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Torwart in einer Ritterrüstung, die seine Bewegungsfreiheit einschränkt. Schon von seiner Kleidung her ein Sonderling in seinem Team, kein richtiger Spieler. Während seine Mannschaft am anderen Ende des Spielfelds einen Eckstoß ausführt, bewacht der kleine Ritter die eigene Torlinie. Der Trainer lehnt am Pfosten und macht keinerlei Anstalten, ihn dazu aufzufordern, doch mal 15 Meter nach vorne zu gehen. Damit er Konter ablaufen kann. Damit er am Spiel teilhaben kann. Macht so etwas einem echten Fußballer auf die Dauer Spaß?

      Manche begnügen sich damit. Viele nicht. Und haben irgendwann keine Lust mehr auf die Bude. Sie sind es leid, wenn die zuschauende Mutti den 10:0-Sieg mit den Worten kommentiert: „Du hattest ja gar nichts zu tun!“ Sie hätte auch sagen können: Du hast zum Sieg deiner Mannschaft nichts beigetragen. Einige hören dann irgendwann auf. Oder sie wollen ins Feld, um Teil des Spiels zu werden. Hier hinken sie nun aber den anderen hinterher, weil sie im Training bisher nur ins Tor durften. Höhepunkt der Bewegung war dort das zehnminütige Torschusstraining.

      Der kleine Neuer gehört zu den Keepern, die sich nicht ans Tor ketten lassen wollen. Denen es nicht ausreicht, die Schüsse der anderen zu parieren, so schön das Fliegen zwischen den Pfosten auch sein mag. Neuer will auch im Feld spielen. „Trainer, lass mich auch mal vorne spielen“, bettelt er bei Siggi Hüneborn. Zum Ende der Saison spielt die Schalker E-Jugend beim Konkurrenten Beckhausen 05. Zur Halbzeit führen die kleinen Knappen mit 2:0. Neuer hat keine Lust mehr, beschäftigungslos im Kasten zu stehen. Hüneborn hat ein Erbarmen und lässt ihn ab Mitte der zweiten Halbzeit im Feld spielen. „Er wollte doch unbedingt auch mal ein Tor schießen. Das mit dem Tor wurde an diesem Tag aber leider nichts.“

      Siggi Hüneborn verliert mit der Zeit die Lust am Mannschaftstraining. Nicht zuletzt wegen der überehrgeizigen (aber häufig ahnungslosen) Väter und Mütter am Spielfeldrand: „Ich hatte von den Eltern die Nase voll.“ Hüneborn erinnert sich an ein Spiel, wo er den Libero, den es damals noch gab, anwies, sich weiter nach vorne zu orientieren. „Schließlich hatten wir den Manu im Tor.“ Irgendwann stand der Junge heulend da und wusste nicht mehr, was er machen sollte. Denn von der Seitenlinie aus erteilte ihm sein Vater die Order, gefälligst hinten zu bleiben. Der Junge kam völlig von der Rolle: „Du sagst, ich soll nach vorne gehen – mein Papa sagt, ich soll hinten bleiben.“

       Training auf der „Alm“

      Gemeinsam mit Peter Schreiner, ebenfalls Jugendtrainer und Autor mehrerer Fachbücher, entwickelt Siggi Hüneborn die Idee, ein regelmäßiges Torwarttraining für die E- und D-Junioren anzubieten. „Ehrenamtlich. Ein spezielles Torwarttraining gab es damals in diesen Altersklassen noch nicht. Es war das erste Mal überhaupt, dass auf Schalke auch schon die ganz jungen Torhüter außerhalb des Mannschaftstrainings trainiert wurden.“

      Hüneborn sattelt um auf Torwarttrainer, so dass Neuer auch in den folgenden beiden Jahren sein Schüler bleibt. Man trainierte auf der „Alm“ am Parkstadion; so wird ein kleiner Grashügel genannt, der an den Parkplatz hinter der Haupttribüne angrenzt und auf dem nun zwei Tore aufgestellt werden. In dieser Ecke wurde ansonsten wild gepöhlt. Hüneborn: „Die kleine Wiese haben wir immer nur ,die Alm‘ genannt, weil sie einen Anstieg hatte. Vor dem Beginn des Trainings mussten die Jungs erst einmal die Scherben der zerdepperten Cola-Flaschen auflesen.“ Hüneborn nimmt sich zweimal pro Woche die jungen Keeper vor. Mit dem Bau der Arena und dem angeschlossenen Trainingszentrum verschwinden später der Parkplatz und die „Alm“. Hüneborn trainiert auch schon mal unkonventionell. So setzt er einen Rugbyball ein. Dieser muss einmal aufsetzen, bevor ihn die Jungs fangen dürfen. Anders als der kugelrunde Fußball verändert das Rugby-Ei dabei seine Richtung – in einer Weise, die nicht vorhersehbar ist. Dadurch wird die Reaktion geschult. Auch Tennisbälle kommen zum Einsatz. Außerdem trainiert Hüneborn oft Eins-gegen-eins- und Zweigegen-zwei-Situationen, je nach Anzahl der Keeper, die ihm zur Verfügung stehen.

