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Herumgehen um das Haus erblicken würden. Wir nehmen auch seine Materialität mit wahr, ebenso wie die Möglichkeiten des Handelns, die es uns bietet (z. B. darauf zulaufen, die Türe öffnen, die Treppe hinaufgehen, usw.). Alle diese impliziten Gehalte unserer Wahrnehmung leiten sich von früheren Erfahrungen ab, die wir im Umgang mit Häusern gemacht haben. Daher beruht meine Wahrnehmung eines Objekts auf einem Horizont möglicher Erfahrungen mit diesem Objekt, der jetzt implizit mitgegeben oder »appräsentiert« ist, wie Husserl es ausdrückt. Das heißt, es ist mein verkörperter Umgang mit der Welt, der es mir ermöglicht, das Haus selbst zu sehen, und nicht einen bloßen Empfindungseindruck oder ein subjektives Bild.

      Wie wir sehen, bedeutet die Perspektivität der Wahrnehmung keineswegs bloße Subjektivität oder Virtualität. Im Gegenteil, durch die Interaktion mit den Dingen und durch unsere Interaktionen mit anderen sind wir in der Lage, unsere primäre Subjektivität aufzuheben. Die Gestaltpsychologie hat darüber hinaus gezeigt, wie die Wahrnehmung Fragmente zu Ganzheiten vervollständigt (z. B. fehlende Buchstaben zum Wort ergänzt), Farb- oder Formkonstanzen auch dort herstellt, wo das Wahrnehmungsfeld diskontinuierlich oder verzerrt ist (so sehen wir ein schräg gestelltes Rechteck nicht als Rhombus, sondern immer noch als Rechteck), ja dass sogar die Illusionen der Wahrnehmung auf Ausgleichsprozessen beruhen, die normalerweise der objektiven Wiedergabe der Umwelt dienen. Neurokonstruktivisten führen solche Illusionen gerne ins Feld, um die Virtualität der Wahrnehmung zu erweisen. In Wahrheit verhält es sich umgekehrt: Gerade die aktiv gestaltende, intentionale Struktur unserer Wahrnehmung befähigt uns, nicht bloße »1:1-Abdrücke« von Reizen zu empfangen, sondern wirkliche Dinge zu erkennen.

      Ich muss also froh sein, meine Hirnzustände nicht wahrnehmen zu können, weil sie selbst mir nicht die geringste Auskunft über die Wirklichkeit geben könnten – ebensowenig wie Radiowellen selbst die Musik hören lassen, die sie übermitteln. Daher sind auch neuronale Prozesse nicht in irgendeiner Weise »realer« als die Wahrnehmungen der Dinge, die sie vermitteln. Das wird spätestens dann unabweisbar, wenn es um meine Mitmenschen geht: Wäre die physikalische Realität die »eigentliche«, so wären sie letztlich nur Gebilde aus Materie- und Energiezuständen. Meine integrierende, gestaltbildende Wahrnehmung zeigt mir andere Menschen somit als das, was sie in Wirklichkeit auch sind – oder sollten wir immer noch von »Konstrukten«, »Bildern« und »Simulationen« sprechen, wenn wir andere erblicken? Auch hier lässt sich der Neurokonstruktivismus nur solange aufrechterhalten wie man das interpersonelle Verhältnis außer Acht lässt. Wahrnehmung ist freilich keine reine Wiedergabe von Reizkonstellationen, denn sie selektiert und gestaltet das Wahrzunehmende. Aber deshalb ist sie doch kein bloßes Konstrukt, sondern sie präsentiert uns die Dinge und Menschen selbst, und in ihrer Beziehung zu uns.

