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deiner Mutter schreibst, daß sie dir den Paß schicken soll, dann ist ja alles in Ordnung!«

      »In Ordnung nennen Sie das?« meuterte Jan. »Wegen Julias Schusseligkeit müssen wir nun drei Tage in Kufstein hocken!«

      »Aber warum denn?« sagte der Inspektor. »Laßt euch den Ausweis doch nach Innsbruck schicken … wenn ihr nach Italien wollt, müßt ihr hinter Innsbruck über den Brenner!«

      »Aber in Innsbruck kennen wir doch keinen Menschen!«

      »Braucht ihr auch nicht! Laßt ihn euch hauptpostlagernd schicken, oder … wie man in Italien sagt … poste restante!«

      Julia mußte einmal ganz tief Atem holen. »Ach, Herr Inspektor«, sagte sie, »wahr und wahrhaftig … Sie sind ein Engel!«

      Der Inspektor fühlte sich sichtlich geschmeichelt. Trotzdem fragte er mit strenger Miene: »Habt ihr größere Mengen Zigaretten, Zigarren, Tabak, Spirituosen, Süßigkeiten oder andere verzollbare Waren bei euch?«

      »Zu essen und zu trinken überhaupt nichts mehr, das haben wir alles schon aufgegessen!« sagte Julia.

      »Wir haben überhaupt bloß Kleider und Wäsche in unseren Rucksäcken, sonst nichts!«

      Der Inspektor musterte sie streng.

      »Noch eine Frage, Herr Inspektor … was für Geld gilt denn hier in Österreich?« fragte Julia rasch.

      »Schillinge!«

      »O je! Und wir haben nur deutsches Geld und Lire!«

      »Das macht gar nichts … seht mal, dort drüben steht ja: Wechselstube!«

      »Vielen Dank, Herr Inspektor!« sagte Jan sehr artig.

      Während er in der Wechselstube deutsches Geld in Schillinge eintauschte, schrieb Julia auf einem Fensterbrett im Bahnhofsgebäude die erste Karte nach Hause:

      Liebe Mutti, leider habe ich meinen Ausweis zu Hause vergessen, weil Jan mir immer dreingeredet hat. Bitte, liebe Mutti, schick ihn mir gleich hauptpostlagernd nach Innsbruck, er liegt entweder in unserem Zimmer im Schreibtisch oder im Schrank oder in meiner Schulmappe oder vielleicht habe ich ihn auf den Schrank gelegt oder unter meine Taschentücher, du wirst ihn bestimmt sofort finden. Hier ist es sehr schön, Kufstein liegt am Inn. Jetzt schauen wir uns erst einmal alles an, und dann wandern wir weiter nach Innsbruck, das heißt, so weit wir heute noch kommen. Viele Grüße an Vati und die Kleinen, Eure Julia.

      Jan kritzelte auch noch seinen Namen unter die Karte, dann machten sie den ersten Einkauf mit ihren Schillingen, sie erstanden eine Briefmarke. Julia spuckte dreimal auf die Karte und warf sie dann in den Briefkasten am Bahnhof.

      Als sie auf den Bahnhofsvorplatz traten, blieben sie überrascht stehen — wie von weit her, aber sehr deutlich, waren Orgelklänge zu hören.

      »Was ist denn das?« fragte Jan.

      »Das ist die Heldenorgel!« erklärte ein Junge, sicher zwei oder drei Jahre jünger als Jan und Julia, mit einer solchen Selbstverständlichkeit, als ob jeder Mensch die Heldenorgel kennen müßte.

      »Aha!« sagte Jan deshalb überrumpelt.

      Der Junge musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Nie was von der Heldenorgel gehört?« fragte er.

      »Doch, natürlich …«, stotterte Jan.

      »Wir möchten bloß gerne wissen, woher die Musik kommt!« sprang Julia ihrem Bruder bei.

      »Von der Festung!«

      Jan und Julia sahen unwillkürlich hoch und starrten zur Festung Geroldseck hinauf.

      »Von so weit her?« fragte Jan ungläubig.

      »Pah! Das ist doch gar nichts!« sagte der Junge. »Man kann das Orgelspiel ohne Schwierigkeit bei gutem Wind bis zu zwanzig und dreißig Kilometer weit hören!«

      »Das hast du aber irgendwo gelesen!« rief Julia.

