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Schneiderlein sprang von der Arbeit auf, als es die Mutter so unverhofft vor sich sah, und aus seinen blauen Kinderaugen strahlte ihr die helle Freude entgegen. Aber was sie sonst sah und erfuhr, war schlimm genug. Obwohl Fridolin die feinste Kundschaft hatte und von früh bis spät arbeitete, war doch kein Geld da. Denn meistens vergaß er, für seine Arbeit eine Rechnung zu schicken, und wenn ehrliche Leute von selbst zahlten, so ließ er das Geld offen herumliegen, daß es nehmen konnte, wer da wollte.

      »So kann’s nicht fortgehen,« sagte die Mutter zum Sohn, als sie mit ihm allein war. »Nein, so kann’s nicht fortgehen,« gab Fridolin zu. »Das muß man ändern,« erklärte die Mutter. »Ja, das muß man ändern,« wiederholte der Sohn. »Fridolin,« erklärte nun die Mutter bestimmt, »du mußt heiraten, daß du eine tüchtige Hausfrau bekommst.« Da sah das Schneiderlein sie ganz bestürzt an und schüttelte den Kopf. »Davon versteh ich nichts, Mutter,« sagte er, und so sehr ihn auch die Mutter überreden wollte, er gab nicht nach. So mußte sich denn die Mutter auf einen andern Ausweg besinnen. »Ist’s dir recht, wenn wir zu dir ziehen, der Vater und ich und die Kinder alle?« Diesmal wurde ihr Vorschlag anders aufgenommen. Fridolin strahlte mit dem ganzen Gesicht. »Ja,« sagte er, »und bleib du nur gleich da, Mutter.« »So leicht geht das nicht, erst muß ich mit dem Vater reden und der Umzug kostet Geld! Wo soll das so schnell herkommen?« Jetzt tat es dem Fridolin zum erstenmal leid, daß er kein Geld hatte, und er fing an, seine Schubladen zu durchsuchen. »Mutter,« sagte er, »ich habe anfangs einen ehrlichen Gesellen gehabt, der hat immer das Geld eingenommen und manchmal hat er gesagt: ›Meisterlein, Ihr Geld verstecke ich vor den Buben, vielleicht brauchen Sie’s einmal,‹ aber ich weiß nicht mehr, wohin er’s versteckt hat.« Nun machte sich die Mutter auch daran, alles zu durchsuchen, und richtig entdeckte sie ganz unten im Kasten in einer alten Knopfschachtel mehrere Goldstücke. Das war nun eine Freude, und die Mutter dankte im Geiste dem wackeren Gesellen, der so für ihren Sohn gesorgt hatte.

      Nach einigen Wochen schon war die ganze Familie in die Stadt gezogen, und obwohl unser Schneiderlein nicht viel Worte machte, sah man ihm an, wie glücklich er sich fühlte. Nun kam auch Ordnung ins Haus. Gleich am ersten Tag blieben die Gesellen bis um 12 Uhr an der Arbeit, während sie sonst schon um 11 Uhr davongelaufen waren. Sie merkten, daß nun eine Meisterin da war, die ein strenges Regiment führte. Um 12 Uhr deckte die Mutter im Nebenzimmer den Tisch; der Vater kam zum Essen, die Kinder versammelten sich, die Mutter trug die Suppe auf, nur Fridolin fehlte noch. »Der merkt nicht, daß Essenszeit ist,« sagte der Vater und schickte den Kleinen in die Werkstatt, daß er Fridolin hole. Der war aber nicht da. Er war wie verschwunden. Nach einer halben Stunde kam er wieder, und nun stellte sich’s heraus, daß er nach alter Gewohnheit in sein Kosthaus gegangen war und ganz vergessen hatte, daß nun daheim für ihn der Tisch gedeckt war. Aber Fridolin lachte mit dem ganzen Gesicht, als er andern Tags mit all seinen Geschwistern um den Tisch saß, und er legte den kleinen Brüdern einen Kloß nach dem andern auf den Teller, schaute ihnen vergnügt zu und fragte immer wieder: »Schmeckt’s euch?« so daß die Mutter ihm wehrte und sagte: »Iß du lieber selbst.« Doch der Fridolin schien vom Zusehen satt zu werden, er aß nie so viel wie andere Leute.

      Der Vater sah mit Stolz, wie die vornehmsten Herrn vor dem Haus anfuhren und sich von dem kleinen Schneiderlein das Maß nehmen ließen; wie sie ihm dann wohl ein Weilchen bei der Arbeit zusahen und staunten, wenn seine kleinen Hände mit der Schere so flink durch den Stoff fuhren, als wüßte die Schere von selbst ihren Weg. Mit der Zeit kamen statt der fremden Arbeiter die Brüder zur Hilfe, die auch nicht ungeschickt waren, und so gedieh das Geschäft immer besser. Die ganze Familie lebte in Glück und Frieden, die Kinder alle konnten etwas Tüchtiges lernen und fürs Alter wurde jedes Jahr etwas zurückgelegt.