       „Ein Juwel“

      Immer dabei: Mutter Marita und ihr Vater Wilhelm Leitheiser, Manuel Neuers „Opa Willi“, die den kleinen Manuel zum Training chauffieren. Hüneborn: „Ihr Auto war neben meinem das einzige auf dem Parkplatz.“

      Wilhelm Leitheiser war Bauleiter bei der Bundesknappschaft und ist nun ein rüstiger Rentner, der im Alter von 73 Jahren erstmals nach einem Arzt ruft. Opa Willi spielt eine wichtige Rolle im Leben des jungen Manuel Neuer. Er ist ein kluger und witziger Erzähler, wie er 2014, da ist er schon 89, bei einem öffentlichen Talk mit dem „Ruhr Nachrichten“-Chefredakteur Hermann Beckfeld eindrucksvoll demonstriert. Manuel Neuer hat seine schelmische Art wohl vom Opa Willi geerbt.

      Manuels Eltern Peter und Marita besuchen jedes Spiel ihres Sohnes, bei Auswärtsturnieren mit dem Wohnmobil. Als Siggi Hüneborns Mannschaft 1995 an einem großen Pfingstturnier im münsterländischen Rheine teilnimmt, reist der Trainer schon einen Tag früher an. „Ich hatte Freunde in Rheine.“ Auch die Neuers sind mit ihrem neunjährigen Sohn schon vor Ort, was Hüneborn aber nicht weiß. „Als ich mir abends schon mal den Sportplatz angeschaut habe, sprang plötzlich ein kleiner Junge aus dem Gebüsch und rief: ,Hallo Trainer!‘ Es war der Manuel.“

      Jahre später, als Manuel Neuer schon 15 ist, kommt es zu einem Wiedersehen mit seinem alten Trainer. Im Rahmen der Schul-Stadtmeisterschaften spielt Hüneborns Gesamtschule gegen die mit Schalker Nachwuchsspielern gespickte Mannschaft der Gesamtschule „Berger Feld“, die viele der blau-weißen Talente besuchen. Hüneborn: „Wir waren krasser Außenseiter, es ging nur um Schadensbegrenzung.“

      Keeper Neuer will gegen seinen alten Trainer unbedingt ein Tor schießen. Nachdem „Berger Feld“ eine komfortable Führung herausgeschossen hat, spielt der Keeper nur noch Libero und hat dabei eine ganze Spielhälfte für sich. Hüneborn: „Seine Mitspieler unterstützten ihn dabei. Manu zog aus 25 oder 30 Metern ab, manchmal gingen seine Schüsse nur haarscharf daneben. Und zum Glück hatten wir auch einen ordentlichen Torwart, der später immerhin Oberliga gespielt hat.“

      „Berger Feld“ gewinnt mit 10:0, aber Neuer bleibt ohne Torerfolg. Auf Hüneborn hinterlässt das Spiel einen nachhaltigen Eindruck: „Ich registrierte, dass der Junge was draufhatte. Dass er ein Juwel war. Er hob sich mit seiner Spielweise von allen ab, die ich hier gesehen hatte.“

      Ein Jahr zuvor hatte Manuel Neuer noch das Ende seiner Karriere auf Schalke gedroht – weil er zu klein gewachsen sei.

       KAPITEL 3

       Schalker Schule

      Als Vater der viel gerühmten Schalker Torwartausbildung gilt Lothar Matuschak. Der heute 67-Jährige widmete sich als Kind und Jugendlicher allerdings vornehmlich dem Schwimmsport. Matuschak war ein guter Schwimmer, zu seiner Zeit einer der besten im Raum Gelsenkirchen. Zum Fußball kam er erst ziemlich spät, so richtig erst als 18-Jähriger. Der Späteinsteiger schaffte es als Torwart trotzdem bis in die 2. Bundesliga. Dort bestritt er bis 1979 für Westfalia Herne 85 Spiele.

      Matuschak ist Bueraner. Sein Elternhaus stand in der Augustin-Wibbelt-Straße. Ein weiterer Hinweis darauf, dass Buer nicht nur Ruhrgebiet, sondern auch schon Münsterland ist. Denn eigentlich werden nur im Münsterland Straßen und Schulen nach dem Champion der westfälischen Mundartdichtung benannt. Matuschak hat sein ganzes bisheriges Leben ausschließlich in Gelsenkirchen verbracht – in Buer-Mitte und seinen Satelliten.

      1995 übernimmt Matuschak das Training der Schalker Nachwuchskeeper. Zunächst trainiert er die Torleute der U17, U19 und der Amateure und entwickelt dabei eigene Ideen, „wie man den Jungs helfen kann“. Mit der Zeit stoßen weitere Torwarttrainer hinzu, darunter Christof Osigus. Auch Osigus ist ein „Bueraner“, sein erster Verein war die Westfalia Buer. Eigentlich sollte es der „bürgerliche“ SSV sein, aber als er dort erstmals auftauchte, hatten die ihr Spiel abgesagt.

      Bei Schalke 04 durchlief Osigus als Torhüter alle Jugendmannschaften von der U12 bis zur U19. Beim DFB wurde er in die Auswahlteams U15 bis U19 berufen. Noch als A-Junior saß er einige Male bei den Schalker

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