      »Warum denn nicht?« sagte der Junge und wurde ein bißchen rot. »Steht ja alles im Prospekt!«

      In diesem Augenblick kam ein Herr, der bisher nach den Fahrplänen geschaut hatte, auf sie zu, und der Junge lief ihm entgegen und ging mit ihm davon.

      »So ein Angeber!« sagte Jan.

      »Ist doch nichts dabei«, erklärte Julia, »ich bin froh, daß wir jetzt wissen, was los ist!«

      In schöner Einigkeit machten sie sich auf den Weg zur Festung. Sie stellten fest: Die große Orgel war wirklich eine Sehenswürdigkeit.

      Noch am selben Tag wanderten sie weiter in Richtung Innsbruck. Sie kamen nicht mehr sehr weit, aber sie fanden für wenig Geld Unterkunft in einem Bauernhaus. Zum erstenmal erlebten sie das Alpenglühen.

      Bevor sich die Dunkelheit über die Bergspitzen legte, glühten alle noch einmal in hellem Rot auf. Den Zwillingen verschlug es die Sprache vor Staunen und Begeisterung.

      Am nächsten Morgen hatten sie Glück; ein Lastwagen nahm sie mit bis Innsbruck. Es war ein strahlend schöner, sonniger Tag, und die Stadt Innsbruck empfing sie im Sonnenglanz.

      Jan und Julia taten ihr Gepäck im Bahnhof in ein Schließfach, und dann gingen sie in die Stadt. Sie bewunderten die alten Laubenhäuser in der Altstadt, das ›goldene Dachl‹, ein Haus mit einem rötlich leuchtenden Vordach, und die Hofburg. In der Hofkirche bestaunten sie die überlebensgroßen Bronze-Standbilder vieler Fürstlichkeiten und suchten auch das Grabmal von Maximilian I. Wohin sie gingen, immer schauten die mächtigen Bergriesen auf sie herab.

      Vor dem großen Denkmal des Tiroler Freiheitshelden stand ein Menge junges Volk. Ein Südtiroler stimmte das Lied vom verlassenen Andreas Hofer an:

      »Hier liegt mein Sabel und Gewehr

      und alle meine Kleider,

      ich bin kein Kriegsmann mehr,

      o Himmel, ich bin ein Leider …«

      Viele stimmten mit ein:

      »… ich bin verlassen ganz

      vom röm’schen Kaiser Franz!«

      Die Zwillinge schlossen sich einer Gruppe von Jungen und Mädchen an, die von einem jungen Mann geführt wurde. Er trug eine dunkle Hornbrille und war wahrscheinlich ein Student. Sie spitzten beide Ohren, als er unterwegs erzählte: »Über den Sandwirt vom Passeiertal brauche ich euch wohl nichts zu berichten, das habt ihr ja alle schon in der Schule gelernt! Er hat die Tiroler zu einem Aufstand gegen Napoleon und seine Leute aufgerufen, die damals unser Land besetzt hatten … wann war das?«

      Er sah Jan an. Der schämte sich, daß er es nicht wußte.

      »Wir sind zum ersten Mal in Innsbruck und überhaupt in Tirol«, erklärte Julia rasch, »und bei uns zu Hause lernt man das nicht so genau!«

      »Na, dann will ich es euch sagen, aber merkt es euch auch bitte: Es war im Jahre 1809 … geboren ist Andreas Hofer übrigens 1767. Mander, es ist Zeit‹, hat er gerufen, und dann sind sie alle zusammengekommen, die Bauern, die Handwerker, die Städter, die Studierten und die Schulbuben, und sie haben sich gegen Napoleons Truppen erhoben. Alle sind sie herbeigeströmt, um das heilige Land Tirol zu verteidigen. Sicher kennt ihr das schöne Bild von Defregger. ›Das letzte Aufgebot‹ hat er es genannt, darauf sind sie alle zu sehen, vom Schulbuben bis zum Greis, wie sie auszogen, um ihr Vaterland zu verteidigen …«

      »Aber dann ist er doch verraten worden, nicht wahr?« fragte Julia.

      »Ja … ein gewisser Raffl hat ihn verraten; für Geld hat er die Franzosen in eine Almhütte geführt und ihnen Andreas Hofer ausgeliefert!«

      »Und dann ist der Hofer erschossen worden!« rief Jan.

      »In der Festung Mantua!« ergänzte Julia.

      »Na, ihr wißt ja viel mehr, als ich dachte!« sagte der Student.

      »Davon habe ich ein Bild gesehen,

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