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seiner Ankunft bemerkt. Nun begrüßte er sie noch einmal persönlich und ehrfurchtsvoll und bot ihr einen bequemen Sessel an. Dann beeilte er sich, den Rest seiner Zigarre zu töten, da sie den Rauch so schwerer Sorten nicht liebte. Sie begann sofort, ehe er nach Schwester Hishwa fragen konnte, mit leise klagender Stimme zu sprechen, streifte die plötzliche Verlassenheit des Hauses kurz und wie eine nicht ungerechtfertigte Folgeerscheinung und sang dann ein unlustiges Lied auf allerlei geringere Vorkommnisse während Burns Abwesenheit, auf Übergriffe des Hausmeisters, auf den Arzt, der häßliche Bilder und heidnische Götzen sammle, auf mancherlei leichtsinniges Benehmen der Zöglinge, im Labor beispielsweise sei einmal etwas Unaussprechliches unter einem Mikroskop gefunden worden. Man habe einen Verdacht leider nicht näher begründen können.

      Auf wen sich der Verdacht gerichtet habe, fragte Burn höflich in ihre bedeutsame Pause und bot ihr Mandeln und Rosinen an, eine Näscherei, die sie und er bevorzugten.

      „Es ist die Schwester Hishwa Dulbort, kürzlich erst zu den Strahlen aufgerückt“, antwortete die Oberin, das schmale Gesicht neigend, so daß ihr Kinn, welches romanisch-kanadischen Anklang verriet, verschwand und die Nase lang und spitz wurde. „Schwester Hishwa hat übrigens heute, wie sie sagte, einen Ersatz für unsere ins Feld Gezogenen gebracht und ist stolz darauf, auf diesen heiligen Fischzug, wie sie sagt, obwohl es augenscheinlich eine ganz ordinäre Person ist namens Ketty Gesh, ohne Familie, geschieden, aus Kalifornien, eine Person, deren Gewerbe: Unzucht und Verworfenheit, ihr aus Kleidung und Angesicht springt. Schwester Dulbort hat sich entschlossen, entgegen einer gestern gehegten Absicht, statt nach Haus wieder in die Schwarze Sonne zurückzukehren. Sie riecht, das ist kaum glaublich, nach Alkohol und hat, wie gesagt, Begleitung mitgebracht.“

      „Die Tochter des Maklers Dulbort?“ sagte Burn nachdenklich. „Gerade wollte ich nach ihr fragen, ihr Vater wird uns diesen Abend vielleicht Ungelegenheiten bereiten. Wir sprechen noch über Verhaltungsmaßregeln. Haben Sie nun die große Güte, Oberin Maria, lassen Sie die beiden Damen mal kommen!“

      Er wandte sich anscheinend seinem Manuskript wieder zu, indem er die schwarzgerandete Brille ergriff, doch besann er sich, sprang auf, bot entlassend seiner Mitarbeiterin, die noch manches auf dem Herzen zu haben schien, die wohlgepflegte, mit einem daumennagelgroßen Saphir geschmückte Rechte und begleitete sie an die Tür.

      Die Tür schloß sich hinter ihrem raschelnden Gewande, aber Burn blieb noch einen Augenblick stehen und horchte durch das Holz ins Treppenhaus. Durch die Decke herab erschollen Gesang und Musik. Pjoff übte noch einmal für den Abend. Burn bemühte sich, so lächerlich es war, die Mädchenstimmen, die sich da vom Orchester abhoben, zu zählen. Es mochten keine fünfzig sein. Bevor er abreiste waren es über hundert gewesen.

      Nach einer Weile hörte er zwei Paar leichte Schuhe sich seinem Raume nähern. Er begab sich mit einem tierhaften, lautlosen Sprung an seinen Schreibtisch zurück, ergriff ein faustgroßes, graues Stück Ambra, das da lag, und fuhr sich rasch damit durch den Rock unter die Achselhöhlen und, nach einem lauschenden Ruck zur Tür, auch unter die Hosenbeine um die Fußknöchel herum. Dann warf er sich in den Stuhl und nahm eine gelassene Haltung an.

      *

      Auferstehen willst du armer Tor,

      Um dich hinzulegen wie zuvor?

      X

      Hishwa trat ein, die Dorschangel an der Hand. Beide waren befangen, und die Schwingungen der Flips, durch eine Dusche in Hishwas Schlafzimmer schon herabgedrückt, verebbten gänzlich in diesem dämmernd bedrückenden, heizungsschwülen Raume, der überstark nach teuren Riechstoffen duftete, ohne damit den süßlich-pfefferigen Geruch einer fremdartigen Ausdünstung gänzlich aufzusaugen.

      Sie nahmen auf Burns milde Einladung Platz. Ketty geziert und lauernd, ohne das Auge von Burns Gesicht zu wenden, das, wie Hiswha mit Genugtuung bemerkte, durch die Brille gehoben, und wenn man von der Farbe absah, geistvoll und dazu sportmäßig männlich zu nennen war, allerdings mit deutlichen Spuren überwundener Entbehrungen. Die Lippen waren weniger dick, die Nase weniger platt, als sie Kettys wegen, der sie im Eifer einen Ausbund an Verkündergestalt versprochen hatte, sich zu erinnern gefürchtet hatte, die Ohren wohlgebildet, das Haar lag in einem tadellosen Scheitel und obgleich glanzlos schwarz, so doch ohne Andeutung üppiger Krausheit über einer hohen, durcharbeiteten Stirn. Ehrwürden trug weiche seidene Wäsche zu einer schwarzen, eng und flott geschnittenen Hausjoppe, ein gut gestreiftes Beinkleid, hellgraue Seidensocken und Lackpumps. Und was man nicht sehen konnte, er war ein Redner, ein unerhört seliger Redner. Hishwa erschauerte bei dem Gedanken an die Wirkung seiner Rede auf ihr zerfranstes, schnippisches Studentinnengemüt von damals.