      Unser Schneiderlein war aber noch nicht vierzig Jahre alt, als es eines Tages von der Arbeit weg zur Mutter kam, die nebenan im Zimmer saß. Sie sah erstaunt auf, was wollte er wohl mitten am Nachmittag? »Mutter, mir ist so weh,« sagte Fridolin, setzte sich auf den Schemel neben sie und legte seinen Kopf in ihren Schoß wie ein Kind. Die Mutter erschrak. »Du bist krank, Fridolin,« sagte sie, »komm, wir schicken den Bruder zum Arzt.« Aber er hielt die Mutter zurück. »Laß nur, Mutter,« bat er, »einen Riß kann man schon flicken, aber wenn das ganze Tuch mürb ist, dann kann man nimmer helfen.« »O Herzenskind, was ist dir denn?« rief die Mutter, »komm, lege du dich ins Bett!« »Ich lieg schon drin, ich lieg so gut,« antwortete Fridolin mit matter Stimme und dann legte er seine feinen, weißen Hände zusammen und sagte ganz leise:

      »Lieber Gott, mach mich fromm,

       Daß ich zu dir in den Himmel komm!«

      Dann fielen ihm die Augen zu – für immer. Die alten Eltern haben ihn nie verschmerzen können und die Geschwister alle haben ihm ein treues Andenken bewahrt und werden noch ihren Kindern und Enkeln erzählen von dem kleinen Schneiderlein, dem Wunderkind!

      Mutter und Tochter.

       Inhaltsverzeichnis

      Zwischen den stattlichen Bäumen des Schloßgartens wanderte Arm in Arm im Gespräch ein Paar, das die Vorübergehenden wohl für ein Ehepaar hielten, denn der Mann mochte ein Vierziger sein und sie in den Dreißigern stehen. Aber doch waren sie erst ein Brautpaar. Er, der Direktor Hänlein, ein Witwer, der nach zehnjähriger Ehe seine Frau verloren hatte; und sie die Witwe eines Missionars, der wenige Wochen nach der Verheiratung im fernen Indien gestorben war. Im gleichen Jahr war er Witwer und sie Witwe geworden. Sie kannten sich aus der Jugendzeit und hatten sich aus weiter Ferne Teilnahme ausgesprochen, aber nie hatten sie sich wieder gesehen in den fünf Jahren des Witwenstandes. Der Fabrikdirektor lebte mit seinem einzigen Töchterchen in München, und sie wirkte als Vorsteherin einer Töchterschule in Hannover.

      In diesen Tagen nun führte eine Versammlung den Direktor für ein paar Tage nach Hannover. Dort trafen die beiden sich nach langen Jahren wieder, und heute hatten sie den Entschluß gefaßt, den ferneren Lebensweg gemeinsam zu gehen.

      Vieles war schon besprochen worden zwischen ihnen und nun sagte die Frau: »Erzähle mir jetzt von deiner Tochter; ich möchte mir ein Bild von ihr machen. Vierzehn Jahre ist sie, nicht wahr, und wie sieht sie aus?«

      »Nun, wie eben so Mädchen in diesem Alter auszusehen pflegen,« sagte er.

      »Ist sie groß für ihr Alter?«

      »Ob sie gerade unter ihren Altersgenossen zu den Großen gehört, weiß ich nicht, ich denke, sie ist mittlerer Größe.«

      »Ist sie blond oder dunkel? Sieht sie dir ähnlich oder ihrer Mutter?«

      »Besondere Ähnlichkeit mit ihrer Mutter ist mir nie aufgefallen.« Die Braut lächelte. »Du erkennst sie aber doch, wenn sie dir auf der Straße begegnet?« fragte sie.

      Er ließ sich die Neckerei gefallen. »Ich habe keinen Blick für diese Dinge. Hätte ich geahnt, daß du ein so scharfes Verhör mit mir anstellst, hätte ich mir Berta noch genauer angesehen. Du wirst sie aber bald selbst sehen.«

      »Aber über ihr Wesen möchte ich etwas von dir hören.« Da wußte der Vater besser Bescheid. »Sie ist gut,« sagte er, »du wirst keine schwere Aufgabe mit ihr haben; die Haushälterinnen, die wir in den letzten Jahren hatten, haben sich nie über sie beklagt. Ein wenig zurückhaltend ist sie, etwas scheu und verschlossen gegen Fremde. Von ihrem Konfirmandenunterricht war sie sehr ergriffen, und obwohl wir nie davon sprechen, fühle ich doch, daß das, was sie in diesem Unterricht gelernt hat, lebendig in ihr geworden ist.«

      »O, das ist gut,« sagte die künftige Mutter, »dann finde ich schon den Anknüpfungspunkt mit ihr. Wie meinst du, daß sie die Nachricht von unserer baldigen Verheiratung aufnehmen wird?«

      »Das weiß ich nicht. Über solche Dinge habe ich nie mit ihr gesprochen. Aber du weißt ja am besten, wie die Mädchen ihres Alters ungefähr sind.«

      »Ich meine, sie sind sehr verschieden,« sagte die Frau, »und ich bitte dich, schreibe mir, wie sie deine Mitteilung aufgenommen hat.«

      »Ja,« sagte der Direktor.

      Aber seine Braut

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