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      Utta Keppler

      Die Droste

      SAGA Egmont

      Die Droste

      Copyright © 1985, 2018 Utta Keppler und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

      All rights reserved

      ISBN: 9788711730508

      1. Ebook-Auflage, 2018

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

      Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      Das Grab der Droste

      Es regnet sanft. Fett drängt das Gras

      Um blaue Samtgesichter der Violen,

      Zitternde Zweige, nasse Mauerquader.

      Das quillt und leuchtet: Regen, warmer Regen,

      Dampfender Teppich. Dämmernd hingegeben

      Spür ich sein buntes Vlies, halb unbewußt.

      – Da find ich, was ich suchte: Schüchtern schmale

      Gereihte Gräber, unscheinbare Male,

      Kreuz, Pfeiler, Tafel, Hieroglyph.

      Da steht der Name, der mich rief,

      Der Falterfisch.

      Aufbricht der sattgedüngte Grund,

      Der Mütter Höhle, Ceres dunkler Mund,

      Klafft auf. Blauzuckend faunisch Feuer

      Schwelt hin. Ein glockenhafter Alt

      Spricht Formeln: »… Moos … und Ammonshorn im Wald,

      Der See, im knisternden Gespinst

      Der trocknen Halme wie geschmolz’nes Zinn …«

      Und eine Hand, Däumlein wie Vogelsporen,

      Berührt mit starkem Zauberbann die Welt,

      Aufspringt die Kruste, Grundgebirg zerschellt,

      Türkisen glimmt in magischem Geleucht

      Ein Auge. Wahr dich, du bestehst sie nicht,

      Den Blick, die Stimme, das Gericht,

      Das sie bestand und faßte, im Gedicht.

      Utta Keppler

      1.

      Beginn einer Rechenschaft

      … Jenny hat nicht gerufen, die ist am Briefeschreiben. Was soll sie auch rufen? Ach was, immer ruft jemand nach mir, auch wenn mich niemand braucht, nur so, zur Unterbrechung, um sich zu versichern, daß ich da bin und nichts Ungeschicktes mache … sie trauen mir alle nicht recht, sie fürchten, daß ich irgendwie absinke. – Absinken, eingewikkelt in diese hellgrauen Schwaden, in das feuchte formlose Meer aus Dunst und Luft, das wogend unter mir ist, ist es wirklich da? Dichte unbewegliche Wogen, gibt es das? Unbewegliche Wogen? Wogen sind doch unaufhörlich bewegt!

      Da stehe ich, über das feine feste Gitter gelehnt, eingegrenzt und gehalten, in einen winzigen Umkreis eingesperrt, und unter mir das Weite, das Unabsehbare – ich weiß, daß es da ist, gedehnt und fern.

      Ich kenne den See aus vielen Anblicken, Augenblicken, in einer blendenden Sonnenbläue, spielend und verspielt, traulich – beinahe hätte ich das dumme Wort »neckisch« gedacht – damals, als er luzide und kristallen über seiner ganz unwahrscheinlichen Tiefe, der unsichtbaren, hintändelte, als wäre sie nicht unter ihm.

      Er ist mein Bruder, mein Freund, mein Feind und: die große tödliche Gefahr. Jetzt dunstet er zu mir herauf, da ich ihn nicht sehen kann, Nebel haben ihn überwallt und maskiert; die kamen aus den Bergtälern, aus den wilden Schroffen, aus den harten Kanten und Schründen – ach nein, sie kommen aus ihm selber, unbestimmt und saugend und mir zugedacht, zu mir heraufgeweht …

      Es wird kühler hier oben auf dem Balkon, es ist schon weit im Jahr, man sollte hineingehen und alle Fenster zumachen und sich in die schwarze Sofaecke drücken und zugeben, daß der schwächliche alte Körper nicht mehr viel Widerstand hat, wenn das Gehuste wieder anfängt.

