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des Schlosses. Er nahm sie ab und legte den Stutzen auf den Küchentisch. Dann begab er sich auf den Boden, wo er in einer Kiste das eiserne Allerlei wusste. Er hoffte, eine Stahlfeder zu finden, die er ins Schloss einpassen könnte. Er fand ein zusammengerolltes Stahlband, das einst einem Glockenzug als Feder gedient hatte; aber es war viel zu breit. So holte er denn aus der Werkzeugkiste Feile, Meissel, Hammer und Schraubstöckel. Das letztere machte er am Rande des Küchentisches fest, klemmte das Stahlband ein und begann mit dem Zurechtfeilen. Das Band mochte härter sein als die Feile; es kreischte überlaut und gab nichts ab, so sehr sich der Bub auch plagte. Er verfiel auf den Gedanken, das Stahlband erst durch Anglühen und langsames Auskühlen weich zu machen und nach der Bearbeitung wieder zu härten. Als er es mittels des Schürhakens glühend dem Ofenfeuer entnommen hatte, legte er’s auf den bereitgestellten Hackstock. Hier gelang es ihm leicht, mit Hilfe des Meissels und des Hammers, aus dem erweichten Band die benötigte Feder herauszuschneiden. Dann passte er sie ins Schloss ein und nahm von ihren Rändern mit der Feile weg, was nötig war. Er bog sie zurecht, glühte sie wieder im Feuer an und warf sie dann ins Wasserschaff. Als er sie herausnahm, federte sie richtig, aber sie tat im Schloss nicht ihren Dienst. Mit einem Ende hätte sie festsitzen sollen. Aber wie sie festmachen? Es fehlte an der passenden Schraube. Er zweifelte nicht, dass es ihm gelingen werde, das zusammenzubringen, was vor ihm tausend andere gemacht hatten. Aber das Hindernis in der Ausführung seines Vorhabens brachte ihn zur Besinnung: In ihm wurde das Gewissen wach. Das Bewusstsein, dass er im Begriffe war, etwas Verbotenes zu tun, die Erinnerung an den verstorbenen Heger, der ihn beim Pfeilschuss auf den Marder ertappt hatte, das Gedenken des Vaters, den Gendarmen als Wilderer abgeführt hatten; all das wurde in ihm zur Hemmung. In einem Zustande qualvollen Ringens sass er da, den verhängnisvollen Wildererstutzen über den Knien. In ihm stieg die Frage auf, wie sich Bertel gegen ihn benehmen würde, wenn er ihn mit dem Stutzen in Händen im Reviere ertappte.

      Als ob seine Gedanken an den Forstpraktikanten eine Ahnung von dessen Nähe gewesen wären, stand dieser plötzlich auf der Schwelle der offen gebliebenen Türe.

      Mit einem unsagbar traurigen Ausdruck seiner braunen Augen schaute er auf Franzel nieder. Der Gruss war ihm auf den Lippen geblieben. Eine Weile schwiegen beide. Franzel fand als erster das Wort: „Ich hab’s nur herrichten wollen.“ — „Mir bind’st nix auf,“ erwiderte der andere. „Ich kenn dich. — Was glaubst, was ich tun müsst, wenn ich dich im Revier anträf’ mit dem Stutzen?“ — „Bist ja mein Ziehbruder,“ wendete Franzel ein. — „Im Revier bin ich Amtsperson; daran is nix zu deuten. Abliefern müsst ich dich an die Gendarmerie!“

      Franzel sprang auf, dass der Stutzen dumpf zu Boden fiel. Seine Fäuste ballten sich. Bertel aber trat ruhig auf ihn zu und legte seinen rechten Arm um den Nacken des zornig Erregten. „Dank dem Herrgott, dass ich jetzt zu dir gekommen bin, du Zornbinkel; wer weiss, wie’s geworden wär.“ Da machte sich Franzel von ihm los, hob den Stutzen vom Boden und drängte ihn dem Bertel auf.

      „Da nimm das Teuxelsschiesseisen. Es razt mi, sooft i’s anschau.“ — Bertel hielt es staunend in Händen. — „Aber heb mir’s gut auf; es is ja mein einziges Andenken an den Vater.“ Bertel nickte. — Nach kurzem Schweigen fuhr Franzel fort: „Weisst, Bertel, wir leben da mit dem Studenten im Spiel als Farmer. Und zum Farmerleben g’hört do ’s Jagen aa. Das war so mein dummer Gedanken. Von dir reden wir immer als von unserm Freund, dem Trapper. Und meinen, du könntest uns doch ab und zu ein Stück Freiwild bringen.“

      Bertel musste lächeln. „Wann ihr schon Farmer spielt, so will ich euer Trapper sein. Ich schiess euch Künigl, soviel ihr braucht. Die sind ja für mich frei als Dammschädlinge, auch Nebelkrähen, die Schaden machen an Vogelbruten.“

      Franzel war getröstet. „Dann hab’n m’r bachene Hasen und Krähensuppen wie der Stummerl.“

      Mit kräftigem Handschlag verabschiedete sich Bertel.

      Als er so hinschritt, aufs Forsthaus zu, dachte er bei sich:

      „Höchste Zeit, dass wir den Franzel in eine ordentliche Lehr bringen, dass er nicht wieder auf dumme Gedanken kommt.“

      Hyrtl und Christel.

