein ineinandergestecktes Handschuhpaar zu. Tim fing es auf. Es tat wohl, die klammen Finger darin auszustrecken.

      Angeli war von einer angenehm unmütterlichen, vernünftigen Kameradschaft, ›beinah wie ein Junge‹, dachte Tim; sie erinnerte ihn an seine jüngste Schwester. Mit der hatte er sich oft geprügelt – um ein Pferd, um ein Hindernis, um ein Nichts. Die war nun schon zwei Jahre verheiratet, ›in die Zucht gegangen‹, wie man unter Reitern sagt, und erwartete den zweiten Olympia-Anwärter von übermorgen. Der erste war glücklicherweise ein Sohn geworden und nach ihm, Tim, benannt. Er hatte ihn nach der Taufe aus der Kirche tragen müssen, angefaßt wie einen Sattel, demonstrierten die Geschwister hinterher, und die Straßenpassanten sahen ihn scheel von der Seite an: ›So ein junger Vater, na, die Jugend von heute kann es doch nicht abwarten!‹

      »Gleich fliegt er in den Graben!« hatte Tim geknirscht, und die holdselige junge Mutter konnte gerade noch hindernd dazwischenspringen. Tim schilderte das Angeli, während sie zurückritten, und die lachte.

      »Seid ihr alle so roßnärrisch?« fragte sie.

      »Dachtest du nicht?« fragte Tim. »Ein Wunder, daß wir nicht alle mit vier Beinen zur Welt kamen. Meine Schwester jedenfalls antwortete, als man sie fragte, ob sie sich nun eine Tochter wünschte, mit: ›Wenn’s nur gesund ist und vier Beine hat.‹ So ist nun mal meine liebe Familie. Und ihr?«

      »Bei uns reitet nur Mutter. Vater und mein kleiner Bruder haben es mit Autos.«

      »Na, da kennst du ja den Schmerz. Unsere Mutter ist mal mit mir im selben Turnier gestartet. A-Springen, also keine große Sache. Trotzdem. Ich war damals zwölf und sie also noch nicht – na, halt so alt wie jetzt. Sehr angenehm ist so was ja nicht. Und prompt brach sie sich auch acht Tage vorher das Bein. Ich atmete auf. Aber was macht sie? Sie läßt sich – unser Arzt reitet auch – das Bein krumm gipsen. Jedenfalls den Fuß. Damit sie reiten konnte. Probiert hat sie es natürlich zu zeitig, ehe der Gips fest war: Bruch, kaputt. Ich atmete auf –«

      »Und?«

      »Und sie ließ es nochmal gipsen und nagelte sich rechts und links Holz dagegen. Das heißt, ich mußte es machen. Ich hab’ es auch getan, sonst hätte

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