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Ist es zu spät?" fragte die Geistfrau des Dschungels ungeduldig. Sie trat rastlos von einem Fuß auf den anderen, als würde es ihr schwerfallen, sich länger ruhig zu verhalten.

      " Es müßte sehr spät sein, wenn es zu spät wäre," antwortete der Alte.

      Das drückende Schweigen senkte sich wieder über sie. Sie fühlten Verwirrung und Ratlosigkeit, wie eine schwache Kräuselung ihres Bewußtseins. Sie konnten den Glauben, daß es zu spät war, nicht zulassen.

      " Viel in uns wird sterben, wenn sie stirbt!"

      Der Geist der Wolken streckte eine weißverschleierte Hand zum Himmel hinauf. Er betrachtete sie einen nach dem anderen kurz, und sie meinten zu wissen, was er sagen wollte.

      Sie wählten ihn. Nicht nur, weil er der Älteste, und somit von Anfang an der Tonangebende war, sondern, weil er die sanfteste Stärke und den stärksten Geist hatte - und, weil in ihm der Regenbogen lebte. Er drehte sich langsam um, und erhob den Blick zur Sonne.

      " Komm zu uns - Geistfrau der Sonne." Sein Flüstern jagte wie ein Gedanke pfeilschnell durch die Zeit, getragen von seinem starken Bewußtsein. Weder Zeit noch Raum setzten ihm Grenzen.

      Sie schloß sich ihnen an, denn wie die übrigen, hatte auch sie gewartet und gelauscht und war auf seinen Befehl gekommen.

      Zusammen erschufen sie den Regenbogen; der Geist der Wolken, die Geistfrau der Luft und die Geistfrau der Sonne und auf ihm zogen sie aus, um die Einzige zu retten, die die neue, äußere Welt, die sie dabei waren zu erschaffen, nie erreicht hatte. Die Geistfrau der Tiere.

      Es war nicht die Wahrheit, oder es war nur ein Teil von ihr - wenn man so will. Denn es waren mehr als die drei, Wolkengeist, Luftgeist und Sonnengeist. Und da war noch einer, den sie kennengelernt und doch nie kennengelernt hatten, denn man muß verstehen, was man meint zu kennen. Sie waren dem Geist der Menschen begegnet - und von diesem Augenblick an hatte sich ihre Welt verändert.

      Sie, die Geistfrau der Tiere, war wie verzaubert von ihm gewesen. Sie hatte ihm Liebe und Hingabe geschenkt und ihre Faszination von ihm hatte sie daran gehindert, das zu sehen, was die anderen sahen.

      Da war es, daß sie den Beschluß fassten, zu versuchen, das zu erschaffen, was sie schon so lange vorhatten, und von dem sie einmal geglaubt hatten, daß es ihnen glücken würde. Sie hatten den Platz, den sie Erde nannten verlassen, um es noch einmal zu versuchen; wie sie es immer versuchen würden, solange die Kraft des keimenden Samens da war. Aber nun hatten sie schon so lange auf sie gewartet, ohne daß sie sich ihnen genähert hatte. Instinktiv wußten sie, daß es etwas mit ihm zu tun hatte, und daß sie zurück mußten, um sie zu befreien, bevor es zu spät war. Sie lebte: sie fühlten ihren Lebensfunken wie ein fernes, gedämpftes Glühen in ihrem Innern - und sie wußten, daß sie am sterben war. Aber noch lebte sie...

      Sie schämten sich, sie verlassen zu haben, ohne sich zu vergewissern, daß sie die Möglichkeit haben würde, ihnen zu folgen. Selbst die Geister der lebenden Welt konnten sich schämen.

      Gerade bevor sie in die Fluten der Farben des Regenbogens einflossen, stand der Alte auf und sprach noch einmal zu ihnen. Für alle war es ein bekanntes Ritual, obwohl sie nie vorher so etwas erlebt hatten.

      " Wenn wir in diesem Licht verschmelzen, das durch die Lebenskraft aus dem Schoß unserer Schwester, der Geistfrau der Sonne, brennt - werden wir die Regenbogenkrieger sein."

      Er zeigte auf einen nach dem anderen und sagte die Namen, die sie als Regenbogenkrieger tragen sollten. Was er sagte war dies:

      " Geist des Feuers - dein Name sei LUE."

      " Geist der Berge - dein name sei GROSS."

      " Geist der Flüsse - dein Name sei FOSS."

      " Geist des Meeres - dein Name sei OZEAN."

      " Geist der Luft - dein Name sei WIND."