      Sie setzte sich hübsch zurecht, mit gefalteten Händen, und die brave Ketty tat es ihr erwartungsvoll nach, indem sie ihre prächtigen Beine mit den dünnen Florstrümpfen so eng wie möglich an sich zog; sie ließ den besten Willen herüberleuchten, alles zu tun, um kein unliebsames Aufsehen zu erregen.

      Hishwa hatte sich schon in das gewöhnliche Schwesternblau des Hauses umgezogen, der Stoff war kostbar, und die Spitzenkrause, auf der ihr kleiner, schön beleuchteter Kopf ruhte, war echtes Brüssel. Sie wußte wohl, daß die arme Ketty trotz ihrer körperlichen Herrlichkeiten in ihrem billigen Seegrün abfiel, aber dennoch mußte und sollte es dem Dr. Burn wohl aufgehen, welch treffliche Beute und mit welch prachtvollem, dickem, sandgelbem Haar sie der Schwarzen Sonne zu bieten habe.

      Das Licht in diesem dunkelgetäfelten Raume kam hell bronzefarben durch den Pergamentschirm der Schreibtischlampe. Hishwa sah an ihrer Nachbarin, wie gut es der Haut zu statten kam. Burn, nach einem wägend verbindlichen Blick für beide, vertiefte sich mit einer leichten, maßvollen Geste noch für einige Sekunden in die Blätter, die vor ihm lagen. In Wahrheit aber sammelte er sich.

      Sein Verhältnis zu Frauen, freiwillige Enthaltsamkeit, war vormals durch Sport, später geistiger begründet gewesen. Er war ohne körperliche Erfahrung geblieben bis auf die Zeit in Afrika. Klima und Umgebung, Fieber, Einsamkeit und aufbrechende Urpulse, Heimatadern seines Blutes, hatten ihn in fürchterliche Zweifel gestürzt an seiner Sendung, seinem Glauben und seinen Lebensformen. In den Bergen am Njakisisee hatte er die jungfräulichen Gastgeschenke der Stammeshäuptlinge nicht mehr abgelehnt. Himmel und Erde waren ihm erschüttert, er stürzte zurück in den Urgrund verschollener Vorfahren. Nach drei Wochen unerhörter, ausmergelnder Raserei packte das Fieber den Erschöpften und führte ihn, der sich tobend wehrte, an die Schwelle des Auslöschens. Zwei seiner Missionarinnen, von Boten aus entlegenen Bezirken herübergeholt, pflegten ihn gesund, aber, als hätten sie die Kraft der Seuche von ihm ab und opferfreudig in sich selber eingesogen, so raffte es sie, blühende und liebreizende Geschöpfe, beide fast zu gleicher Stunde dahin. Dieses Erlebnis hatte dem Abtrünnigen neue Macht über sich selber und den Teufel in sich gegeben. Seine Erziehung, seine weiße Erziehung, hatte noch einmal über ihn gesiegt. Seine Heimkunft war verzögert worden, aber er kam zurück. In seinen Hirtenbriefen an die Schwarze Sonne waren allerdings Schwierigkeiten äußerlicher Art als Gründe angegeben. Die inneren Kämpfe und den Tod der beiden Schwestern hatte er vorläufig zu verschweigen als ratsam befunden.

      Nun angesichts der beiden Mädchen in seinem Zimmer brach die Erinnerung an jene Tage, die er überwunden geglaubt, wie ein spitzer Quell in seinem Innern auf, und er fühlte mit Unruhe, wie er nicht wehtat, sondern kühl und letzend seine Gedanken befiel.

      Er wandte sich mit einem verhaltenen Aufatmen seinen Besucherinnen zu.

      Ob Schwester Hishwa sich entschlossen habe zu bleiben, fragte er, und ob sie wahrhaft einer neuen Aufgabe aus sich selber bewußt geworden, worüber noch gelegentlich zu sprechen sei.

      Er wartete nicht auf den Ablauf ihrer stotternd angesetzten Antworten. Er las ihr und Ketty bequem von der Miene ab, was sie sagen wollten. Er dozierte somit fast, als fürchte er eine Unterbrechung. Es sei die Schwarze Sonne keine unbedingt klösterliche Einrichtung. Nur die Erfahrung der Welt, die unabgeschnittene Verbindung mit dem wirklichen Leben mache geeignet, dieses Leben zu meistern, es zu durchschauen und es zu verbessern. Gewiß gäbe es von den uralten Regeln des Gehorsams und der Keuschheit keine ungesühnte Ausnahme in diesem Hause und unter seinem Schatten. Und in bezug auf persönlichen wie unpersönlichen Reichtum sei hier im allgemeinen alles das Gemeingut

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