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für wahr gehalten und später die schönsten Geschichten haargenau nachgespielt. Allerdings nie, ohne sich vorher um die besten Rollen zu streiten! Auch wenn Ralea es natürlich nie zugegeben hätte, sehnte sie sich manchmal in diese Zeit zurück und hätte am liebsten wieder Morganas Geschichten gelauscht, bis sie alles um sich herum vergessen hätte und in einer anderen Welt versunken wäre.

      Morganas Stimme holte Ralea nun wieder zurück in die Gegenwart. Sofort spürte sie die Überraschung der Menschen rings um sich herum – niemand, der sie nicht kannte, hatte dem alten Mütterchen mit dem faltigen Gesicht und den grauen Haaren solch eine volltönende Stimme zugetraut.

      „Ihr alle kennt die Geschichte, die ich euch nun erzählen werde.“

      Ralea konnte sich denken, von welcher Geschichte Morgana sprach. Sie hatte sie den Kindern früher schon oft genug erzählt. Morgana machte eine Pause und sah hinab auf ihre Füße, um sich zu sammeln. Fast hätte Ralea laut aufgelacht, so vertraut war ihr diese Angewohnheit, doch sie unterdrückte den Impuls, da ihr die gespannte Stille auf einmal noch deutlicher bewusst wurde. Nicht das leiseste Räuspern oder Husten war zu hören. Alle sahen gebannt zu Morgana. Diese schaute nun auf, ließ ihren Blick kurz über die Menschen schweifen und begann zu erzählen:

      „Diese Geschichte spielt lange vor unserer Zeit in einem Romanien, das mit dem heutigen Romanien, das wir kennen, nur noch wenig gemein hat. Zwar lebten Menschen und Baumlinge von jeher in den Wäldern, doch in der Gegend, die heute als Drachentod-Wüste bekannt ist, gab es saftige grüne Täler und Hügel, die sich von Horizont zu Horizont erstreckten. Dort lebten die Elfen, die sich heute mit sehr viel weniger Platz begnügen müssen, zusammen mit geheimnisvollen und sagenumwobenen Wesen: den Drachen! Diese zwei völlig unterschiedlichen Völker lebten in Harmonie mit einem gegenseitigen Respekt und Verständnis zusammen, wie es uns heute leider nahezu fremd geworden ist. Die Elfen bauten sich kleine runde Lehm- und Holzhütten und ließen den Drachen den nötigen Freiraum und Abstand. Sie feierten für ihr Leben gerne Feste mit Tanz, Musik und köstlichen Speisen. Sie galten als fröhliche Wesen, deren glockenhelles Lachen einem das Herz erwärmen konnte. Dieses Lachen war lange Zeit nicht zu hören. Bis heute ertönt es lange nicht so oft wie früher. Die Elfen mussten viel von ihrer Heiterkeit und unbeschwerten Gelassenheit einbüßen – doch dazu kommen wir noch.

      Ich könnte euch noch lange über die Bräuche, Sitten und Eigenschaften der Elfen erzählen, doch obwohl sie eine große Rolle in dieser Geschichte spielen, sind sie nicht die Hauptdarsteller. Nein, eine viel größere Rolle spielen ihre mysteriösen Brüder und Schwestern: die Drachen. Wie gerne würde ich euch genau so detailliert über sie berichten, wie ich es bei den Elfen vermag – doch das kann ich nicht. Es ist so schrecklich wenig über diese Wesen bekannt. Wer oder was waren sie genau? Keiner weiß, wie Drachen denken – oder ob sie überhaupt denken konnten. Sollte man sie zu den Tieren zählen? Oder war ihre Intelligenz mit unserer gleichzusetzen? Vielleicht sind sie uns ja sogar überlegen? Es ist noch nicht einmal bekannt, ob Drachen sich untereinander mit Sprache oder etwas Ähnlichem verständigen konnten.

      Anderes jedoch, beispielsweise über ihr Aussehen und ihre Lebensweise, kann ich euch mit Sicherheit sagen: Drachen lebten in großen Familienverbänden – sogenannten Clans – zusammen. So gut wie nie sah man einen von ihnen allein. Sie ernährten sich ausschließlich von Tieren, die durch die Täler des Graslandes zogen. Gelegentlich gab es Uneinigkeiten zwischen den Clans, doch endeten diese selten im Kampf. Und falls doch, so traten nur die jeweiligen Anführer gegeneinander an. Nur wenige solcher Kämpfe wurden beobachtet und wohl noch weniger wahrheitsgetreu überliefert, doch muss es ein unglaubliches und eindrucksvolles Erlebnis gewesen sein. Ausgewachsene Drachen wurden samt Schwanz um die zwanzig Meter lang und ihre Flügelspannweite stand dem in nichts nach. Wahrscheinlich liegt es an ihrer Größe und ihrem Furcht einflößenden Äußeren, dass Drachen heutzutage oft als blutrünstige Monster bekannt sind. Doch das ist Unsinn. Die früheren Elfen wussten zu berichten, dass Drachen sanfte und gutmütige Kreaturen waren. Alte Überlieferungen sprechen oft darüber, wie wunderschön die Drachen doch waren, wenn man nur offen dafür ist, ihre Art der Schönheit zu erkennen. Sie beschreiben ihren Körper als kräftig und elegant, ihren geschwungenen Hals als anmutig und schwärmen immer wieder von ihren Schuppenpanzern. Diese waren wohl wahrscheinlich nicht nur Schutz, sondern auch Erkennungsmerkmal eines Drachen: Nie gab es die gleiche Farbe zweimal, kein Drache glich dem anderen.

