Скачать книгу

doch mit den meisten so: Selbst wenn sie sich opfern wollten – wenn auch vielleicht nur im Verborgenen –, so dauerte es selten lange, bis sie anfingen, ihre Hilfsbereitschaft laut herauszuposaunen. Dem aber wurde hier von vornherein ein Riegel vorgeschoben. Denn wenn es erst einmal so weit kommt, ist das Schlimmste daran, daß diese sich Aufopfernden selbst festlegen, wer bei ihnen in Dankesschuld steht und wieviel sie als Gegenleistung einfordern. Auf diese Weise versuchen sie sich für eine unter Märtyrern verbreitete Ansicht zu rächen, daß nämlich die, denen Gutes erwiesen wird, dafür bestraft werden müssen, daß sie widerstandslos die Dummheit eines anderen akzeptieren, ihnen einen Gefallen zu tun. So manches Mal ist es in derartigen Fällen so weit gekommen, daß das vermeintliche Opferlamm den in sich versteckten Wolf entdeckte, ihn das gute Lämmlein fressen ließ und so selbst zur reißenden Bestie wurde. Diesen Widerspruch im Charakter des Lamms können wahre Christen nur schwer verstehen.

      Die Leute im Haus waren ungeheuer neugierig. Unbedingt wollten sie den Mann mit eigenen Augen bei der Arbeit sehen, des Rätsels Lösung erblicken und sagen: »Hab’ ich’s doch schon immer gewußt, daß er es ist.« – Eine sehr verbreitete Reaktion bei Leuten, die auf einmal klar durchblicken, nachdem sie lange mit Blindheit geschlagen waren.

      Selbst der Pianist hörte auf, bis spät in die Nacht hinein Chopins Nocturnen zu spielen, tat so, als habe er eine Nervenreizung in den Händen bekommen und müsse früh zu Bett gehen. Damit gab er den von Reinigungszwängen Umgetriebenen Gelegenheit, die Psyche und das Treppenhaus in einem Aufwasch zu säubern. Allerdings konnte er es als geübte Nachteule nicht unterlassen, immer wieder einmal ins Treppenhaus zu spähen, um jemanden auf frischer Tat zu ertappen. Nie gelang es ihm, und auch anderen ging es nicht besser. Am Morgen erwachten sie übelgelaunt aus unregelmäßigem Schlaf, und aus einem blitzsauberen Treppenhaus stieg ihnen himmlischer, erhebender Schmierseifenduft in die Nase, noch ehe das morgendliche Türenschlagen begann.

      Das nächtliche Putzwunder ereignete sich jedoch niemals während des Sommers. Aber es macht ja auch nicht so viel aus, wenn die Treppe in dieser Jahreszeit nicht gereinigt wird. Es regnet seltener als im Winter, es ist wärmer, und wenn die Leute mit nassen Schuhen ins Haus kommen, trocknen die Fußabdrücke schneller. Wenn auch die Sonne mehr Staub mit sich bringt, so verschwindet er mit der Feuchtigkeit oder verteilt sich gleichmäßig über die Stufen und wird auf diese Weise unsichtbar. Im Winter hingegen mit seinem Schnee und Matsch auf den Straßen sieht das völlig anders aus. Gegen die Glätte wird Sand gestreut, und natürlich trägt man ihn ins Haus, und die Stiege wird schmutzig, erst recht, wenn sie nur mit PVC ausgelegt ist.

      Selbstverständlich hätte man das Problem leicht lösen können, indem man im Treppenhaus Teppichboden verlegte. Dann hätte sich der Schmutz gut eingetreten und wäre nicht länger sichtbar gewesen. Das ist in vielen Häusern so üblich. Aber da die Leute ja nie Hausversammlungen abhielten, wurde in der Sache auch nichts unternommen.

      Am heftigsten wurde der innere Friede der Bewohner in der Weihnachtszeit auf die Probe gestellt, denn eine der wenigen Traditionen in diesem Lande will es, daß man gerade dann selbst in den liederlichsten Haushalten noch die letzten Winkel und Ecken schrubbt, damit man geschniegelt und gebügelt dem Fest und vielleicht sogar dem abgerissenen und zerlumpten Jesuskindlein entgegensehen kann. Schließlich kann man nie wissen, ob es nicht einmal unvorhergesehen zu Besuch kommt, arm und ausgemergelt bis auf die Knochen, die nach mitmenschlichem Erbarmen schreien.

      Sogar dem angehenden Mediziner, der eigentlich Materialist und nach landläufigem Verständnis ungläubig war, wurde auf seinem Weg durchs Treppenhaus ganz betrübt zumute, und er ertappte sich in der Adventszeit immer wieder bei dem Gedanken: »So sollten Christenmenschen nicht miteinander umgehen.«

      Doch da seine Bekümmernis nicht bis zu den Nachbarn durchdrang, änderte sich nichts.

      Da begab es sich eines Tages, es war der Heilige Abend und die Bewohner des Hauses stimmten sich schon darauf ein, daß die weihnachtliche Festlichkeit mit dem Läuten der Kirchenglocken Schlag sechs und der Ausstrahlung von ›Stille Nacht‹ im Radio beginnen würde, daß es plötzlich im ganzen Haus klingelte, und die Leute dachten ziemlich mißgestimmt bei sich: Welches alte Hausiererweib oder welcher Lausebengel kommt denn ausgerechnet jetzt, um an der Tür noch Krabben oder Trockenfisch zu verkaufen, wo doch gerade die Bescherung beginnen soll?

