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Die weiße Giraffe. Lauren St John
Читать онлайн.Название Die weiße Giraffe
Год выпуска 0
isbn 9783772543418
Автор произведения Lauren St John
Издательство Bookwire
«Sicher?» Dann klopfte er ihr mit seiner enormen Hand, die rosa und feucht war, auf die Schulter. «Na dann, Kopf hoch, Kleine. Willkommen in Afrika!»
Die Frau am Informationsschalter im Flughafengebäude trommelte mit ihren lila lackierten Fingernägeln auf dem Tresen herum und äugte über Martines Kopf hinweg auf die Schlange, die sich hinter ihr zu bilden begann. Auf ihrem Namensschild las Martine: Noeleen Henshaw, Assistant Supervisor.
«Mein liebes Mädchen. Ich würde dir ja nur zu gerne helfen» näselte sie. «Doch dafür brauche ich noch ein paar zusätzliche Informationen. Also: Wie sieht deine Großmutter denn aus?»
Martine versuchte vor ihrem geistigen Auge ein Bild der Großmutter heraufzubeschwören, die sie noch nie gesehen hatte. «Sie hat graues Haar», sagte sie zögernd. «Und eine Brille. Ja, ich glaube, sie trägt eine Brille.»
Noeleen Henshaw seufzte. «Und wann hast du deine Großmutter zum letzten Mal gesehen?»
«Nun, äh …»
«Oder hast du ihre Telefonnummer?»
«Nur ihre Adresse», sagte Martine kleinlaut. Während des Fluges hatte sie Hayley, eine freundliche Stewardess, betreut, die sich um die allein reisenden Kinder zu kümmern hatte. Doch sobald die Maschine in Kapstadt gelandet war, hatte Hayley nur mit dem Finger auf den Flughafenbus gezeigt und ihr von der Flugzeugtreppe aus vergnügt hinterher gewinkt.
Noeleen schüttelte ungeduldig ihr hennarotes Haar und blickte wieder auf die Menschenschlange. «Jetzt hör mal gut zu, Sweetie. Am besten du setzt dich jetzt dort drüben hin, wo ich dich nicht aus den Augen verliere. Und wenn deine Großmutter nicht auftaucht, dann sorge ich dafür, dass sich sonst jemand um dich kümmert.»
«Okay. Besten Dank», sagte Martine mit unsicherer Stimme.
Sie ergriff ihren Koffer und den neuen olivgrünen Rucksack, den ihr Miss Rose geschenkt hatte, und ging in die Ankunftshalle zurück. Dort setzte sie sich unter die Schrift Welcome to South Africa. Nie in ihrem Leben hatte sie sich weniger willkommen gefühlt. Ihre Maschine war vor mehr als einer Stunde in Südafrika gelandet, und immer noch war niemand sie abholen gekommen. Martine war den Tränen nahe. Ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Ihre Großmutter wollte nichts mit ihr zu tun haben. Wieso also hätte sie sie am Flughafen abholen sollen? Da saß Martine nun ohne Geld und Unterkunft und hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte.
Abgesehen davon fühlte sie sich vor lauter Hunger ganz schwach. Es war jetzt 10 Uhr vormittags, und seit gestern Abend hatte sie außer dem Schokoladenkuchen von Mrs. Morrison nichts gegessen. Das Essen im Flugzeug war ungenießbar gewesen. Die Rühreier waren wässrig, die Brötchen hart wie Tennisbälle gewesen, und die Hauptspeise hatte wie Tierfutter geschmeckt. Martine hatte beschlossen, nie mehr ein Flugzeug zu besteigen ohne eine große Ration Schokoladekuchen und ein paar Schinkenbrote obendrein. Ihr gegenüber trug gerade eine Frau lächelnd einen Mango-Fruchtshake und einen großen Muffin von einem Imbissstand. Martines Magen rumorte neidisch.
«Miss Martine, Sie haben bestimmt geglaubt, wir hätten Sie vergessen» dröhnte eine Stimme, die so tief war, dass sie wie eine Basstrommel in Martines Brustkorb vibrierte. Als Martine aufblickte, sah sie einen mahagonifarbenen Riesen, der sich mit ausgestreckten Armen zu ihr hinunterbeugte, mit dem breitesten Lächeln Afrikas auf dem Gesicht. Auf einer seiner glänzenden Wangen prangte eine Narbe in Form eines Fragezeichens. Um seinen Hals baumelte ein Zahn an einem Lederband. Er trug einen Buschhut mit einem Zebrafellband und khakifarbene Jägerkleidung, die auch schon bessere Tage gesehen hatte.