      Doch es sollte die Zeit kommen, in der das friedliche Zusammenleben zwischen Elfen und Drachen zerstört und vernichtet wurde. Es war, als hätte Romanien lange Zeit geschlafen und süß geträumt, bis schließlich der unsanfte Weckruf in Form einer kleinen Schar von Magiern über das Meer kam. Es waren nur etwa ein Dutzend. Sie alle trugen dunkle Umhänge und schlugen sich von der Küste her durch das Land. Angeführt wurden sie von einem Mann namens Argaron und seinem Sohn, einem Jungen namens Ketaris, der nie von seiner Seite wich. Als sie auf die ersten Elfen trafen, sprachen sie einen Zauber, der es ihnen erlaubte, trotz der unterschiedlichen Sprachen miteinander zu kommunizieren, und fragten sie nach dem Herrscher ihres Volkes.

      Gutgläubig und naiv, wie die Elfen waren, führten sie die Magier zu der Lehmhütte des Elfenkönigs im Herzen ihres Reiches. Auch dieser empfing die Gäste, denen ihr Ruf weit vorausgeeilt war, gastfreundlich mit einem Festessen unter freiem Himmel. Er hielt sie wohl für Menschen aus einem fernen Land, und vielleicht waren sie das ja tatsächlich, und erkundigte sich nach ihrer Reise und ihrem Befinden, wunderte sich zwar, dass sie so wortkarg waren, doch machte er sich darüber keine weiteren Gedanken. Als schließlich die Nacht heranbrach und alle satt waren, wurde die Tafel leer geräumt und ein paar Elfen stimmten auf langen Flöten ein fröhliches Lied an. Gerade wollte der Elfenkönig die Magier in einem unverfänglichen Ton nach dem Grund ihres Besuchs fragen, als Argaron von selbst darauf zu sprechen kam – er gab dem König unmissverständlich zu verstehen, dass sie nur aus einem Grund über das Meer gekommen waren: Um die Herrschaft dieses Landes an sich zu reißen und jeden niederzumachen, der sich ihnen in den Weg stellte. Sofort verstummte die Musik und die Elfen, die damit beschäftigt waren, die leeren Teller und Tabletts von der Festtafel zu räumen, stoppten erschrocken in ihren Bewegungen. Der König selbst starrte einen Moment lang ungläubig in das ernste Gesicht des Magiers.

      Noch ehe er sich fassen konnte, sprach dieser auch schon weiter: Wir geben Euch großzügigerweise die Möglichkeit, mir den Thron friedlich zu überlassen. Dann wird niemandem ein Leid geschehen. Solltet Ihr Euch jedoch wehren ... Das Ende seines Satzes blieb unausgesprochen, da das dröhnende Lachen des Elfenkönigs ihn unterbrach.

      Es ist also nicht genug, dass ihr mit dieser unverfrorenen Forderung meine Gastfreundschaft und meinen Stolz mit Füßen tretet – nun droht Ihr mir auch noch!, rief er mehr amüsiert als zornig. Aber anscheinend seid ihr nicht nur unhöflich, sondern auch noch dumm. Ihr seid elf Männer und dazu ein Jüngling, der seinen dreizehnten Sommer höchstwahrscheinlich noch nicht gesehen hat. Wir aber sind Tausende! Was wollt ihr gegen uns ausrichten? Seid lieber froh, dass ich Euch nicht die Zunge herausschneiden lasse, und verzieht euch schnell wieder dahin, wo ihr hergekommen seid!

      Kaum hatte der König zu Ende gesprochen, brachen alle Elfen, die um sie herum gestanden und mucksmäuschenstill ihrem Gespräch gelauscht hatten, ohne einen Laut zusammen, als hätte man sie mit unsichtbaren Pfeilen durchbohrt. Dumpf schlugen ihre Körper und das Geschirr in ihren Händen auf dem Gras auf. Erschrocken sprang der König auf und starrte in die Gesichter seiner Gefolgsleute, deren tote Augen blind in den Sternenhimmel über ihnen blickten.

      Eure Entscheidung ist gefallen. Argarons Stimme war leise und schicksalsschwer. In seinen kalten Augen war nichts als Grausamkeit zu lesen. Er und seine Gefolgsleute erhoben sich und ließen den Elfenkönig schreckensstarr neben seinen toten Untertanen stehen. Dies sollte aber nur der Anfang eines schrecklichen, ungleichen Kampfes sein. Der König rief alle Elfen zusammen, doch gegen die Macht der Magier konnten sie nichts ausrichten. Die größte Gefahr stellte ihr Anführer dar: Schon ein Fingerzeig Argarons reichte und die Elfen fielen scharenweise tot zu Boden. Zwar gab es auch unter den Elfen einige wenige, die der Magie mächtig waren, doch waren sie der Schwarzen Magie der fremdländischen Magier bei Weitem unterlegen. Tag für Tag starben Hunderte Elfen wie die Fliegen und die Drachen verzogen sich immer weiter an den Rand der Berge.

      Der

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