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Wie neu geboren. Marie Louise Fischer
Читать онлайн.Название Wie neu geboren
Год выпуска 0
isbn 9788711740132
Автор произведения Marie Louise Fischer
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Auch diese Modenschau stand Julia noch durch, ohne daß ein Tröpfchen Wermut in die Süße ihres Erfolgs fiel. Es machte ihr nichts aus, daß Sonntag war und sie — sie hatte am Abend zuvor sehr lange mit ihrem Vater gesprochen — nicht ausgeschlafen und Muskelkater hatte. Unermüdlich, strahlend und beschwingt schritt sie auf und ab. Sie blieb auch stehen, wenn es gewünscht wurde. Ohne mit der Wimper zu zucken, ließ sie es über sich ergehen, daß die Stoffe, die sie trug, zwischen Daumen und Zeigefinger geprüft wurden.
Als der Tag vorbei war, hatte sie immer noch so viel Elan, im Dauerlauf nach Hause zu rennen.
»Du bist überdreht«, sagte der Vater und goß ihr einen Baldriantee auf.
Sie trank ihn, nicht weil sie ihn benötigte, sondern um den Vater nicht zu kränken. Seine Fürsorge rührte sie. Aber essen mochte sie nicht, und er drängte sie auch nicht dazu. Sie ging früh zu Bett, aber sie konnte nicht einschlafen. Am liebsten wäre sie wieder aufgestanden, unterließ es aber, um den Vater nicht zu beunruhigen, und glitt schließlich doch ins Reich der Träume hinüber.
Am nächsten Morgen erwachte Julia, ohne daß der Wecker geklingelt hatte. Sie hatte ihn nicht gestellt, weil man ihr einen freien Tag gegeben hatte. Das fiel ihr aber erst nach einigem Überlegen wieder ein.
In der Wohnung war es sehr still, der Vater war längst zur Arbeit gefahren, und plötzlich überkam sie ein Gefühl der Verlassenheit.
Es war ihr bewußt, daß sie Grund genug hatte, glücklich zu sein. Aber sie war es nicht. Warum nicht? Die Modenschau war doch ein Erfolg gewesen. Sie war gefeiert worden. Warum also war sie jetzt so niedergeschlagen?
Niedergeschlagen war für Julias Zustand gar kein Ausdruck; es war ihr, als wäre sie aus schwindelnder Höhe in einen gähnenden Abgrund gestürzt. Sie war ausgesprochen deprimiert.
Es dauerte lange, bis sie sich dazu aufraffte, ihr Bett zu verlassen. In der Küche goß sie sich eine Tasse Kaffee auf. Sie trank im Stehen und bekam kalte Füße. Sie hatte vergessen, in ihre Hausschuhe zu schlüpfen, brachte aber nicht einmal die Energie auf, das riachzuholen. Sie empfand den zu heißen Kaffee und die kalten Füße als eine gerechte Strafe. Für was? Was hatte sie denn verbrochen?
Am liebsten hätte Julia sich wieder in ihrem Bett verkrochen und den Kopf unter die Decke gesteckt. Aber es war schon elf Uhr vorbei, sie wußte, sie würde nicht wieder einschlafen können. Sie mußte jetzt irgend etwas tun und durfte sich nicht so gehenlassen.
Julia beschloß schließlich, die Wohnung aufzuräumen und zu putzen. Dazu war sie am vergangenen Wochenende nicht gekommen. Hausfrauenarbeit machte ihr keine Freude. Gewöhnlich pflegte sie sich dabei mit einem Liedchen zu ermuntern. Doch heute kam kein Ton über ihre Lippen.
Als endlich das letzte Staubkörnchen entfernt, die letzte Kachel abgewischt war, fühlte sie sich besser — aber immer noch schlecht genug. Sie ließ sich ein Bad einlaufen und lag lange im heißen Wasser, ohne die Glieder entspannen zu können. Dann tauchte sie unter und wusch sich das Haar — ein probates Mittel gegen Anfälle von leichten Depressionen, unter denen sie gelegentlich litt. An diesem Tag half es jedoch wenig.
Immerhin konnte sie den Vater später adrett und gepflegt, den Anflug eines Lächelns um die Lippen, empfangen.
»Hast du schon gesehen, Liebes?« Er schlug die »Rheinische Post«, die er zusammengefaltet in der Hand gehalten hatte, auf dem Küchentisch auf. »Du bist in der Zeitung! Ein Foto von dir — in voller Größe!«
Zu ihrer eigenen Überraschung brach sie in bittere Tränen aus.
