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Wenn das nicht geschehen wäre. Anny von Panhuys
Читать онлайн.Название Wenn das nicht geschehen wäre
Год выпуска 0
isbn 9788711592304
Автор произведения Anny von Panhuys
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Von alledem redete Herr Wassergott mit seinen nackten Nixen, und sie lächelten dann zusammen seltsam wissend. Wenn sich der Mond hoch oben über den Waldbergen zeigte, dort, wo die vielen Wege in die Oberheide führen, konnte man das Lächeln deutlich erkennen, und die Unken konzertierten dazu in einförmiger Unermüdlichkeit.
Wenn um diese Zeit noch Spaziergänger an der Villa vorbeigingen, lächelten sie wohl auch, und es sagte einer zum anderen: „Hörst du das Gequake und Geunke? Unheimlich ist das, ich möchte hier nicht wohnen.“
Die aber hier wohnten, hörten es wahrscheinlich kaum noch.
Von jenem Oberst a. D. Johann von Hahnendorf, der das Haus seinem Neffen vermacht hatte, stammte der jetzige Besitzer ab, und er musste ums liebe tägliche Brot arbeiten. Das Haus war längst eingeteilt in Mietswohnungen. Vier Parteien lebten darin: Der Hausbesitzer und Buchhalter Erich von Hahnendorf, die Schriftstellerin Walborg, Studienrat Treller und der frühere Zirkusdirektor Michael. Er hatte sich ins Privatleben zurückgezogen, und sein Sohn führte das Manegenzepter über Artisten und Tiere und all das Drum und Dran eines grossen Wanderzirkus.
Das Laub an den Bäumen leuchtete hier und dort noch sommerlich grün durch die gelben und bräunlichen Herbstblätter, die ein Malerpinsel rot und golden betupft zu haben schien. Hinter dem kleinen Park stieg der Wald bergan, und wenn man zu den rückseitigen Fenstern der Villa hinausschaute, war der Anblick des Waldes, der sich terrassenförmig aufbaute, immer wieder schön. Das fanden alle Mieter, die im Unkenschloss ihr Heim aufgeschlagen hatten. Wer einmal darin wohnte, würde es kaum leichten Herzens verlassen. Die Räume waren hoch und gross, es war Platz darin für viele Möbel, und man wohnte hier still wie auf einer abgeschiedenen Insel.
Die Sonne sah nicht mehr so liebenswürdig sommerwarm aus, sie blinzelte nicht mehr so lebhaft mit ihren Strahlenaugen. Kühler, zurückhaltender war ihr volles, leuchtendes Antlitz, aber dennoch reizvoll wie nur jemals. Frau Sonne kann nie reizlos sein. —
Frau Kulkow fegte mit einem derben Besen die schmale Steintreppe ab, die seitlich ins Haus führte und zehn Stufen zählte. Die Parterreräume lagen ziemlich hoch. An der Vorderseite befand sich eine Freitreppe, aber sie wurde niemals benutzt. Sie verharrte in bequemer Untätigkeit, und die zwei Fabeltiere, die rechts und links von ihr auf niedrigen Sockeln lagerten, schienen aufzupassen, dass sich kein unberusener Fuss hier heranwagte. Sphinxe waren es, mit grausamen, hart geschnittenen Frauenköpfen und kräftig herausmodellierten Löwenleibern.
Witwe Emma Kulkow bewohnte zwei Zimmer und Küche im Kellergeschoss, das aber nicht sehr in die Tiefe ging. Vom rückseitigen Eingang führten einige Stufen nach unten. Die Fenster versteckten sich nur etwa zu einem Drittel unter der Erde. Frau Kulkow hatte freie Wohnung und kümmerte sich dafür um alle Hausarbeiten.
Zum Haus gehörten noch Harras, der Schäferhund mit dem goldbraunen und schwarzen Fell und der gelben Halskrause, der Hahnendorfs getreuer Vasall war, dann der Dackel Waldi, der bei Fräulein Walborg daheim war, die Katze Minka, die Studienrats gehörte, und der Papagei des Zirkusdirektors. Frau Kulkow besass nur eine Schildkröte, und die rührte sich tagelang nicht vom Fleck. Frau Kulkow hing an dem Tier, das ihr seliger Mann ihr einmal mitgebracht hatte, aber die Ruhe des kleinen, langsamen Freundes brachte ihre quecksilbrige Beweglichkeit — sie war fünfzig Jahre — oft in Harnisch, und dann schimpfte sie: „Biest, komm doch mal endlich aus die Ecke raus — oder soll ick dir vielleicht ’nen Motor insetzen lassen?“ Die Schildkröte hiess Pluto. Wie ihr Mann auf den Namen verfallen war, mit dem man nur sehr grosse Hunde zu benennen pflegte, wusste sie nicht, und die Schildkröte wusste es auch nicht, aber sie war nun mal so getauft, und es störte sie nicht.
