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sie von Lisette Abschied nehmen für immer. »Wenn du beim fröhlichen Hochzeitsmahle sitzst,« sagte Lisette, »so denke an mich; um zwei Uhr geht der Zug ab, der mich fortbringt von hier,« und Berta versprach unter Tränen, an sie zu denken.

      Die Hochzeit sollte bei Verwandten, nicht weit von München gefeiert werden.

      Der Direktor und seine Tochter sprachen nicht viel miteinander auf der Reise. Jedes war von seinen eigenen Gedanken hingenommen; aber in dem Augenblick, als sie in den Bahnhof einfuhren, sagte der Vater leise zu seiner Tochter: »Denke daran, daß dir Mutterliebe entgegengebracht wird, und erwidere sie um meinetwillen.« Sie nickte. Ja, gewiß wollte sie dem Vater heute zuliebe tun, was sie konnte, aber es kam ihr vor, als sei alles leer und kalt in ihrer Brust, keine Spur von Liebe konnte sie empfinden.

      Verschiedene Hochzeitsgäste waren an der Bahn; sie gingen alle zusammen nach dem Haus, in dem die Braut wohnte, die künftige Mutter. Wie im Traum wandelte Berta durch die fremden Straßen, und nun ging es in ein Haus hinein, und der Vater faßte sie an der Hand und sie hörte seine Stimme: »Hier, Berta, ist deine Mutter.« Berta sah auf. Eine große, stattliche Erscheinung stand vor ihr, streckte ihr die Hand entgegen und begrüßte sie ruhig und mit wenigen, kühlen Worten. Kein Kuß, keine Umarmung, gar nichts, was an eine Mutter erinnerte. Berta war erstaunt. Sie hatte sich das so ganz anders gedacht. Eigentlich war es ihr aber eine Erleichterung. Sie selbst hatte ja auch keine zärtliche Empfindung, so konnte ihre eigene Zurückhaltung nicht so auffallen. Die neue Mutter stellte sie nun einigen Mädchen vor, die auch als Gäste geladen waren, und überließ sie diesen.

      Erst in der Kirche sah Berta die Mutter wieder und sie mußte immer und immer wieder zu ihr hinüberblicken. Sie sah so ernst aus, nicht fröhlich und heiter, wie sich Berta eine Braut vorgestellt hatte. Einmal begegneten sich ihre Blicke. Schüchtern schlug Berta die Augen nieder vor dem ernsten, forschenden Blick, den sie noch lange auf sich gerichtet fühlte.

      Nach der Trauung versammelte sich die ganze Gesellschaft beim Mahle, und unter der jungen Welt, die Berta umgab, ging es bald sehr heiter und lustig zu, so daß auch sie sich vergaß und mit den andern fröhlich war. Schöne Trinksprüche wurden gehalten, von Braut und Bräutigam wurde viel Gutes gerühmt; und alle schienen es ganz gewiß zu wissen, daß auch Mutter und Tochter sich schon von Herzen lieb gewonnen hätten. Berta hörte auch etwas von ihren schönen, kastanienbraunen Haaren erwähnen und sah, wie alle Blicke auf sie gerichtet waren, aber genau verstand sie die Worte nicht, denn eben in diesem Augenblick wurden ihre Gedanken abgelenkt. Dort, an der Saaltüre war eine große Uhr angebracht und die Zeiger dieser Uhr sagten ihr, daß es jetzt zwei Uhr sei und daß in dieser Stunde ihre Lisette abreise. Bertas Fröhlichkeit war mit einem Male dahin: der ganze Abschiedsschmerz erfüllte wieder ihre Seele und sie kam sich wie treulos vor, daß sie ihn ein paar Stunden hatte vergessen können. Da wurde sie von ihrem jungen Tischnachbarn angesprochen: »Fräulein, der Trinkspruch gilt ja Ihnen, auf Sie wird angestoßen!«

      Da raffte sich Berta zusammen, ergriff ihr Glas, stieß mit allen an, die freundlich zu ihr herkamen, und suchte ein fröhliches Gesicht zu machen. Es gelang ihr wohl, die Fremden zu täuschen, auch der Vater schien nichts zu bemerken, als er mit ihr anstieß. Aber die Mutter, hatte sie wohl auch keine Ahnung von Bertas trauriger Stimmung? Ihr Blick ruhte beobachtend auf dem Mädchen, das sich ihr schüchtern näherte, und als sie nun zusammentrafen, beugte sie sich zu Berta herab und sagte leise, so daß es keines der Umstehenden hören konnte: »Nur getrost, der Tag wird bald überstanden sein!« Verwirrt schlug Berta die Augen nieder, sie fühlte, daß die Mutter sie durchschaut hatte.

      Der Abend war gekommen; ein Dienstmädchen hatte Berta in das Gaststübchen geleitet, das für sie gerichtet war, und nun hatte sie sich zu Bett gelegt. Da ging die Türe auf und die Mutter trat ein. Bertas erster Gedanke war, sich schlafend zu stellen, denn sie scheute sich, mit der Mutter allein zu sein; sie hatte sich schon oft vergeblich besonnen, was sie antworten solle, wenn die Mutter sie fragte: »Hast du dich gefreut auf mich? Hast du mich lieb?« Und nun, wenn sie so allein beisammen waren, kamen sicherlich solche Fragen. Aber Berta war nicht gewöhnt, sich zu verstellen; und als die Mutter fragte: »Du wachst doch noch?« antwortete Berta »ja« und setzte sich in ihrem Bett auf.

