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wissen. Das gab Halt und Mut und Zuversicht. Nein, sie hatte keine Angst vor dem neuen Leben.

      Anne hatte sich das Kopftuch fest umgebunden, war in die frische Schürze geschlüpft und bearbeitete eben ihre Hände mit heißem Wasser und Kleie. Sie sollte heute zum ersten Mal allein buttern. Margot reinigte den Hühnerstall. Sie hatten vereinbart, dass Anne nur im äußersten Notfall um Hilfe rufen würde.

      Das Butterfass drehte sich mit gleichmäßigem, platschendem Geräusch um sich selbst. Gleich war die Zeit um. Anne brühte noch rasch die Holzform und warf sie ins kalte Wasser. Dann schaltete sie aus.

      Es war ungeheuer spannend, dies alles allein zu machen. Welche Werte waren in ihre Hand gelegt! Gerade jetzt verarbeitete sie den Milchertrag einer halben Woche. Mit der Butter, die daraus gewonnen werden sollte, wurde gerechnet, genau wie man mit dem Ertrag eines Feldes rechnete. Wenn die Butter jetzt grießelig wurde? Oder überhaupt nicht zusammenhielt?

      Sie begriff, wie wichtig auch kleine landwirtschaftliche Betriebe waren. Man konnte Schulen schließen, manche Fabriken, die Universität, ein Bauer aber durfte keinen Tag ungenützt verstreichen lassen. Und sie gehörte nun zu diesem Stand, für ein ganzes Jahr, sie musste sich bewähren und keine Pflicht versäumen. Oh, es war doch nicht nur das Reiten, das lockte, wenn sie sich so konzentriert auf ihre Arbeit stürzte.

      Sie schraubte den Deckel des Behälters auf und guckte gespannt in das Innere des Fasses. Die Buttermilch roch so würzig – vorsichtig fischte sie mit dem Holzlöffel darin herum und atmete dann hörbar auf. Dicke gelbe Butterklumpen schwammen darin, genau wie am Donnerstag, als Margot ihr das alles zeigte.

      Während sie die Masse knetete und bearbeitete und immer wieder frisches Wasser darüberlaufen ließ, damit auch der letzte Rest Buttermilch herausgespült würde, versuchte sie zu schätzen, wie viel Stücke zu je einem halben Pfund es wohl diesmal geben würde. Voriges Mal waren es vierzig. Ob sie die Stücke auch so gut aus der Form brachte wie Margot?

      Die Nachmittagssonne schien schräg in den Raum herein, und Anne hob gerade das Brett mit den geformten Stücken aufs Regal, als sie Schritte hörte.

      „Na, wie ist’s gegangen? Alles in Butter?“

      „Ich hoffe. Guck doch mal, sieht das nicht fein aus?“

      „O ja. Und du hast ganz rote Backen, richtig Reklame für die gute Lauterbacher Landbutter“, sagte Margot lachend.

      „Ja? Ach, du, es war alles so aufregend für mich, aber wie siehst du denn aus?“, fragte Anne jetzt. Margot stand vor ihr in weißer Hemdbluse und schwarzer Reithose, die hohen Stiefel blank geputzt.

      „Gut hoffentlich oder etwa nicht? In fünf Minuten sollst du auch so aussehen, sagt die Königin. Wenn du magst, heißt das.“

      „Wir dürfen ...“

      „Jawohl, seine Majestät der Herr Reitlehrer haben geruht, anzurufen.“

      „Ach du meine Güte, hilf mir bloß, dass ich schnell fertig werde. Jetzt gleich? Du, ich hab Lampenfieber!“

      „Ich auch, vor jeder Reitstunde. Aber das hilft nichts. Komm schnell, wenn die Abendmilch kommt, müssen wir wieder zurück sein.“

      Sie schlossen den Milchraum zu und rannten miteinander über den Hof.

      „Deine elterliche Zustimmung hab ich vorhin schon hinübergetragen ins Schloss“, sagte Margot im Laufen, „ich wusste, wo der Brief lag. Es musste schnell gehen.“

      „Ja, danke dir. Und die beiden andern?“

      „Die kommen heute auch mit. Später wechseln wir beide dann mit ihnen ab. Damit wir nicht immer alle vier vom Betrieb abwesend sind. Aber die Anfangsrede will Kornelius nicht zweimal vom Stapel laufen lassen.“

      „Kornelius?“

      „Ja, diesen hochtrabenden Namen führt der Gestrenge. Versprich dich nur nicht. Mit Nachnamen heißt er Reuter. Und sei ja de- und wehmütig, wenn er schimpft. Das tun alle Reitlehrer. Und ohne Schinderei lernt man nichts.