«Miss Martine?», fragte er und brach in stürmisches Gelächter aus. Ohne ihre Reaktion abzuwarten, ergriff er ihre Hand und schüttelte sie heftig auf und ab. «Mein Name ist Tendai», sagte er. «Ich bin sehr, sehr erfreut, Sie kennen zu lernen. Ihre Großmutter hat mir alles über Sie erzählt. Es tut ihr wirklich sehr leid, dass sie Sie nicht selbst am Flughafen abholen konnte. Aber wir hatten einen fürchterlichen Vormittag. Alles begann mit einem Anruf spät gestern Abend, als man uns mitteilte, dass eine Lieferung Elefanten, die erst für das Wochenende vorgesehen war, wegen eines Fehlers in den Frachtpapieren schon heute Morgen eintreffen würde. Außer Ihrer Großmutter und mir selbst war niemand da, der den Eingang der Lieferung hätte überwachen können. Und sie musste bleiben, bis der Tierarzt alle Dickhäuter untersucht hatte. Ich habe ihr deshalb angeboten einzuspringen und Sie an ihrer Stelle abzuholen. Nur hatte ich vergessen, dass sich ein Buschmann auf einer Autobahn nicht zurechtfindet. Und so habe ich eine Rundfahrt durch Kapstadt gemacht. Ich hoffe, Sie verzeihen mir. Ich werde sie so rasch wie möglich nach Sawubona bringen.»
Martine wusste nicht, wie sie auf diesen Redeschwall reagieren sollte, doch sie fand den großen, freundlichen Mann, aus dem die Worte nur so heraussprudelten, sofort sympathisch. Aus ihm sprach – fast wie eine Aura – die pure Natur.
«Es freut mich, Sie kennenzulernen, Tendai», sagte sie, nicht ohne schüchtern hinzuzufügen: «Natürlich verzeihe ich Ihnen.»
Nach einem weiteren Gelächtersturm nahm Tendai Martines Koffer unter den Arm, als wöge dieser nicht mehr als ein Huhn, und führte Martine in den sonnendurchfluteten Tag hinaus.
Vor dem Terminal sagte Tendai zu Martine: «Und wenn du nichts dagegen hast, können wir uns duzen.»
«Ich weiß nicht, was ich dagegen haben sollte», antwortete Martine.
• 4 •
An diese erste Fahrt nach Sawubona sollte sich Martine später noch oft erinnern. Tendai, der selber Zulu war, erklärte ihr, dass «Sawubona» in der Sprache der Zulu einen Gruß bedeutete. Sie verließen Kapstadt in seinem verbeulten Jeep über die Küstenstraße und fuhren an wunderschönen kleineren und größeren Buchten vorbei. Das dunkelblaue Meer ging am Horizont in den wolkenlosen Himmel über. Einige Strände waren wild, von hoch aufschäumender Gischt überspült und fast bis zum Wasser mit Bäumen bestanden. An anderen Stränden reihten sich regenbogenfarbene Strandhütten aneinander, und Surfer durchpflügten die Brandung auf ihren grellbunten Brettern. An wieder anderen Stränden sahen sie Pinguine und Robben. Und über der ganzen Szenerie thronten die malvenfarbigen Felsen eines Berges, der oben wie abgeschnitten war und – wie könnte es anders sein – Tafelberg hieß.
Nach etwa einer Stunde verließen sie die Küste in Richtung Inland. Martine staunte, wie schnell sich die Heidelandschaft in das Afrika verwandelte, das sie von Fotos her kannte. Blasse, stachelige Dornbäume und zerzauste Büsche standen verstreut im hohen gelben Gras, das in der gleißenden Sommersonne glühte, als würde es von unten beleuchtet. Die leere Landstraße lag wie ein endloser Teerstreifen vor ihnen. Als Martine das Fenster hinunterkurbelte, drang der staubige, tierische Geruch des Busches in den Jeep.
Unterwegs sprach Tendai von Sawubona und über seine Arbeit als Fährtenleser im Reservat. Dabei stellte sich heraus, dass Sawubona mehr war als ein bloßes Reservat. Es war ein Schutzgebiet für Wildtiere, und Tendais Aufgabe bestand darin, für das Wohlergehen seiner Bewohner zu sorgen. Etwa ein Viertel der Tiere in Sawubona waren dort geboren. Die anderen waren in den Park gebracht worden – einige aus Dürregebieten, Wildreservaten oder Zoos, die schließen mussten. Andere hatte man nach Sawubona gebracht, weil sie sich verletzt hatten oder auf der Jagd von ihren Eltern getrennt oder von diesen verstoßen worden waren.
«In zwanzig Jahren», sagte Tendai, «habe ich nie erlebt, dass Henry Thomas, dein Großvater, auch nur ein einziges Tier abgewiesen hätte. Kein einziges!»
Zum ersten Mal erwähnte jemand ihren Großvater. Martine spitzte die Ohren. Doch schon Tendais nächster Satz traf sie völlig unvorbereitet.
«Es tut mir ja so leid, Martine, dass