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Wesen darstellen. Roland ist blond und Uli dunkel, Roland ähnelt Vater, auch etwas im Wesen, jedenfalls in seiner ewigen Besserwisserei, Uli dagegen hat mehr von Mutter mitbekommen, die früher recht munter gewesen sein muß. Auch jetzt kann sie noch manchmal Temperament entfalten, meist wenn Vater nicht dabei ist. Ich mag Uli sehr gern. Seine langen, seidigen, dunklen und dichten Wimpern, etwas aufgehoben, sehen bezaubernd aus, und in seinen rabenschwarzen Augen können tausend Teufel tanzen. Wenn ich mal Söhne bekomme, so sollen sie wie Uli werden. Das dachte ich schon damals, als wir uns noch prügelten und anspuckten — früher. Jetzt tun wir das nicht mehr; immerhin bin ich sechzehn. Aber Uli kann unwiderstehlich sein. Und was ihm alles einfällt! Mütter mit sieben Söhnen haben bestimmt nicht so viel Ärger und Aufregungen, wie unsere allein durch Uli erfährt.

      Neulich wollte er sich ein Unterwasser-Atemgerät bauen. Da montierte er, wie, das ahne ich nicht, einen Druckmesser und ein Ventil auf eine Weinflasche und pumpte die dann auf. Er ließ sie im Wohnzimmer stehen und vergaß sie, wie so oft. Inzwischen muß der Luftdruck gefallen sein oder sonstwas. Jedenfalls gab es plötzlich einen heidenmäßigen Krach, einen solchen Mordsschlag, daß Mutter, die allein daheim war, dachte, das Haus falle ein. Sie rannte ins Wohnzimmer. Die Flasche war geplatzt, sie muß regelrecht auseinandergeschossen sein wie eine krepierende Granate. Ein paar Splitter staken in den Glasfenstern der Vitrine. Daß sowas überhaupt möglich ist, hätte ich nie geglaubt, wenn ich es nicht selbst gesehen hätte.

      Es gelang uns, die Spuren dieser Untat an einem Vormittag zu beseitigen. Vater hat nie etwas davon erfahren. Ich kam an jenem Tag früher heim, und Mutter war noch ganz durcheinander. Ich konnte nur trösten. Ich hatte Mutter noch nie so gesehen.

      Uli versprach, das mit der Flasche nie wieder zu machen, und als er damals Mutters noch immer zittrige Hände bemerkte, bat er sogar unaufgefordert um Verzeihung „für seine Blödheit“. Irgendwas mußte er bei dem Experiment übersehen haben. Aber bei Uli wußte man nie, ob ihm nicht morgen noch etwas Schlimmeres einfiele!

      Daran mußte ich jetzt denken, als Vater die Geschichte von der aufgebrochenen Hütte vorlas und ich sah, wie Uli blaß wurde, weiß um die Mundwinkel und grau unter den Augen.

      Ich wußte sofort, daß er dabeigewesen war. Ich erschrak. Diesmal traf es nicht nur uns. Wen schert es schon, wenn unser Haus in die Luft fliegt wegen einer auf Überdruck gepumpten Weinflasche? Aber wenn andere Leute geschädigt und beraubt werden — das kommt vor den Staatsanwalt! Wenn Vater nur jetzt nicht Verdacht schöpfte und den Blick aus der Zeitung auf seinen zweiten Zwillingssohn richtete mit der durchbohrenden Schärfe, mit der er es bei seiner Tochter Silke zu tun pflegt, das bin ich…

      Übrigens schien auch Roland nicht unschuldig zu sein. Er war ein bißchen rot geworden, aber das mußte nicht unbedingt auffallen. Er aß auch weiter. Uli nicht. Daraus schloß ich, daß Roland vielleicht nur Zuschauer bei dieser Untat gewesen sei — Zuschauer, aber nicht Verhinderer.

      Merkwürdig, daß ich Uli immer in Schutz nehmen will. Schon damals war das so gewesen, als die Jungen zwei waren und ich sechs, und ich sie hüten mußte. Schon damals verteidigte ich bei Katastrophen dieser oder jener Art — ach, wie klein waren sie im Vergleich mit den heutigen! — immer Uli. Er stiftete an, er führte aus, Roland folgte höchstens im Kielwasser seines Bruders. Und doch verteidigte ich immer ihn, sagte, er habe Pech gehabt, er habe es nicht so gemeint, er werde es nie wieder tun — und was großschwesterliche Ausreden und Begütigungen mehr sind. Denn gerade weil ich vor Vater ducke (denn er ist der Stärkere — ich komme doch nicht gegen ihn auf), gerade deshalb imponiert mir Ulis heldische Frechheit. Uneingeschüchtert und unbeeindruckt hatte er stets zugegeben, was er angestellt hatte. Heute zum erstenmal sah ich ihn blaß werden, und daran erkannte ich das Ausmaß der Tragödie.

