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      George war mit den Versuchen von Frauen, Kontakt zu ihm aufzunehmen, bestens vertraut, und im Laufe der Jahre hatte er gelernt, die schmeichelnde Aufmerksamkeit dieser Frauen zu ignorieren. Auffallend attraktiv war er nicht, in dieser Hinsicht machte er sich nichts vor. Nicht einmal in jungen Jahren, im letzten Jahrhundert, als seine Schüler ihm den Spitznamen Mr Bean gegeben hatten, hatte George sich darüber Illusionen gemacht. Er war nun mal kein Cary Grant. Der Vergleich seiner Schüler mit dem schrulligen Komiker sollte eigentlich eine Beleidigung sein, aber George hatte das nicht so gewertet.

      Tatsächlich war es sogar so, dass er Mr Bean irgendwie bewunderte. Und George wusste, dass die Schüler ihn wegen seines zugeknöpften Verhaltens neckten. Andererseits war für ihn absolut unverständlich, wie die Kinder sich kleideten, beinahe wie Mitglieder einer Gang. Er dagegen legte großen Wert auf korrekte Kleidung. Zum Unterricht trug er immer lockere Krawatten und Sportsakkos – ein Versuch seinerseits, durch sein Vorbild zu leiten. Nicht dass es funktioniert hätte, aber es war eine Gewohnheit, die er beibehalten hatte, und auch wenn seine Kollegen lässige Kleidung bevorzugten, gefiel George sein etwas traditionellerer Stil. Seltsamerweise schien das auch bei den Damen gut anzukommen – früher zumindest und bei Damen wie Mrs Atwood offensichtlich immer noch.

      Jetzt mit Mitte 50 vermutete George, dass Frauen wie Mrs Atwood nicht unbedingt sein Aussehen attraktiv fanden, sondern die Tatsache, dass er ein Junggeselle war. Junggesellen hatten es eigentlich in jedem Alter nicht leicht, und er vermutete manchmal, jemand hätte ihm einen Zettel mit der Aufschrift „noch zu haben“ an den Rücken geheftet. Doch mittlerweile war er ein „eingefleischter Junggeselle“, wie viele ihn nannten. Und wenn er ehrlich war, hatte George gegen diese Bezeichnung nichts einzuwenden.

      „Guten Morgen, Mr Emerson.“ Jemma Spencer winkte ihm zu, als sie die Treppe zur Schule hochlief. „Ist das nicht ein wundervoller Tag?“

      „Allerdings.“ Höflich hielt George ihr die Tür auf und ließ die jüngere Frau vor sich eintreten. Jemma war neu an der Warner High. Sie hatte gerade ihr Studium abgeschlossen, war energiegeladen und auffallend hübsch – und wie die meisten seiner Kolleginnen so jung, dass sie seine Tochter sein könnte.

      „Und was macht die Kunst, Miss Spencer?“ Er blieb stehen, um seine Karte ins Lesefeld der Arbeitszeiterfassung einzuführen.

      „Die Schüler haben Hummeln im Hintern.“ Ihre dunkelbraunen Augen funkelten, als kribbelte es auch ihr in den Fingern.

      „Ja, nur noch sechs Tage Schule. Da ist das nachvollziehbar. Ganz besonders an einem warmen, sonnigen Tag wie heute.“

      „Ich denke, ich gehe heute mit meinen Schülern nach draußen“, vertraute sie ihm auf dem Weg zum Lehrerzimmer an. „Sie können Bäume, Blumen, Wolken oder Schmetterlinge oder was auch immer zeichnen. Vielleicht wollen sie auch einfach nur eine Weile in die Gegend schauen, aber ich hoffe, dass sich dadurch die Hummeln in ihren Hinterteilen beruhigen.“

      Er lachte. „Sie haben Mut.“

      „Nicht wirklich, es ist nur so, dass auch ich mich so kribbelig fühle.“ Sie zwinkerte ihm zu, als sie in den Flur zum Lehrerzimmer abbogen. „Ich zähle ebenfalls die Tage bis zu den Sommerferien.“

      „Haben Sie Urlaubspläne?“, fragte er mit mäßigem Interesse.

      „Mein Freund und ich wollen nach Island fliegen“, erklärte sie.

      „Interessant …“

      „Island?“, rief eine männliche Stimme aus dem Lehrerzimmer. „Hat da jemand Island gesagt? Ich war in den Osterferien dort, und es war einfach traumhaft. Wollen Sie meine Fotos sehen?“

      Auf einmal redeten viele der jungen Lehrer durcheinander, zeigten ihre Fotos auf ihren Telefonen und erzählten begeistert von ihren Reiseerlebnissen, sprachen von den Verlockungen Islands und anderer exotischer Orte und prahlten mit ihren eigenen ausgefallenen Plänen für den bevorstehenden Sommer. In der Vergangenheit hätte sich George vielleicht an diesem begeisterten Geplauder beteiligt, vielleicht sogar von seinen eigenen Reiseerlebnissen berichtet, aber da er keine Pläne für den Sommer hatte … und auch in den vergangenen Sommern nichts unternommen hatte, schwieg er, nahm die Infoschreiben aus seinem Postfach und las die Mitteilungen am Schwarzen Brett. Anschließend verließ er, ohne einen Blick zurückzuwerfen, das Lehrerzimmer mit den vielen lärmenden Menschen.

