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sich flüchtig Gesicht und Brust gesäubert. Vor den Luken zog die Küstenlandschaft hinter der Brandungswelle vorbei. Die Sonne stand an Steuerbord.

      „Klar, der Sultan will seinen Vetter schnappen, ehe der sich mit dem Gold davonstehlen kann“, sagte Matt Davies. „Aber das alles haben wir schon zehnmal durchgekaut.“

      „Richtig. Hat auch nichts gebracht“, stimmte Al Conroy zu.

      Die „Stern von Indien“ bohrte ihren Rammsporn in die Bugwellen und wurde mit größtmöglicher Geschwindigkeit nach Norden, auf Madras zugesegelt. Die Crew der Seewölfe war auf beide Ruderdecks verteilt worden. Die meisten Arwenacks befanden sich auf dem Deck, in dem auch der Seewolf angekettet war. Die Spuren der Schlägerei waren vergessen, es gab nur noch unwesentliche Schmerzen und Prellungen.

      Der richtige Sultan von Golkonda vermutete, daß Shastris Bande versuchen wollte, das Gold auf dem Landweg wegzuschaffen und nach Gudur zu bringen. Die schnelle Fahrt der „Stern von Indien“ hatte bisher dicht unter Land nach Norden geführt, und darin würde sich in den nächsten Stunden nichts ändern. Schweigend und müde schlangen die Gefangenen und ihre indischen Leidensgenossen das kalte Essen und den warmen Brei herunter.

      „Was bleibt uns übrig?“ fragte Ferris Tucker laut.

      „Abwarten und die beste Gelegenheit abpassen“, erwiderte Hasard. „Wir kriegen unsere Chance, früher oder später.“

      „Wahrscheinlich später. Oder viel zu spät“, sagte Don Juan. „Ich habe schon einen Splint halbwegs gelockert.“

      „Laß dich ja nicht erwischen, Juan“, warnte der Seewolf halblaut.

      „Ganz sicher nicht. Auch mein Nachbar, dem mein Mitleid gilt, hat nichts bemerkt.“

      Das Selbstbewußtsein des Spaniers schien unerschütterlich zu sein. Er wirkte geradezu herausfordernd fröhlich.

      „Mitleid“, sagte Hasard und zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich sind es Mörder, Diebe und Halsabschneider, die zu Recht an den Riemen sitzen müssen, bis der Tod sie erlöst.“

      „Wenn wir nicht bald den falschen Sultan finden, kann uns das ebenfalls blühen“, murmelte Higgy.

      „Jedenfalls schuften wir weiter“, sagte der Seewolf grimmig.

      An vielen Stellen unter Deck waren noch die Spuren der früheren Pracht zu erkennen. Offensichtlich war die „Stern von Indien“ von geschickten Handwerkern zusammengesetzt worden. Der ehemalige Glanz und der Prunk waren hier unten verblichen, dafür nisteten überall Schmutz und Salzkristalle. Aus der Bilge stank es, die Duchten und Grätings waren abgetreten, voller Risse und an vielen Stellen besudelt.

      Aber die Seeleute, die Aufseher und das Gefolge des Sultans trugen saubere Kleidung und wirkten sehr gepflegt. Einige trugen auffälligen Schmuck, die meisten waren gut und ausreichend bewaffnet. Sie sahen so aus, als wüßten sie ihre Waffen richtig einzusetzen.

      Die Wellen schlugen klatschend und dröhnend gegen die Planken. Die harten Schläge hallten durch den Schiffskörper. Jedesmal, wenn sich der scharfe Rammsporn aus dem Wasser hob, ertönte ein langgezogenes Zischen.

      Hasard junior hatte seine Arme über das Griffende des Riemens gehängt und entspannte seine verkrampften Muskeln.

      Er schlief nicht, aber er döste mit halbgeöffneten Augen. Sein Blick heftete sich auf Bilalama, der zwischen ihm und Philip junior saß. Die Ketten klirrten leise bei jeder Bewegung des Schiffes.

      „Lohnt sich nicht, zu schlafen. Wir müssen gleich wieder schuften“, sagte der junge Inder halblaut.

      „Stimmt. Ich versuch’s trotzdem“, entgegnete Hasard. „Auch wenn’s nicht viel hilft.“

      Bilalama sah aus, als habe er schon bessere Tage gesehen. Er sprach ein klar verständliches, erstklassiges Hindi. Beide Seewölfe hatten keine Schwierigkeiten, ihn zu verstehen, obwohl ihr Wortschatz noch lange nicht für eine richtige Unterhaltung ausreichte.