      " Geist des Dschungels - dein Name sei GRO."

      " Geist der Wüste - dein Name sei HARA."

      " Geist der Erde - dein Name sei ERD."

      " Geist der Tiere..."

      Sie betrachteten ihn angespannt. Sie hatten Tränen in den Augen, die eben wie die Augen von Geistern waren.

      " Geist der Tiere - ihr Name soll DEER sein."

      " Geist der Sonne - dein Name sei LIV."

      " Geist des Mondes - dein Name sei DARK."

      " Geist der Wolken - dein Name sei NEBEL."

      Wieder entstand eine kurze, drückende Pause. Der Alte stand kurz still und dachte nach, bevor er fortfuhr:

      " Geist der Menschen ..."

      " Geist der Menschen," flüsterten sie.

      " Sein Name sei TUMOR!"

      " Seid auf der Hut vor ihm..."

      " Seid auf der Hut vor ihm," wiederholten sie.

      " Denn er hat uns alle verraten!"

      " Denn er hat uns alle verraten!" flüsterten sie.

      Sie glitten in den Regenbogen, die Geistergestalten - verschmolzen in ihm und traten die lange Reise in eine ferne Welt an. Sie reisten im Schein des Lichts durch Zeiten und Welten. Sie gönnten sich keine Rast, weil keine Zeit dafür war. Sie vernahmen, daß sie am sterben war und als sie lauschten, hörten sie ihren Schrei.

      Deers Schrei.

      2.Kapitel

      Dort, wo der Regenbogen entspringt, dort ist der Übergang zur Welt der Geister. Und durch diesen Übergang zogen sie - die Regenbogenkrieger.

      Er erreichte diese Welt genau an einer Stelle, wo die erste, gluckernde Quelle aus einem schmalen Spalt hoch auf einem Bergmassiv entsprang. Er stemmte seinen Rücken gegen seinen Bruder Gross, ritt auf ihm einen immer wilderen Ritt, während er immer stärker anschwoll. Der sickernde, rieselnde Körper der Quelle wurde zu einem reißenden Fluß, in dessen mahlendem Strom seine Gedanken, sein Willen und seine Seele vor Glück perlten; in einer strahlenden Quelle von Farben im blasenwerfenden Wasser.

      " Ich bin stark!" dachte Foss. " Ich habe dieser Welt viel zu geben."

      Gross trug ihn auf seinen Schultern, die breit, schwer und hart waren, wie die Knochen der Erde waren sie. Im nächsten Augenblick wirbelte er hinaus in die klare Luft und setzte seinen Sturz zu Tal fort, in eine Kaskade von Schaum gehüllt.

      " Ich bin frei!" rief Foss. " Ich bin ein Wasserfall, eine Sintflut von Kraft - nichts kann mich zähmen!"

      Für einen Augenblick vergaß er, warum er zurückgekommen war, wollte bloß er selbst sein, ohne an seine Umgebung zu denken. Dann tauchte er unter in den mahlenden Strom am Grund des Tales und setzte seinen sich windenden Lauf zwischen den Bergen in einem gesetzteren Tempo fort.

      " Ah, " seufzte Foss. " Es ist so lange her."

      Er neckte einen Hirsch, der sich von einem schlammigen Abhang in den Strom geworfen hatte, in Foss hinein. Er riß ihn mit sich fort und hielt ihn fest, bis er Angst in den Augen des Hirsches bemerkte und ihn losließ. Der Hirsch war stark und gesund und schwamm ans Ufer zurück, während sein Geweih einen gekrümmten Schatten auf das Wasser warf. Die, die ihn aufgeschreckt hatten, drängten nun vorwärts ans gegenüberliegende Ufer. Foss sah Schatten zwischen den hängenden Zweigen der Weiden. Es waren Menschen. Einer von ihnen zeigte über das Wasser, auf den Hirsch, der sich ins niedrigere Wasser kämpfte. Sie hoben die schwarzen Stöcke, die sie bei sich hatten und ließen Feuer und stinkenden Rauch über den Fluß sprühen.

      " Menschen!" dachte Foss. Er war schön gewesen, sein Traum, aber nun war er vorbei. Er erhob sich aus seinem Flußbett, strömte mit großer Kraft am Ufer lang und riß den Hirsch mit sich davon. Er zog ihn mit sich und führte ihn weg, weil er wünschte, daß der Hirsch leben sollte. Der kämpfte mit allen Kräften dagegen an, weil er glaubte, er müßte ertrinken.

      Weiter unten am Flußlauf spülte Foss ihn

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