      Als er zu seinem Klassenzimmer ging, fühlte George sich alt – nicht körperlich, obwohl seit einiger Zeit der Schwung in seinem Gang fehlte. Er fühlte sich alt im Sinne von angestaubt – wie der Dinosaurier der Warner High. Es war kein Geheimnis, dass er der älteste Lehrer im Kollegium war und dass die Schulleitung ihm vorgeschlagen hatte, doch ein paar Jahre früher in Pension zu gehen. Aber er war jetzt noch nicht einmal 55, was gefährlich nahe an den 60 war, und das Budget der Schule war schon wieder einmal gekürzt worden. Deshalb stellte seine Schulleiterin jüngere Lehrer ein, um Geld zu sparen. Bisher hatte George sich erfolgreich gegen sie und einen vorzeitigen Ruhestand zur Wehr setzen können, aber in diesem Jahr war er eingeknickt.

      Nach einer ganz schlimmen Grippeerkrankung im vergangenen Winter hatte George nachgegeben und ihr mitgeteilt, dass er nur noch bis zum Sommer unterrichten wolle. Und nun würde er nach mehr als 30 Jahren Schuldienst offiziell in den Ruhestand gehen. Nicht, dass in der heutigen Zeit noch Wert auf Erfahrung gelegt würde … und es wäre auch niemand traurig darüber, dass er bald nicht mehr zum Kollegium gehören würde.

      Mehr und mehr hatte George das Gefühl bekommen, an dieser Schule unsichtbar zu sein, und es war, als ob er mit jedem Jahr weniger wahrgenommen wurde. Sogar die Schüler schauten manchmal durch ihn hindurch. Dass ein Lehrer ignoriert wurde, war natürlich nicht ungewöhnlich.

      Als Englischlehrer wusste er um das mangelnde Interesse seiner Schüler an Schule und Bildung. Seine Versuche, ihnen nahezubringen, wie wichtig eine gute Ausdrucksweise war, waren nur selten erfolgreich. Und seiner Meinung nach war dieses elektronische Zeitalter, das er zutiefst verabscheute, schuld daran, dass Rechtschreibung, Grammatik und Satzbau an Bedeutung verloren.

      Sosehr er sich auch bemüht hatte, ihnen sein Lieblingsfach, die englische Literatur, durch interessante Unterrichtsgestaltung schmackhaft zu machen, die meisten seiner Schüler konnten Chaucer und Shakespeare nicht voneinander unterscheiden. Und das machte ihnen noch nicht einmal etwas aus.

      Seufzend gab er seinen Zahlencode in das Tastenfeld vor seinem Klassenraum ein. Die Zeit, als die Türen auf dem Campus noch nicht verschlossen werden mussten, waren ihm noch immer in lebhafter Erinnerung, aber nun gab es für alle Türen besondere Codes und außerdem Sicherheitskameras und uniformierte Sicherheitskräfte überall. Es waren so viele, dass er manchmal den Eindruck hatte, in einem Gefängnis zu unterrichten.

      Er schaltete das Neonlicht ein und durchquerte den stickigen Klassenraum. Nicht zum ersten Mal wünschte er sich, die hohen Fenster ließen sich öffnen, und er könnte frische Luft hereinlassen. Dieses Thema hatte er schon mehrmals zur Diskussion gestellt und darauf hingewiesen, wie wichtig frische Luft sei, damit die Schüler mit wachem Geist dem Unterricht folgen konnten. Aber wegen der Budgetkürzungen waren solche Veränderungen nicht zu realisieren.

      Während George den Zahlencode zu seiner Bürotür eintippte, erinnerte er sich daran, wie es war, als er noch selbst hier zur Schule gegangen war. Wie sehr hatte sich die Welt seither verändert. Das Gebäude allerdings, das damals neu und modern gewesen war, hatte sich kaum verändert.

      Doch manche Dinge änderten sich eben nie. Im Laufe der Jahrzehnte hatte er beobachtet, dass die Teenager jedes Jahrzehnts sich auffallend ähnlich verhielten. Entfernte man die Schicht der jeweiligen Trends und Modeerscheinungen, kam in der Regel eine frustrierte Mischung aus Aufsässigkeit und Unsicherheit zum Vorschein. Und auch in seiner Generation war das so gewesen, wie er fairerweise eingestehen musste.

      Er erinnerte sich noch sehr gut an das Ende der 70er-Jahre. Auch in seiner Klasse hatte es Aussteiger, Faulpelze und Leute gegeben, die Drogen nahmen, doch seine Altersgenossen erschienen ihm auch jetzt noch, nach so vielen Jahren, viel authentischer als die Jugend der heutigen Zeit. Möglicherweise war seine Erinnerung durch das Alter getrübt, doch wenn er in der Zeit zurückblickte, sah er in

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