      Hier wird eine entscheidende Qualität der Wahrnehmung deutlich, die sich auf physikalischer und physiologischer Ebene nicht findet: Sie stellt eine Koexistenz zwischen dem Wahrnehmenden und dem Wahrgenommenen her. Den anderen Menschen sehend, sehe ich ihn auch in Beziehung zu mir, in einem gemeinsamen Raum. Und nur insofern die phänomenale Welt sich uns als zugänglich, verständlich und bedeutsam darstellt, kann sie für uns überhaupt zur Wirklichkeit werden. Das wird vor allem dadurch möglich, dass wir als verkörperte Subjekte selbst immer schon dieser Welt angehören. Der vermeintlich nur subjektive oder virtuelle Raum des phänomenalen Erlebens ist also alles andere als eine im Kopf zu lokalisierende Innenwelt: Es ist der Raum unseres In-der-Welt-Seins – der Raum der Beziehung zu allem, was für uns Bedeutsamkeit besitzt oder erlangt.

      Wie steht es nun schließlich mit den Qualitäten, die wir wahrnehmend erfahren – den Farben, Klängen, Gerüchen unserer Welt? Handelt es sich bei all dem, was die Welt vertraut und bewohnbar macht, nur um interne Konstrukte, die außerhalb unseres Gehirns oder Bewusstseins keinen Bestand haben? Zumindest ist dies, was der Neurokonstruktivismus behauptet:

      Es ist anfänglich vielleicht beunruhigend, zu entdecken und erstmals wirklich zu verstehen, dass es vor unseren Augen keine Farben gibt. Das zarte aprikosenfarbene Rosa der untergehenden Sonne ist keine Eigenschaft des Abendhimmels; es ist eine Eigenschaft des inneren Modells des Abendhimmels, eines Modells, das durch unser Gehirn erzeugt wird. Der Abendhimmel ist farblos. […] Es ist alles genau so, wie es uns schon der Physiklehrer in der Schule gesagt hat: Da draußen, vor Ihren Augen, gibt es nur einen Ozean aus elektromagnetischer Strahlung, eine wild wogende Mischung verschiedener Wellenlängen« (Metzinger 2009, 38).

      Als ein Charakteristikum des naturwissenschaftlichen Programms habe ich schon zu Beginn das Ziel benannt, die Natur durch Verschiebung von Qualitäten in das Subjekt von allen nicht mathematisch fassbaren Bestimmungen zu reinigen. Farben – um diese Qualitäten als Beispiel zu wählen – tauchen in der solchermaßen abstrahierten Welt nicht mehr auf. Nehmen wir an, eine Versuchsperson sähe einen grünen Baum vor sich auf der Wiese: Selbst eine umfassende physikalische Beschreibung all dessen, was dabei außer- und innerhalb ihres Körpers geschieht, würde rein als solche keinerlei Aussage über ihre Farbwahrnehmung zulassen. Ja ohne unsere Erfahrung von Farben hätte die Wissenschaft keinen Grund, ihre Existenz auch nur zu vermuten. Wir könnten zwar von der Versuchsperson erfahren, dass sie während unserer Untersuchung tatsächlich einen grünen Baum gesehen habe. Doch die physikalische Beschreibung würde nicht das Geringste zur Erklärung dieser Wahrnehmung beitragen, denn den Daten nach könnte die Person ebenso gut eine beliebige andere oder auch gar keine Farbe sehen. Farben sind physikalisch nicht erklärbar bzw. reduzierbar – daher liegt es aus dieser Sicht nahe, sie kurzerhand aus dem Bestand des Wirklichen zu eliminieren.

      Auch der Neurowissenschaftler kann nur feststellen, dass beim Wahrnehmen der Farbe Grün Licht bestimmter Wellenlänge auf die Retina fällt und eine Kaskade neuronaler Prozesse auslöst, die im Areal V4 des Okziptallappens ankommt, das für die Farbwahrnehmung notwendig ist (Zeki 1992). Doch nirgendwo entlang dieses Wegs wird er die Farbe Grün entdecken, oder etwas, was die Farbwahrnehmung als solche erklärt – sowenig wie der Physiker bei seinen Beobachtungen außerhalb des Körpers. Zweifellos bedarf es der Lichtwellen, die, von einem Gegenstand reflektiert, die Retina reizen, damit wir etwas sehen können, oder der Schallwellen, die unser Trommelfell in Schwingung versetzen, damit wir Töne hören. Aber wir sehen keine Lichtwellen und hören keine Schallwellen, sondern Farben

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