      Annette von Droste-Hülshoff ist, im Herbst 1846, fast fünfzig Jahre alt, wie sie da auf dem Balkon der urtümlichen Meersburg steht und auf den Bodensee hinunterschaut. Auf kaum bewegtes, verschattetes Wasser hat sie schon in der Kinderzeit neugierig und leise schaudernd geblickt, auf eingezwängtes und nur leise dümpelndes Wasser zwar, dunkelbräunlich, verschlammt und algengefleckt, das nur eben Raum hatte um das inselartige Anwesen mit dem unterspülten Gemäuer der Wasserburg Hülshoff, wo sie aufgewachsen ist … Gerede ging um von den feindlichen Söldnern, deren einer in den Burggraben fiel und den die Gefährten, leise nachschleichend, totschlugen, damit er ihre Nähe nicht verriete; der sei ohne Laut versunken.

      Wasserfrösche unken im Randgras, und schwarze Fische, selten nur, schlängeln durch den Schlamm.

      Es ist anders hier als in der westfälischen Heimat, anders sind die Leute hier am weinläubigen Ufer, eher zu tänzerischer Lust geneigt als ihre norddeutschen Landsleute. Die sind schwerknochig und schwerblütig und schwerbeweglich und in der Tiefe ernst und nachdenklich.

      Große Menschen sind es, zuverlässige, und was sie träumen, ist nicht romantisch-zierlich wie hier, wo sogar der Kalvarienberg und die Leidensstationen tändelnd und naiv mit fröhlichen Putten bevölkert und verkleidet werden.

      Dort ist die Phantasie eher urtümlich und ahnungsvoll und manchmal spökenkiekerisch, das weiß sie. Niemand weiß es vielleicht so klar wie sie selber, die es überschaut und einsieht und leidend und liebevoll in sich spürt und aus sich herausgeben möchte.

      Annette geht endlich in ihr Zimmer; die Magd hat ein kleines Kaminfeuer angemacht, denn das »Frölen« – hier heißt es freilich die »Baroneß« – friert leicht, es riecht nach dem knackenden Reisig und den eben anglostenden Scheiten, das schwarze Sofa zieht sie an, ein langgestrecktes Möbel, in dem sie eine Ecke mit Kissen ausgefüllt und zur Zuflucht hergerichtet hat.

      Sie sitzt eine Weile im Dunkeln, beobachtet die springenden Fünkchen im Kamin und sieht noch immer den bedeckten, eingehüllten See als ein graues, gestaltloses Tuch vor sich, als wäre er mit in das holzduftende, angewärmte Zimmer gekommen.

      Es ist, als wollte irgendein neidischer Wassergeist ihr alle Wärme und alle Sonnenerinnerung verderben, die sie so nötig braucht. Denn sogar die tröstlich beschworene Sommergestalt, aus der Himmelssicht betrachtet, hilft ihr nicht. Wenn sie jetzt den See im Taglicht sucht, ein Abbild aus der Vogelschau zwischen Bergzacken und grünem Baumgewirr, sieht sie ihn als einen gewundenen Fisch, mit Augen und zackigen Schuppen, als wären die glitzernden Schneegipfel seine eckigen Flossen, die zueilenden Bäche seine Bartfäden; und sie sieht ihn wellenschlagend und glitzernd vor sich und in sich, und all das kleine wimmelnde Leben, das ihn tagsüber umwölkt und umwuselt wie vermoostes Zierwerk, dem Klöster und Schlösser und alte Stadttürme als Funkelschmuck eingesetzt sind.

      Irgendetwas in mir ist ihm verwandt, denkt sie wieder, dem feuchten wechselgesichtigen Element.

      Sie verschränkt die kleinen mageren Hände, »Fisch« denkt sie, »mir aus ersten Tagen eingeprägt, Symbole bleiben haften und werden einem erst deutlich, wenn man reif dazu ist …« Fisch – das ist ihr Wappen, das Drostewappen, oder eigentlich das Hülshoffsche, denn Droste ist ein Titel, ein Amtsname, und deren hat’s viele gegeben.

      Der Fisch – er hat vielleicht mit der Weltschlange zu tun, das meint Laßberg, der sachkundige und vorweltbesessene Schwager, und der Wappenfisch hat Flügel … ein Delphin! Ein gekrönter Delphin! Sein Name ist

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