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dem Chthonischen steigt er hoch auf, angesogen vom unirdischen Lüfte-Element – ist er nicht beinahe ein Schmetterling?

      Gib’s zu, Mädchen, du bist eigentlich ein Wasserwesen, Melusine und Undine, Meernymphe und Fischweib, und ohne das Dumpfige, Dunkle, aus dem die versunkene Stadt und die wesenlosen Strömungen kommen, Vineta – ohne sie hätte ich nie die ahnungsvolle Schau gewonnen.

      Aber das Fischlein hat Flügel, und eine Krone hat es auch: Flügel, die tragen im seherischen Rausch, in der großen Schau, im schwingenden Reim vogelhaft über das bannende dunkle Element hinaus und hinauf – – – ich bin wahrhaftig beides, Fisch und Vogel! Manchmal bin ich’s zu sehr, seh’ mir selber zu, als wär ich ein gespaltenes Geschöpf …

      Sie lacht im Dunkeln. Manche sagen, ich wär nicht Fisch, nicht Vogel, nicht einmal ein ganzes Weib …

      Jetzt ruft es, Jennys Stimme, und zugleich klopft die Magd, die das Essen bringt, kalte Milch, kaltes Wasser dareingemischt, kaltes Fleisch und ein Stück schwarzes Brot. Sie will es nicht anders, glaubt, sie vertrage die warmen Speisen nicht, sie huste so weniger. Vielleicht ist es das Fett, meint sie, das Schmalz, was sie reichlich an den Braten tun oder an das Gemüse, das sie freilich selten kochen.

      Annette ißt, zaghaft wie ein Vögelchen, ohne viel Appetit. Sie hat, kaum bewußt, auch die Vorstellung dabei, das Fasten sei etwas Tugendhaftes und der Kirche wohlgefällig; jedenfalls der Mama drüben im Salon.

      Dann lacht sie selber darüber: Sie ist ja nicht mehr das kleine, halb mißratene Mädchen, das die Mama so enttäuscht hat. Sie ist eine dichtende Frau, eine anerkannte sogar, aber eben doch nur eine Frau, und als solche aus Art und Brauch herausgerückt.

      Ob es andere auch so mühselig gehabt haben – Jane Baillie etwa, der »weibliche Shakespeare«, die englische Zeitgenossin?

      Ach, es gibt vielerlei dichtende Zeitgenossen, und die Frauen sind durchaus nicht die schlechtesten Verseschmiede. Hab ich nicht eben an die liebe große Busch gedacht, auch sie eine Dichterin? Katharina, die mir ihren kleinen Sohn ans Herz gelegt hat, ihn, ihn? O Lieber, Levin, ganz geliebter, zugehörig wie seit Urbeginn, Du Schöner! Sohn und Freund und Bruder und Geliebter – so wär’s gewesen, geworden, wenn nicht wieder das düstere Element, schlammicht und schwellend, dazwischen geflossen wäre, wie eine dunkle Schlange.

      Ach, ich habe kein Recht mehr, von Liebe zu dem Kind, zu meinem »Pferdchen« zu reden und an es zu denken – es ist vorbei, bitter vorbei, zerrissen und verfärbt und verzerrt und abgetan – es muß »abgetan« sein, denn ich selber bin’s ja auch: unnütz seit je, unberechtigt, nicht vollbürtig und kaum zu Recht geboren – abgetan!

      Levin, mein Schulte, mein kleines blondes wildes Pferdchen ist mir entwachsen, verbildet und mißgebildet und entstellt …

      Sie hat sich jetzt so in ihre verzweifelten Gedanken hineingefiebert, daß sie zu husten beginnt, krumm und keuchend hängt sie über der Porzellanschüssel und spuckt dünne Fäden blutigen Auswurfs.

      Das darf niemand sehen, die Schwester nicht, die gute besorgte Jenny, und die Mama vollends nicht.

      Ach, und die es hätte sehen dürfen und ihr liebevoll mit ihren breiten Runzelhänden beigestanden wäre, Kathinka, die Pettendorfsche, ist tot.

