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steige ich äußerst vorsichtig über die Katze und stehe gleich darauf vor Daniels Zimmertür.

      Chaos erwartet mich, was ich seltsam finde, denn früher war es bei ihm immer viel aufgeräumter als bei mir. Mittlerweile räume ich pausenlos hin und her, und dafür stapeln sich nun bei ihm die Bücher und CDs, auf dem Bett und dem Boden liegen Klamotten verstreut, und sein Papierkorb quillt über. Ich tänzele auf Zehenspitzen wie eine Ballerina durch den Raum, um nicht zufällig auf seine Gitarre zu treten. Die kann ich nämlich nirgends entdecken.

      Ein Rascheln lässt mich herumfahren, aber es ist nur der Gecko im Terrarium. Oh, es sind zwei gläserne Kästen, wie ich entdecke. Er hält das Gecko-Pärchen getrennt, wie ich feststelle. Na, wenn das nicht aussagekräftig ist! Welcher ist Churchill? Ich kann die Viecher nicht unterscheiden, an den Namen des Weibchens kann ich mich nicht mal mehr erinnern. Aber daran, dass er die Futtergrillen in seiner Schreibtischschublade aufbewahrt, schon. Ein Grund mehr, sie nicht wahllos aufzuziehen.

      Wo soll ich mit der Suche beginnen? Und was könnte ich finden?

      Gedichte, für mich?

      Lovesongs?

      Briefe?

      In Fetzen gerissene Fotos?

      Das Blut rauscht in meinen Ohren. Mir wird beinahe schwindlig, so sehr fürchte ich mich plötzlich. Ich muss machen, dass ich hier rauskomme. Dass ich mich bewege, solange ich noch kann.

      Aber wenn ich schon hier bin ... es wird doch irgendwas geben, das mir Hoffnung geben kann. Irgendetwas.

      Stumm bete ich zu dem Gott, an den ich nicht glauben kann.

      Dann fange ich an, die Sachen zur Seite zu räumen, die Zettel durchzublättern, in Stapel zu ordnen. Hausaufgaben, ein Referat in Bio, Notenblätter und Fragmente englischer Textstücke, vielleicht für einen Song, an dem er tüftelt. Eine solche Zärtlichkeit durchfährt mich, dass ich am liebsten jedes Blatt küssen würde. Da ist ja auch die wertvolle Gitarre, lieblos hinter seinem alten Sofa verstaut.

      Der Papierkorb erweist sich als Friedhof missratener Songtexte. Um Liebe scheint es darin nicht zu gehen, und weit ist er damit nicht gekommen. Daniel hat alles durchgestrichen und den Zettel wütend zusammengeknüllt. Ich kann ihn vor mir sehen, wie er frustriert die Papierbälle durchs Zimmer schleudert, danebentrifft und sich nicht die Mühe macht, aufzustehen und den wachsenden Berg aus Papierschneebällen aufzuheben und zu entsorgen.

      Ja, ich sehe ihn vor mir, sein schönes Gesicht, wie er ungeduldig die Zähne zusammenbeißt, wie er seufzt, wie er seine Gitarre malträtiert, wenn ihm die Melodie entgleitet.

      Als es im Zimmer halbwegs ordentlich aussieht, hieve ich das Instrument auf meinen Schoß und streiche behutsam über den gewölbten Leib.

      Was hat Daniel gesungen? Wovon hat er geträumt? Ob er an mich gedacht hat?

      Ich versuche ein paar Griffe, an die ich mich erinnere. G-Dur, e-moll, A-Dur. Wenn man sie aneinanderreiht, klingt es fast wie ein Lied. Ich höre Tine summen. Die Dunkelheit kommt näher.

      Ich ducke mich, krümme mich zusammen, um sie auszuschließen, das Tropfen des Wassers an den Wänden, das Wispern der Stille. Irgendwann wird mir bewusst, dass es nur die Uhr ist, die in das Schweigen tropft.

      Die getigerte Katze kommt herein, betrachtet mich eine Weile verwundert mit ihren runden Augen und fasst dann einen Entschluss. Versessen auf Zärtlichkeit und Wärme, springt sie auf meinen Schoß, wo sie sich sofort gemütlich verknotet. Weil ich auch noch die Gitarre halte, müsste es nicht allzu bequem sein, aber das scheint ihr nichts auszumachen.

      Schließlich ergebe ich mich, lege das Instrument zur Seite und lehne mich zurück. Die Katze schnurrt. Diese Art Geräusch gab es im Bunker nicht, es ist ein Laut, der jener Welt fremd ist, der mich im Diesseits hält. Ich halte mich an ihrem Schnurren fest, an ihrem weichen Fell, und obwohl ich ihre Krallen durch den dünnen Baumwollstoff meiner Hose hindurch spüre, macht mir das nichts aus.