      „Was hat dich hierher verschlagen?“ erkundigte sich Philip junior und stieß den Mann mit dem nackenlangen, fast blauschwarz schimmernden Haar und den Bartstoppeln an.

      „Dort oben an Deck spaziert er herum. Istaran, der Leibwächter des Sultans. Er hat die Schuld an meinem Unglück, schätze ich.“

      „Wieder mal ein Unschuldiger an den Riemen, so wie wir“, sagte Hasard und grinste.

      „Ihr und ich: Wir sind unschuldig. Eine lange, böse Geschichte“, sagte Bilalama.

      „Wir haben Zeit“, antwortete Philip junior. „Erzähl’s uns.“

      Etwa ein Drittel der Seewölfecrew befand sich auf diesem Ruderdeck, also nicht bei den Männern um ihren Vater. Bis auf wenige Ausnahmen schienen die angeketteten Inder arme Teufel zu sein, ausgemergelte, verschwitzte Männer mit verfilztem Haar und den frischen Striemen von Peitschenhieben. Ihre Gesichter, von Bärten überwuchert und seit langer Zeit nicht mehr gewaschen, waren verschlagen und bösartig.

      Bilalama wirkte hingegen wie ein Mann von hervorragender Ausbildung und guten Umgangsformen, verglichen mit dem Rest seiner Landsleute in der halben Dunkelheit des Decks.

      „Wir haben zusammen im Palast gearbeitet“, sagte Bilalama halblaut.

      In der kurzen Pause hatten es die meisten Ruderer dieses Decks geschafft, in tiefen Schlaf zu fallen. Die schweren Atemzüge und das rauhe Schnarchen übertönten für kurze Zeit die Geräusche der Wellen und das Knarren der Planken und Verbände.

      „Du und dieser Istaran?“ fragte Hasard junior schläfrig.

      „Ja. Er als Anführer der Palastwachen. Ich führte die Reiter des Sultans an. Und ich war für die Elefanten verantwortlich.“

      Philip und Hasard nickten verständnisvoll. Sie ahnten, wie die Geschichte weitergehen würde.

      „Istaran wollte mehr Macht, mehr Geld und deinen Posten, nicht wahr?“ fragte Hasard und gähnte.

      „Du hast recht. Woher weißt du …?“ fragte Bilalama und riß die Augen auf.

      „Die alte Geschichte. Immer das gleiche“, sagte Hasard. Die Anstrengungen des vergangenen Tages und der Nacht waren an allen Stellen seines Körpers spürbar. „Und schließlich kriegte er, was er wollte.“

      „Sonst wärst du nicht hier, Bila“, ergänzte der Zwillingsbruder leise.

      Jeder einzelne Mann der Crew war voller schwarzer Gedanken. Es bestand wahrscheinlich noch keine Gefahr für ihr Leben, sagten sie sich, aber die Lage war schlimmer als hoffnungslos. Die Gefahr, daß der falsche Sultan mit dem echten Gold längst über alle indischen Berge war, bestand unverändert.

      Die fünf Mann, die als kümmerliche Wache die Schebecke hüteten, würden ebensowenig ausrichten können wie ein einzelner Seewolf, dem es gelang, seine Ketten zu lockern. Schon der Versuch, zusammen mit den anderen Galeerensträflingen einen Aufstand, eine erfolgsversprechende Meuterei anzufangen, war selbstmörderisch und daher sinnlos.

      „Istaran hat viele Männer bestochen. Mit dem Gold unseres Herrn. Sie sagten gegen mich aus“, berichtete Bilalama weiter. Während er erzählte, blitzten seine Augen, und sein Gesicht verzerrte sich vor Wut. „Ich wurde, obwohl ich meine Arbeit gut ausführte, zum Schurken abgestempelt. Alle Beweise sprachen gegen mich. Ein unheimlich schlauer Kerl, dieser Istaran, bei allen kalten und heißen Höllen.“

      „Schließlich erfuhr der Sultan von Golkonda von deinen angeblichen Schurkereien?“ fragte Hasard schläfrig. Er sehnte sich nach einem langen heißen Bad, einem Becher Wein und einem traumlosen, tiefen Schlaf.

      „Ja. Er war rasend vor Zorn. Ich konnte sagen, was ich wollte, es half nichts. Niemand glaubte mir mehr. Die Zeugen logen schamlos. Ich wurde festgenommen, alle Ämter verlor ich, mein Häuschen, meine Frau rannte davon. Niemand weiß, wo sie ist. Dann brachte man mich hierher, und seitdem rudere ich dieses verfluchte Schiff.“

      „Es wird dir kein Trost sein“, bemerkte Philip

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