      Morgen kannst du keinen Schritt laufen, ohne auweh zu schreien.“

      Sie waren in ihrem Zimmer angelangt, und Anne fuhr hastig in die Reithose. Es war noch dieselbe vom Fasching, kein Staatsstück, aber wie sollte sie zu einer richtigen Ausrüstung kommen? Dafür waren die Stiefel sehr gut, ein Geschenk des Großvaters, weich und tadellos im Sitz. Margot beäugte Anne kritisch.

      „Du siehst aus – eigentlich unverschämt gut. Ich selbst mache nur eine sehr mittelmäßige Figur zu Ross, mild gesprochen.“

      „Ach du! Schon immer hast du auf Pferden gesessen, und hier hast du doch einen Vorsprung von einem halben Jahr!“

      „Wennschon. Ich bin zu füllig.“ Margot lachte und klopfte sich auf die Stelle, wo ihr Gürtel wirklich recht stramm saß. „Auf dem Pferd kommt alles zu Tage, da kannst du nichts vertuschen, da ist es Essig mit Schlankwirken und so. Du wirst es selbst sehen, das heißt, wenn du erst so weit bist, dass du beim Reiten in den Spiegel gucken kannst.“

      „Spiegel?“

      „Natürlich. In der Reithalle sind doch überall Spiegel. Man bekommt das große Grausen, sag ich dir, wenn man sich sieht.“

      „Seid ihr fertig?“, rief es von nebenan. Dann kamen Herta und Erika herein, ebenso aufgeregt und glühend wie Anne, auch in Reithosen und Stiefeln.

      „Kinder, hab ich Angst!“, flüsterte Erika.

      „Das gehört sich so ...“

      „Los, Kornelius darf nicht warten!“, mahnte Margot.

      Sie hasteten die Treppe hinunter und holten ihre Räder. Es war nicht weit bis zum Schloss, aber jede Minute kostbar. Margot fuhr voran durch den Park, dann einen schmalen Weg an der Koppel entlang, ein Stück Feldweg und –

      „Dort ist das Schloss. Los, tretet noch ein bisschen schneller!“

      Die Ketten surrten. Dann waren sie angelangt, stellten die Räder im Schlosshof ab und folgten Margot klopfenden Herzens in den Stall. Kornelius Reuter, Frau Königs jüngerer Bruder, stand an der Tür. Er begrüßte die Mädel mit prüfenden Blicken, sah ihr Lampenfieber und lächelte kaum merklich. Zwei junge Männer führten gerade ihre Pferde hinaus.

      „Wer sind denn die?“, flüsterte Anne.

      „Bauernsöhne aus der Umgebung“, sagte Margot, „sie gehören zum ländlichen Reitverein.“ Anne machte ein bestürztes Gesicht. Auch noch Zeugen zu haben bei der ersten Reitstunde!

      „Also, Sie können mit Pferden umgehen, wie Margot berichtete?“, fragte Reuter in seiner knappen Art, die sehr an die seiner Schwester erinnerte. „Ja? Wissen Sie Bescheid? Nie ohne Anruf in den Stand gehen, immer von links, ruhig und ohne Angst. Sie haben schon selbst gesattelt, alle? Gut. Margot, Sie nehmen den Bubi. Sie, Herta – ich nenne Sie der Einfachheit halber alle mit Vornamen – die Fortuna, Erika den Felix. Sie“, er sah kurz auf einen der Zettel herab, den er in der Hand hielt, „Angelika ...“

      Anne zog ein Gesicht, als habe sie unvermutet auf etwas Hartes gebissen. Angelika – gewiss, so war ihr Rufname, aber –

      „Na, was gibt’s denn?“, fragte Kornelius Reuter erstaunt.

      „Bitte, ich bin kein Engelchen“, sagte Anne. Reuter lachte.

      „Nein? Ich dachte gerade, Sie seien eins. Heißen Sie nicht so?“

      „Doch, leider. Aber ich kann nichts dafür, dass meine Eltern in ihrer Verblendung ...“

      Er lachte noch mehr.

      „Oh, Sie Arme! Verblendete Eltern! Die hab ich übrigens auch gehabt. Kornelius ist ebenso schön wie Angelika. Wollen wir uns miteinander trösten?“

      „Ich bitte ...“, sagte Anne und stockte. Sie war wütend. Wie oft hatte sie schon solche Situationen erlebt.

      „Also, was bitten Sie?“

      „Alle

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