      Nichtsdestoweniger antworteten alle über die Gegensprechanlage und hörten, wie aus jeder Etage ärgerlich gerufen wurde: »Wer ist denn da?«

      Mit weicher Stimme wurde schlicht und ergreifend geantwortet: »Das Christkind.«

      Jetzt wollen sie einem schon Eier, Trockenfisch und Krabben mit der Masche andrehen, das Jesuskind selbst sei in Hausiererabsichten erschienen, dachten die Leute und mußten beinahe darüber lachen, wie weit manche in ihrem Selbsterhaltungsbestreben darin gingen, die Prinzipien des freien Marktes zu nutzen, die auf Lüge und Dreistigkeit beruhen. Sie beschlossen, derartige Schliche zu ignorieren und niemanden einzulassen.

      Doch für die Bewohner dieses Hauses galt dasselbe wie für andere Leute auch: Obwohl sie halbwegs glaubten, das Jesuskindlein würde irgendwann auf genau die Weise erscheinen, wie es in den bekannten Geschichten für Kinder beschrieben ist, konnten sie sich schlechterdings nicht vorstellen, es würde ausgerechnet ihr Heim dazu ausersehen, denn es existieren enorme Widersprüche in den Glaubenssätzen der Christen. So ist es etwa ein bekannter Sachverhalt, daß, wenn etwas eintrifft, von dem ein Christ hofft, daß es eintreffen solle, aber von dem er eigentlich sicher ist, daß es niemals eintreffen wird – er es einfach nicht glaubt. Wegen dieser komplizierten Verwicklungen verpaßt er natürlich die Erfüllung seiner Wünsche und wird immer unzufriedener.

      Selbstverständlich hatten alle Angst davor, dem Jesuskindlein könnte in der Gegenwart genauso ein Obdach verweigert werden wie in den Weihnachtsgeschichten, und sie hatten das unbestimmte Gefühl, daß genau das beabsichtigt sei, um das Schuldgefühl in einer christlichen Seele wachzuhalten; aber am Ende entschlossen sie sich, das Klingelmännchen doch einzulassen, um sich zu bestätigen, daß es sich nur um einen der üblichen Lausejungen mit unnützem Kram in der Plastiktüte handelte. Zum ersten Mal in der Geschichte des Hauses kamen alle gleichzeitig ins Treppenhaus.

      Es trat ein eher kleines Kind ein, mit schwarzem Haar und dichtem, gelocktem Bart, das ein langes weißes Nachthemd trug. Ein Glanz ging von ihm aus, daß die Leute eher glaubten, die Mutter des Kindes hätte mit Ariel ultra gewaschen, als daß er von seiner Heiligkeit stammte, oder aber die reflektierende Helligkeit von Schnee fiele ins Haus.

      Am hellsten leuchtete der Schein jedoch von seiner Stirn. Und obwohl es ein altbekannter Spruch ist, daß hinter mancher Kinderstirn ein helles Köpfchen strahlt, wird solcher Glanz doch selten oder niemals so stark, daß er jede Ecke und jeden Winkel im Flur eines zweigeschossigen Hauses ausleuchtet. Genau das aber tat jener Schein.

      Die Leute schauten starr vor Staunen auf die wundersame Erscheinung, und die alte Frau mit dem Rückenleiden stammelte mehr als sie fragte: »Was willst du, Jungchen? Du bist doch nicht hier, um getrockneten Plattfisch zu verkaufen?«

      Keinem Christenmenschen wäre es eingefallen, Jesus diese Frage zu stellen, wenn er ihm am Heiligen Abend gegenübergestanden hätte. Dieses Kind aber hielt einen gelben Plastikeimer in der Hand mit dampfender, nach Schmierseife duftender Lauge, und da Jesus nie einen Putzeimer gehalten hatte, weder auf Kunstwerken noch auf Bibelbildchen, kam es folglich niemandem in den Sinn, daß er es sein könnte. Der Magister der Anthropologie stellte in etwa folgende Überlegung an: Es ist nirgends schriftlich belegt, daß Jesus einen Eimer besaß. Dann fragte er: »Weshalb bist du gekommen?«

      Das Kind antwortete ebenso schlicht wie zuvor: »Um die Treppe zu putzen und um Leuten, die von alten Königen abstammen, zu zeigen, daß ich, obzwar Sohn des Himmelskönigs, mir dennoch nicht zu fein bin, heutzutage die Knie im Dienst der Sauberkeit zu beugen.«

      Eins, zwei, drei, fischte das Kind einen strahlenden Aufnehmer aus dem gelben Eimer, ließ sich vorsichtig auf die Knie herab wie auf den Betschemel in der Kirche, und fast im gleichen Augenblick fuhr eine Reinlichkeit über die Stufen wie im Werbespot für ein neues Putzmittel. Im Handumdrehen war die Treppe sauber. Niemand hatte jemals ein solches Wunder gesehen.

      Den

Скачать книгу