      „Danke, ich bin fertig“, sagte ich und stand auf.

      „Aber du hast doch noch gar nichts —“

      „— getrunken? Ach so. Ja, bitte, gib mir Milch“, sagte ich rasch und schob Mutter meine Tasse hin. Ich trinke sonst nie Milch zum Frühstück, aber ich war so verwirrt, daß ich es diesmal tat. Und dann gelang mir endlich die Flucht.

      Im Flur hörte ich Vater noch von „neuer Mode“ und „eher wegrennen“ reden, aber da war ich schon durch die Tür. Ich lief unseren Vorgarten entlang und um die Ecke. Dort wartete ich.

      Sie mußten ja kommen, und sie kamen auch. Voran Roland, ein wenig betreten und noch nicht ganz zur Schadenfreude entschlossen, dahinter Uli, finster und blaß. Ich schloß mich ihnen wortlos an.

      „Seid ihr verrückt? Das ist kriminell“, sagte ich schließlich. Uli zuckte die Achseln. Roland verwahrte sich sofort: „Also wenn du behauptest, ich wäre dabeigewesen —“

      „Dabei warst du“, brummte Uli.

      „Aber ich habe nur —“

      „Du hast?“ fragte ich scharf.

      „Zugesehen, mehr nicht.“

      Klatsch, da hatte er eine Ohrfeige. Ich erschrak vor mir selbst — hier auf der Straße! Aber zum Glück waren wir im Augenblick allein.

      „Ist Zusehen etwa —“

      „Zusehen ist feige!“ schrie ich.

      „Ach, hätte ich vielleicht mitmachen sollen?“ fragte Roland höhnisch. Die Ohrfeige hatte zwar getroffen, aber er machte sie schlimmer als sie war. Doch er ging weder mit den Fäusten auf mich los noch schrie er mich an.

      „Wer war noch dabei?“ fragte ich mit knappem Atem.

      „Uwe — hier aus der Straße. Und Horst Koltmann.“

      „Jemand aus eurer Klasse?“

      „Nein. Die wohnen alle woanders.“

      „Was hat denn das damit zu tun?“

      „Ach, wir hatten das doch gar nicht vor. Wir wußten einfach nicht, was wir machen sollten — Vater hatte uns am Tag vorher den Fußball weggenommen. Eigentlich wollten wir an dem Tag kicken, aber da hatte er — da hatte Uli —“

      „Was hattest du?“ fragte ich Uli. Aber der schwieg, und Roland berichtete, nun bemerkenswert fröhlich: „Uli hatte bei Dr. Hermanns die Scheibe eingeschmissen. Weißt du das nicht mehr? Vater war stinkwütend —“

      Doch, jetzt wußte ich es wieder. Die Jungen hatten auf der Straße Fußball gespielt, was sie nicht sollen — und Uli war dieses Pech passiert. Er hatte wütend protestiert, er könnte nichts dafür, weil der Schuß zwar von ihm gekommen, aber von einem anderen mit dem Kopf abgefangen worden war. Der andere hatte ihn erst in die Scheibe geköpft, bestritt aber, schuld gewesen zu sein. Wenn andere etwas bestreiten, kommen sie fast immer damit durch.

      Unglücklicherweise war Vater dazugekommen. Er sah nur die Scheibe und die betreten umherstehenden Jungen, und seine sofortige Frage: „Wer war das?“ wurde einstimmig mit „Uli!“ beantwortet. Uli versuchte zu erklären, aber Vater hörte gar nicht zu. So jedenfalls hatten es die Jungen später berichtet. Uli mußte hineingehen und sich entschuldigen, auf der Stelle, Vater verlangte es und blieb so lange auf der Straße stehen. Und natürlich mußte Uli die Scheibe bezahlen, von seinem Taschengeld. Wochenlang hat er daran geknabbert. Dabei hätte Dr. Hermann das gar nicht verlangt, er soll sogar gelacht und gesagt haben, er habe als Junge auch Scheiben eingeschmissen. Auf jeden Fall aber wurde der Ball von Vater beschlagnahmt, ja, und da konnten die Jungen nicht mehr spielen, weder auf der Straße noch auf dem Fußballplatz.

      „Na und? Da seid ihr losgezogen, um die Hütte kaputtzuschlagen?“

      „Nein. Horst und Uwe — aber wehe, wenn du sagst, daß sie es waren!“

      „Ich will wissen —“

      „Die fragten, ob wir mitkämen, ein Stück spazierengehen — und da kamen wir dann zu der Hütte. Ich wußte gar nicht, daß es sie gab, sie liegt ziemlich versteckt. Und da —“

      „Da fingen die beiden andern an. Der eine drückte ein Fenster ein, nur so aus Quatsch. Und dann griff er durch und machte es von innen auf. Und dann krochen wir ’rein, alle

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