      Annette konnte sich nie von ihr trennen, nicht innerlich und nicht leiblich, denn auch von Hülshoff nach Rüschhaus ist sie mitgezogen; nur jetzt an den Bodensee, in die düstere Meersburg, hat sie nicht mitmögen, sie starb vorher, eh das hätte sein sollen. – Eine Webersfrau und gewiß nichts »Vornehmes«, nicht belesen und geziert, aber wie ein warmer Boden oder eine umhüllende Sonnenwolke, dunkel und schwer und doch zuverlässig und bergend.

      Annette von Droste-Hülshoff denkt an ihre beiden nächsten Menschen: An die Quelle am Anfang, an die alte Webersfrau, die ihr das Leben gerettet hat, den Eingang und Atem, ohne den sie nicht wäre – – – und an den jungen blühenden hübschen Levin Schücking, den Sohn der Dichterin Katharina Busch, und den kümmerlichen jammervollen Abschied von ihm … Dazwischen liegt ihr Leben und ihre Arbeit.

      An des Balkones Gitter lehnte ich

      Und wartete, du mildes Licht, auf dich.

      Hoch über mir, gleich trübem Eiskristalle,

      Zerschmolzen schwamm des Firmamentes Halle;

      Der See verschimmerte mit leisem Dehnen,

      Zerfloßne Perlen oder Wolkentränen?

      Es rieselte, es dämmerte um mich,

      Ich wartete, du mildes Licht, auf dich.

      Hoch stand ich, neben mir der Linden Kamm,

      Tief unter mir Gezweige, Ast und Stamm;

      Im Laube summte der Phalänen Reigen,

      Die Feuerfliege sah ich glimmend steigen,

      Und Blüten taumelten wie halb entschlafen;

      Mir war, als triebe hier ein Herz zum Hafen,

      Ein Herz, das übervoll von Glück und Leid

      Und Bildern seliger Vergangenheit.

      Das Dunkel stieg, die Schatten drangen ein –

      Wo weilst du, weilst du denn, mein milder Schein? –

      Sie drangen ein, wie sündige Gedanken,

      Des Firmamentes Woge schien zu schwanken,

      Verzittert war der Feuerfliege Funken,

      Längst die Phaläne an den Grund gesunken,

      Nur Bergeshäupter standen hart und nah,

      Ein finstrer Richterkreis, im Düster da.

      Und Zweige zischelten an meinem Fuß

      Wie Warnungsflüstern oder Todesgruß;

      Ein Summen stieg im weiten Wassertale

      Wie Volksgemurmel vor dem Tribunale;

      Mir war, als müsse etwas Rechnung geben,

      Als stehe zagend ein verlornes Leben,

      Als stehe ein verkümmert Herz allein,

      Einsam mit seiner Schuld und seiner Pein.

      Da auf die Wellen sank ein Silberflor,

      Und langsam steigst du, frommes Licht, empor;

      Der Alpen finstre Stirnen strichst du leise,

      Und aus den Richtern wurden sanfte Greise,

      Der Wellen Zucken ward ein lächelnd Winken,

      An jedem Zweige sah ich Tropfen blinken,

      Und jeder Tropfen schien ein Kämmerlein,

      Drin flimmerte der Heimatlampe Schein.

      O, Mond, du bist mir wie ein später Freund,

      Der seine Jugend dem Verarmten eint,

      Um seine sterbenden Erinnerungen

      Des Lebens zarten Widerschein geschlungen,

      Bist keine Sonne, die entzückt und blendet,

      In Feuerströmen lebt, im Blute endet –

      Bist, was dem kranken Sänger sein Gedicht,

      Ein fremdes, aber o! ein mildes Licht.

      Was für eine Sprache! Welche Bilder! Die Landschaft, der See, die Berge, Nebel und Mond im Trüben, alles in eine Form gegossen, eine völlig adäquate Form, in Klang, in Gespür, in Farbe! Das Ganze, die ganze Schöpfung, alle in ihr schlafenden Formen, Schatten, Schwingungen, Gedanken auf einmal Wort geworden, als verblute alles Herkömmliche an dieser gegossenen Form und in sie hinein! Nichts Einzelnes mehr, sondern ein ganzes Leben, vor die Gerechtigkeit, vor die Barmherzigkeit des Alls gestellt!

      2.

      Kindheit und Jugend

      Man

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