      »Ich komme nur wegen deines Haares,« sagte nun die Mutter, »es ist ja ganz offen und wäre morgen so verwirrt, daß dich das Mädchen wohl erbärmlich rupfen würde, wenn sie es dir machen sollte, ich will dir’s noch flechten; rücke nur ein wenig näher her zu mir, so, jetzt wird es ganz gut gehen.« Sie nahm die Haarbürste und strich langsam und geduldig durch das lange, verwirrte Haar.

      »Was hat der Onkel heute in seinem Trinkspruch über dein Haar gesagt? War es nicht, man müßte dich schon lieb haben wegen deines schönen, kastanienbraunen Haares?«

      »Ja, so ungefähr war es,« bestätigte Berta.

      »Nun, das ist doch ein wenig zu viel verlangt; da müßte ich viele Mädchen gern haben, wenn ich alle die lieb hätte, die kastanienbraunes Haar haben!« Berta lachte. »Auch sonst,« fuhr die Mutter fort, »ist gar zu viel vom Liebhaben gesprochen worden. Wie sollen wir uns denn lieb haben, du und ich, wir kennen uns ja noch gar nicht. Aber es kann ja vielleicht einmal so kommen. Wenn wir beide Gottes Willen tun, wenn wir beide Gottes Wege gehen, dann können wir uns wohl begegnen. Zunächst aber ist es ja noch gar nicht möglich.«

      Berta wurde es leichter ums Herz bei diesen Worten der Mutter; es kam ihr nun nicht mehr wie ein Unrecht vor, daß sie die Mutter nicht lieb hatte, diese erwartete es ja gar nicht und hatte auch sie nicht lieb. Eine Weile war es ganz still im Zimmer. »Wie ruhig ist es hier in dem Stübchen, es tut mir ganz wohl nach dem unruhigen Tag unter den vielen Leuten,« fing die Mutter wieder an. »Mir ist’s heute schwerer ums Herz gewesen, als die lustigen Hochzeitsgäste geahnt haben. Und dir war es auch nicht leicht, ich habe es wohl bemerkt, als der Onkel den Trinkspruch auf dich ausbrachte. Nicht wahr, da hattest du traurige Gedanken?«

      »Ja,« sagte Berta, »da mußte ich an unsere Lisette denken, an unser Mädchen. Sie hat zu mir gesagt: denke an mich um zwei Uhr, da reise ich ab. Es war aber gerade zwei Uhr auf der Uhr im Saal.«

      »Und da hast du an unsere Lisette gedacht, mitten in der Festfreude? Sieh, das gefällt mir jetzt von dir. Hast du sie lieb gehabt, war sie ein gutes Mädchen?«

      »O ja,« rief Berta und fing an, ihre Lisette zu rühmen.

      »Und was waren denn ihre schlechten Eigenschaften?« fragte jetzt die Mutter.

      »Sie hat gar keine gehabt!«

      »So, und ein solch tadelloses Mädchen hat dein Vater gehen lassen? Warum ist sie denn nicht geblieben?«

      »Weil – weil eben –«

      »Weil sie eben gegangen ist, nicht wahr,« sagte die Mutter, die den Grund wohl erraten mochte. »Aber höre, wie machen wir denn das, können wir sie nicht wieder bekommen?«

      »Sie ist bloß zu ihren Eltern gegangen, aber Papa will eine andere.«

      »Ja, ja und diese ist auch schon gedungen. Für das nächste Vierteljahr können wir also nichts machen; aber dann – wie meinst du, wenn....«

      In diesem Augenblick klopfte jemand an die Türe. Die junge Frau wurde gerufen, sie möchte doch kommen, man warte schon lange auf sie.

      »Schon gut, ich komme gleich, ich habe nur vorher noch häusliche Angelegenheiten mit meiner Tochter zu besprechen.«

      Das Haar war längst geflochten, die Mutter saß auf dem Rand des Bettes. »Wie meinst du, wenn wir beide an Weihnachten auf unseren Wunschzettel setzen, daß wir Lisette wieder möchten? Da wird sie uns dein Vater bescheren, meinst du nicht? Das wollen wir uns vornehmen.«

      »O ja,« sagte Berta, ganz beglückt über diese Aussicht, »das ist ein schöner Plan!«

      »Nun will ich aber hinübergehen,« sagte die Mutter und stand auf; »morgen werden wir uns nicht mehr lang sehen, dein Vater und ich reisen ja frühzeitig ab. Vierzehn Tage soll die Hochzeitsreise dauern und am Tag nach uns sollst auch du heim kommen. Du hast es gut, du kommst heim, ich aber komme in ein ganz fremdes Haus und soll mich dort daheim fühlen. Ich habe Angst davor und so oft heute die Rede

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