      Die Zeit versickert in den Wänden. Ich bin es gewöhnt, dazusitzen und zu warten, dass etwas geschieht. Wenn ich nicht vorschlage, dass wir ein Lied singen oder ein Spiel spielen, wird nichts geschehen. Tine liegt zusammengerollt da und horcht in die Dunkelheit, und ich bin diejenige, die etwas tun muss, die verhindern muss, dass die Gegenwart um uns herum zerbröckelt.

      Aber ich bin so müde. Viel zu müde dafür. Warum muss ich immer stark sein, warum nicht auch einmal sie?

      Dann plötzlich graben sich die Krallen noch tiefer in meinen Oberschenkel. Die Katze zuckt zusammen und springt wenig elegant auf den Boden.

      Im Türrahmen steht ein Mann. Einen Moment denke ich, dass Finn uns wieder zu essen bringt, dann erkenne ich verwundert Daniel.

      Wie kommt Daniel denn hierher, abgesehen davon, dass wir uns zufällig in seinem Zimmer befinden? Ich habe mich doch fest darauf verlassen, dass er in der Schule ist!

      »Miriam?«, fragt er entgeistert.

      Ich muss eingeschlafen sein. Die Uhr, die mich in den Schlaf getickt hat, kann ich vom Sofa aus nicht sehen, aber dem Licht draußen nach zu urteilen, ist es bereits Nachmittag.

      Ich hab den ganzen Schultag verschlafen, was im Grunde kein Wunder ist, wenn man bedenkt, wie lange ich jede Nacht wachliege.

      »Miriam?«, fragt Daniel nochmal. »Wie kommst du hier rein? Ich hab dein Fahrrad unten am Zaun gesehen, aber das hier übertrifft nun wirklich alles.«

      »Ich ...«, sage ich wenig hilfreich. »Äh.«

      Er schaut sich im Zimmer um. Sein Gesicht verdüstert sich. Aus irgendeinem Grund klingt er nicht dankbar, sondern wütend. »Du hast aufgeräumt? Du bist hier einfach reingekommen, ohne mich zu fragen, und räumst meine Sachen auf? Wer hat dich reingelassen, meine Mutter?«

      »Was? Nein.« Immer noch hält der Schlaf mich fest, aber ich schaffe es, die Hand in die Hosentasche zu stecken und den Schlüssel herauszuholen. Der Anhänger besteht aus einem kleinen dunkelbraunen Ball und einer winzigen Gitarre.

      »Du? Hast? Meinen Schlüssel? Geklaut?« Jedes Wort klingt wie eine Frage. Endlich geht ihm ein Licht auf. »Aus meiner Sporttasche, wie? Und ich dachte, ich hätte ihn verlegt.« Seine Stimme hat einen harten, kalten Klang bekommen. »Raus hier.«

      »Aber du liebst mich«, flüstere ich, obwohl er nicht wie jemand klingt, der mich liebt, der mich am liebsten in die Arme nehmen und trösten und küssen möchte, damit ich die Dunkelheit und den Bunker vergesse.

      Müsste Daniel nicht Mitleid mit mir haben? Müsste er nicht, wenn schon aus keinem anderen Grund, mit mir zusammenbleiben, damit ich in dieser schweren Zeit Halt habe? Wie kann er mir zu allem anderen auch noch Liebeskummer zumuten?

      Daniel sieht an mir vorbei ins Zimmer, als hätte er immer noch den Müll und das Durcheinander vor Augen, das ich beseitigt habe. Vielleicht schnappt er sich gleich den Papierkorb und leert ihn über dem Teppich aus, um den alten Zustand wiederherzustellen, und fegt Zettel und Bücher aus den Regalen, bis es aussieht, als würde es schneien, bis die Blätter durch die Luft wirbeln wie Schneeflocken.

      Ich habe mir so gewünscht, dass die Leute mich behandeln, als wäre alles normal, als wäre ich nicht das Mädchen, das verschwunden war. Und Daniel ist der Einzige, der genau das tut. Er sieht nicht das Opfer, das geschont werden muss. Er sieht Messie, die mit Tom auf Partys gegangen ist und ihn geküsst hat, während sie mit Daniel befreundet war. Messie, die in die Umkleide eindringt und seine Tasche durchwühlt, die seinen Hausschlüssel klaut und in sein Haus einbricht und in seinen Privatsachen kramt.

      Er sieht mich, wie ich bin, nicht, wie ich sein möchte, und das tut so weh, dass es kaum auszuhalten ist.

      Ängstlich warte ich darauf, dass er noch etwas hinzufügt, aber er schweigt, und in meiner Luftröhre wohnt ein stechender Schmerz, der mir das Atmen erschwert. Sanft lege ich den Schlüssel mit den leise klimpernden Anhängern auf das Sofa und gehe aus dem Zimmer. An der Tür tritt Daniel zur Seite, damit ich ihn nicht streife.

      Ich

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