Es gab oft erstaunte Gesichter, wenn Frau Kulkow Besucher ermahnen musste, vorsichtig aufzutreten, weil Pluto gerade dort schlief, wohin sie den Fuss setzen wollten.
Das waren die Bewohner der Villa Princesita oder des Unkenschlosses.
Frau Kulkow fegte also die seitlich gelegene zehnstufige Treppe und säuberte sie von den rötlichen Blättern des wilden Weins, der über das Dach und die Säulen des Treppenvorbaus rankte.
Sie sang dabei:
„Im Unkenschloss, da geht es um,
Da schleicht es über die Treppe,
Und in der bösen Geisterstund’,
Da rauscht eine seidene Schleppe.
Die Spanierin kommt in ihr Haus,
Um ein Uhr muss sie wieder hinaus:
In den Garten, in den Wald, in die weite Welt,
Irgendwo in ein Grab unterm Himmelszelt!“
Es war etwas vor drei Viertel acht, und Erich von Hahnendorf trat eben mit seiner Tochter Brigitte aus der Haustür. Er sagte ein wenig ärgerlich:
„Ich habe Sie doch schon zum soundsovielten Male gebeten, den Blödsinn nicht mehr zu singen, Frau Kulkow. Jedesmal versprechen Sie es mir, und ein paar Tage darauf höre ich den Quatsch von neuem.“
Frau Kulkow konnte ganz grossartig treuherzig dreinschauen mit ihren schwarzbraunen Kulleraugen.
Sie antwortete: „Ick nehme mir ja ooch immer vor, det Lied nich mehr zu singen, aber et is so jeheimnisvoll un traurig. So jefühlvoll. Un sowat jefällt mir. Et singt sich immer wie von janz alleene.“
Er zuckte die Achseln: „Wenn ich bloss herausbekäme, wer den Unsinn verbrochen hat, dem Kerl haute ich eine runter, nach der ihm solch Dichten ein für allemal verginge.“
Brigitte machte ein scheinheiliges Gesicht.
„Nach dem Versprechen wird sich der Dichter sicher nicht bei dir melden, Vati.“
Die Frau griente. Herrn von Hahnendorfs zweite Tochter Bianka hatte ihr das Lied beigebracht, und Emma Kulkow vermutete auch in ihr die Dichterin. Aber klatschig war die Kulkown nicht, wenn es sich um ihren Liebling Bianka handelte. Bewahre, für die wäre sie im wahren Sinn des Wortes durchs Feuer gegangen. Das junge Mädchen hatte ihr die Wohnung vermittelt beim Vater. Nein, auf Bianka liess sie nichts kommen.
Kaum waren die beiden ausser Sicht, sang Emma Kulkow vergnügt weiter:
„Im Unkenschloss, da geht es um,
Da klopft’s nachts an die Türen.
Prinzesschen bittet: Macht mir auf,
Lass euer Herz doch rühren!
Macht ihr nicht auf im alten Haus,
Muss ich um ein Uhr wieder hinaus:
In den Garten, in den Wald, in die weite Welt,
Irgendwo in mein Grab unterm Himmelszelt.
Im Unkenschloss, da geht es um,
Da bleibt jede Tür verriegelt.
Es raunt durchs Haus: Du brachst die Treu,
Dein Schicksal ist besiegelt.
Komm täglich um Mitternacht nur ins Haus!
Um ein Uhr musst du doch wieder hinaus:
In den Garten, in den Wald, in die weite Welt,
Irgendwo in dein Grab unterm Himmelszelt.“
„Bravo!“ lobte eine lachende Stimme. Die Schriftstellerin, Fräulein Walborg, klein wie ein Gnomenweibchen mit grossem Kopf und kurzen Beinen, stand hinter Frau Kulkow und strahlte über das ganze liebe und immer freundliche Gesicht.
„Hat’s Ihnen so jut jefall’n, Fräulein Walborg? Sie vastehn