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geschah Alles aus lauter Liebe.

      Als die Mutter dann aus ihrer Flasche getrunken hatte und darauf einschlief, ging das Räubermädchen zum Rennthier hin und sagte: »Ich könnte große Freude daran haben, Dich noch manches Mal mit dem scharfen Messer zu kitzeln, denn dann bist Du so possirlich; aber es ist einerlei; ich will Deine Schnur lösen und Dir hinaushelfen, damit Du nach Lappland laufen kannst; aber Du mußt tüchtig Beine machen und dieses kleine Mädchen zum Schlosse der Schneekönigin bringen, wo ihr Spielkamerad ist. Du hast wohl gehört, was sie erzählte, denn sie sprach laut genug, und Du horchtest.«

      Das Rennthier sprang vor Freuden hochauf. Das Räubermädchen hob die kleine Gerda hinauf und hatte die Vorsicht, sie fest zu binden, ja ihr sogar ihr kleines Kissen als Sitz mitzugeben. »Da hast Du auch deine Pelzstiefel,« sagte sie, »denn es wird kalt; aber den Muff behalte ich, der ist gar zu niedlich! Darum sollst Du aber doch nicht frieren. Hier hast Du meiner Mutter große Fausthandschuhe, die reichen Dir gerade bis zu den Ellenbogen hinauf. Kriech hinein! – Nun siehst Du an den Händen ebenso aus, wie meine häßliche Mutter!«

      Und Gerda weinte vor Freuden.

      »Ich kann nicht leiden, daß Du grinsest!« sagte das kleine Räubermädchen. »Jetzt mußt Du gerade recht froh aussehen! Und hier hast Du zwei Brote und einen Schinken: nun wirst Du nicht hungern.« Beides wurde hinten auf das Rennthier gebunden; das kleine Räubermädchen öffnete die Thüre, lockte alle die großen Hunde herein, durchschnitt dann den Strick mit dem scharfen Messer und sagte zum Rennthiere: »Lauf nun! Aber gieb recht auf das kleine Mädchen Acht!«

      Und Gerda streckte die Hände mit den großen Fausthandschuhen gegen das Räubermädchen aus und sagte: Lebewohl! Dann jagte das Rennthier über Stock und Stein davon, durch den großen Wald, über Sümpfe und Steppen, so schnell es nur konnte. Die Wölfe heulten und die Raben schrieen. – »Fut! Fut!« ging es am Himmel. Es war als sprühe der Himmel Feuer.

      »Das sind meine alten Nordlichter!« sagte das Rennthier; »sieh wie sie leuchten!« Und nun lief es noch schneller davon, Tag und Nacht. Die Brote wurden verzehrt, der Schinken auch, und dann waren sie in Lappland.

      Sechste Geschichte

       Inhaltsverzeichnis

       Die Lappin und die Finnin.

      Bei einem kleinen Hause hielten sie an; es war sehr armselig: das Dach hing fast bis zur Erde herab, und die Thüre war so niedrig, daß die Familie kriechen mußte, wenn sie heraus oder hinein wollte. Hier war außer einer alten Lappin, welche bei einer Thranlampe Fische kochte, Niemand im Hause; und das Rennthier erzählte Gerda's ganze Geschichte; aber zuerst seine eigene, denn diese schien ihm weit wichtiger; und Gerda war so angegriffen von der Kälte, daß sie nicht sprechen konnte.

      »Ach, Ihr Armen!« sagte die Lappin; »da habt Ihr noch weit zu laufen! Ihr müßt über hundert Meilen in Finnmarken hinein, denn da wohnt die Schneekönigin auf dem Lande und brennt jeden Abend bengalische Flammen. Ich werde einige Worte auf einen trocknen Stockfisch schreiben; Papier habe ich nicht; den werde ich Euch für die Finnin dort oben mitgeben; sie kann Euch besser Bescheid ertheilen, als ich!«

      Und als Gerda nun erwärmt war und zu essen und zu trinken bekommen hatte, schrieb die Lappin einige Worte auf einen trocknen Stockfisch, bat Gerda, wohl darauf zu achten, band sie wieder auf dem Rennthier fest, und dieses sprang davon, »Fut! Fut!« ging es oben in der Luft; die ganze Nacht brannten die schönsten blauen Nordlichter; – und dann kamen sie nach Finnmarken und klopften an den Schornstein der Finnin; denn sie hatte nicht einmal eine Thüre.

      Da drinnen war eine Hitze, daß die Finnin fast nackt ging; sie war klein und schmutzig; gleich löste sie die Kleider der kleinen Gerda und zog ihr die Fausthandschuhe und Stiefel aus, – denn sonst wäre es ihr zu heiß geworden, – legte dem Rennthiere ein Stück Eis auf den Kopf und las dann, was auf dem Stockfische geschrieben stand; sie las es drei Mal, da wußte sie es auswendig und steckte den Fisch in den Suppenkessel; denn er konnte ja gegessen werden, und sie verschwendete nie Etwas.