      Der Brief, den der Student an Professor Hyrtl geschrieben hatte, war indessen angelangt. Soeben sass der alte Herr im Gartenhäuschen mit seiner Frau und mit Christel, seiner Vorleserin, beim Frühstück, als der Postbote die Zeitungen und Briefe brachte. Der Tisch wurde abgedeckt, nun begann die Durchsicht der Einläufe. Christel, ein neunzehnjähriges, munteres Mädel, las ihm die Briefe vor und schrieb nach Hyrtls Diktat die Antworten. In Sachen der Waisenpflege war sie seine rechte Hand; ihm dienten ihre hellen Augen, da die seinen trüb geworden waren von der vielen Arbeit am Mikroskop und vom vielen Schreiben beim Lampenlicht.

      Christel machte sich auf den Weg, für Franzel eine Lehrstelle im Orte zu finden.

      Sie hatte nur halben Erfolg. Der Schlossermeister Schmidt konnte erst zu Weihnachten einen neuen Lehrling aufnehmen. Der Hafnermeister Schuster war bereit, dem Buben einstweilen Unterkunft zu geben; aber der eine wie der andere wollte sich den Jungen erst anschauen.

      Nach solcher Meldung lachte Hyrtl bitter auf: „Dass der Schlosser erst schau’n muss, ob der Bub zum schweren Handwerk taugt, geb’ ich zu; aber dass jemand, der ein Waisenkind für ein paar Wochen aufheben soll, damit es nicht verderbe, auch erst schaut, ob’s ihm zu Gesicht steht!“ — Christel spann des alten Herrn Gedanken weiter: „Wann da so ein armes Hascherl eine schiefe Nasen hat oder blattersteppig ist oder gar schielt, so kann’s von Haus zu Haus gehen, sich anschauen lassen und keiner nimmt’s auf.“ — „Mädel, es ist ein Gefrett mit der Art Barmherzigkeit! Da muss anders vorgesorgt werden. — Ein Waisenhaus will ich bauen lassen und eine Stiftung will ich machen für die armen Kinder, dass sie ihr Heimatel kriegen, gleichviel, ob’s den Leuten zu G’sicht steh’n oder nicht.“

      Unterwegs.

      Es dauerte noch eine volle Woche, ehe der Student mit dem Franzel angerückt kam; als dritter war Sepperl dabei. Der hatte es wohl am besten getroffen: Er war auf dem Wege zum Losenheimer Gschaider-Onkel. Wie gern wären auch die andern Hegerkinder ins Gamsgebirg gegangen!

      An einem Montag war’s, früh nachmittags, als die Dampftramway19 die drei von Wien brachte. Mit pustendem Lokomotivchen fuhr das kurze Züglein unter warnendem Glockengebimmel von Rodaun herüber zwischen Weingärten und Wiesen und stand in Perchtoldsdorf unterhalb der spitztürmigen Spitalskirche stille. Allen anderen Fahrgästen voran stiegen Franzel und Sepperl mit ihren prallen Rucksäcken von der Plattform des ersten Waggons, bedächtig folgte der Student.

      Hörbar schlugen die schwer mit Scheanggen20 benagelten Schuhe der Brüder aufs Pflaster. Der Moasen-Thomerl hatte sie mit Schuhwerk ausgestattet, als sollten sie beide im Gefels des Schneeberges herumklettern. Auch die gamsledernen Hosen, die sie vom Vater geerbt hatten, hatte er ihnen zurechtgeschneidert. Regerl und Liesel hatten die von Schaben verursachten Schäden in den Wadenstrümpfen und die Ellbogenlöcher der Lodenjanker sauber geflickt, auch die Schweissflecke mit Benzin aus den Lodenhüten und von den Rockkrägen geputzt. Der mächtige Gamsbart, den der Wilderer getragen hatte, war in zwei Büschel geteilt worden; und so trug jeder der kleinen Gebirgler seine Kopfzier. Die Leute sahen sich nach ihnen um, aber die Brüder merkten es nicht. Sie hatten den übermächtigen, vierschrötigen Turm erspäht, der von der Höhe der Strasse niedergrüsste; dem strebten sie zu. Der Student aber rief sie zurück. Mit den Denkwürdigkeiten des Ortes vertraut, wollte er die Gelegenheit nützen, seinen Lehreifer zu betätigen: „Durch einen Ort, wo die Häuser und Gemäuer aus alter Zeit in die neue hineinragen, stürmt man nicht so gedankenlos dahin. Macht die Augen auf. — Jetzt sind wir alle drei beisammen und haben noch Zeit, uns etwas anzuschauen.

      Es ist viel zu früh, zum Herrn Professor Hyrtl zu gehen. Er wird seine Ruhe brauchen nach dem Essen, ist ja ein alter Herr!“ — Die Knaben standen still. Die Fenster der ebenerdigen Wagnerwerkstatt an der Ecke der Wienergasse waren offen. Da drückten die Brüder ihre Gesichter zwischen die schmiedeeisernen Gitter: „Jöi!“ rief Sepperl, „da schau, Franzel, wie der Wagner die Felgen auf die Speichen antreibt!“ — „Ja, wie denn anders?“ gab Franzel zurück, der

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