4
Als Julia wieder in der Firma erschien, sah sie miserabel aus, und sie wußte es. Sie hatte sich bemüht, ihre Augenringe zu überschminken, und es war ihr ganz gut geglückt. Aber wer sie vor der Modenschau gekannt hatte, konnte, nicht übersehen, in welchem Zustand sie sich befand.
So empfand sie Elvira Hagens leicht hingeworfene Frage: »Na, wie geht’s Ihnen, Julia?« als blanken Hohn.
»Danke, großartig!« entgegnete sie und warf den Kopf zurück.
Die unruhigen Blicke der Chefin glitten über sie hinweg. »Ich nehme an, die ›headhunters‹ sind schon hinter Ihnen her.«
Julia verstand nicht. »Wer? Wieso? Was meinen Sie?« fragte sie konsterniert.
»Die › Kopfjäger ‹, auf gut deutsch gesagt. Männer, die davon leben, daß sie Talenten gute Posten vermitteln oder eben geeignete Leute suchen.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Nun, dann wird’s schon noch kommen.«
Sie befanden sich in Julias kleinem Büro.
Die Chefin wandte sich zur Tür. »Bestätigen Sie bitte die Aufträge, die gestern hereingekommen sind. Die Unterlagen haben Sie vor sich.«
»Was soll ich tun?«
»Habe ich doch gerade gesagt. Die Aufträge …« Julia fiel ihr ins Wort. »Nein, das meine ich nicht. Was soll ich tun, wenn so ein … ›headhunter‹ sich an mich wendet?«
Elvira Hagen blieb, den Türgriff schon in der Hand, überrascht stehen. »Das fragen Sie mich?«
»Wen denn? Es gibt doch sonst niemanden, der mir einen Rat erteilen könnte.«
»Sie müssen selbst wissen, was Sie wollen.«
»Das ist es ja eben. Ich weiß es nicht.«
Elvira Hagen lachte laut auf. »Sie haben Skrupel, Julia? Das hätte ich nie von Ihnen erwartet. Gewiß, Sie sind für unser junges Unternehmen sehr wichtig. Aber unersetzbar sind Sie nicht. Wenn Sie also in der großen weiten Welt Triumphe feiern wollen — ich wäre die Letzte, die Sie davon abhalten würde.«
»Triumphe? Als Mannequin?«
»Als Starmannequin. Warum denn nicht? Ich sage es Ihnen nur ungern, Julia, aber Sie haben das Zeug dazu.«
Julia schlug die Augen nieder. »Wenn mir der Erfolg nur nicht so schlecht bekommen wäre.«
Die Chefin kam zum Schreibtisch zurück. » Wie kommen Sie denn darauf? Ich habe noch nie einen Menschen so obenauf erlebt.«
»Stimmt. Aber anschließehd war mir hundeelend zumute.«
»Katzenjammer?«
»Ich komme mir vor wie eine geplatzte Seifenblase.«
»Trefflicher Vergleich.«
»Das ist gar nicht komisch. Was bedeutet es schon, in einem schönen Kleid auf der Bühne zu stehen? Ja, ich liebe schöne Kleider. Aber hat der Beifall mir gegolten oder dem Brautkleid? Kann es denn für einen Menschen genug sein, zu nicht mehr als einem Kleiderständer zu taugen?«
»Das ist Ihr Beruf.«
»Ja, ich weiß. Ich habe das ja so gewollt. Aber ich glaube, daß mir das auf die Dauer zu wenig sein wird.«
»Auf die Dauer können Sie sowieso kein Mannequin sein. Hören Sie mal, Julia, warum verlagern Sie das Hauptgewicht Ihrer Arbeit nicht auf die Organisation? Wenn wir unseren Einfluß auf Ratingen und Umgebung beschränken, kann nichts aus uns werden — ja, wir können den Betrieb nicht einmal halten. Wir müssen Firmen in Süddeutschland, Österreich, der Schweiz, ja, auch in Frankreich, England und Italien suchen, die unsere Kollektion ordern. Helfen Sie mir dabei!«
»Was wird Herr Marquard dazu sagen?«
»Oh, für den werden Sie zwischendurch immer mal wieder Zeit haben«, behauptete Elvira Hagen leichthin. »Machen Sie sich darüber nur keine Gedanken.«
So kam es, daß Julia