      Nun erzählte das Rennthier zuerst seine Geschichte, dann die der kleinen Gerda; und die Finnin blinzelte mit den klugen Augen, sagte aber nichts.

      »Du bist sehr klug,« sagte das Rennthier; »ich weiß, Du kannst alle Winde der Welt mit einem Zwirnfaden zusammenbinden; wenn der Schiffer den einen Knoten löst, so erhält er guten Wind, löst er den andern, dann weht er scharf, und löst er den dritten und vierten, so stürmt es, daß die Wälder umfallen. Willst Du nicht dem kleinen Mädchen einen Trank geben, daß sie Zwölf-Männer-Kraft erhält und die Schneekönigin überwindet?«

      »Zwölf-Männer-Kraft?« sagte die Finnin. »Ja, das würde viel helfen!« Dann ging sie nach einem Bette, nahm ein großes zusammengerolltes Fell hervor und rollte es auf; da waren wunderbare Buchstaben darauf geschrieben, und die Finnin las, daß ihr das Wasser von der Stirn herunter lief.

      Aber das Rennthier bat wieder so sehr für die kleine Gerda, und Gerda blickte die Finnin mit so bittenden Augen voll Thränen an, daß sie abermals mit den ihrigen zu blinzeln anfing und das Rennthier in einen Winkel zog, wo sie ihm zuflüsterte, während es wieder frisches Eis auf den Kopf bekam:

      »Der kleine Kay ist freilich bei der Schneekönigin und findet dort Alles nach seinem Geschmacke und Gefallen und glaubt, es sei der beste Ort in der Welt; aber das kommt daher, daß er einen Glassplitter in das Herz und ein kleines Glaskörnchen in das Auge bekommen hat; die müssen erst heraus, sonst wird er nie wieder ein Mensch, und die Schneekönigin wird die Gewalt über ihn behalten!«

      »Aber kannst Du nicht der kleinen Gerda etwas eingeben, daß sie Gewalt über das Ganze erhält?«

      »Ich kann ihr keine größere Gewalt geben, als sie schon besitzt; siehst Du nicht, wie groß die ist? Siehst Du nicht, wie Menschen und Thiere ihr dienen müssen, wie sie mit nackten Füßen so gut in der Welt fortgekommen ist? Sie kann nicht von uns ihre Macht erhalten; die besitzt sie in ihrem Herzen; die besteht darin, daß sie ein liebes unschuldiges Kind ist. Kann sie nicht selbst zur Schneekönigin hineingelangen und das Glas aus dem kleinen Kay bringen, dann können wir nicht helfen! Zwei Meilen von hier beginnt der Garten der Schneekönigin; dahin kannst Du das kleine Mädchen tragen; setze sie beim großen Busche ab, welcher mit rothen Beeren im Schnee steht; halte keinen Gevatterklatsch, sondern spute Dich, hierher zurückzukommen!« Und dann hob die Finnin die kleine Gerda auf das Rennthier, welches lief, was es konnte.

      »O, ich habe meine Stiefel nicht! Ich habe meine Fausthandschuhe nicht!« rief die kleine Gerda. Das merkte sie in der schneidenden Kälte; aber das Rennthier wagte nicht, anzuhalten; es lief, bis es zu dem Busche mit den rothen Beeren gelangte; da setzte es Gerda ab und küßte sie auf den Mund, und es liefen große, blanke Thränen über des Thieres Backen; und dann lief es, was es nur konnte, wieder zurück. Da stand die arme Gerda, ohne Schuhe, ohne Handschuhe, mitten in dem fürchterlichen, eiskalten Finnmarken.

      Sie lief vorwärts, so schnell sie nur konnte; da kam ein Regiment Schneeflocken; aber die fielen nicht vom Himmel herab, der war hell und glänzte von Nordlichtern; die Schneeflocken liefen gerade auf der Erde hin, und je näher sie kamen, desto größer wurden sie. Gerda erinnerte sich noch, wie groß und künstlich die Schneeflocken damals ausgesehen hatten, als sie dieselben durch ein Brennglas betrachtete. Aber hier waren sie freilich noch größer und fürchterlicher; sie lebten; sie waren der Schneekönigin Vorposten, sie hatten die sonderbarsten Gestalten. Einige sahen aus wie häßliche, große Stachelschweine; andere wie Knoten, gebildet von Schlangen, welche die Köpfe hervorstreckten; noch andere wie kleine dicke Bären, auf denen das Haar sich sträubte; alle waren glänzend weiß, alle waren lebendige Schneeflocken.

      Da betete die kleine Gerda ihr Vater unser;

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