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Der graue Herr. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Der graue Herr
Год выпуска 0
isbn 9788711507377
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Aber nicht, wer es war?“
„Da fragen mich Herr Präsident zuviel. Ich bin mir der Bedeutung meiner Aussagen bewusst. Ich sage nur, was ich absolut mit gutem Gewissen verantworten kann! Da muss ich nun also sagen: Und wenn man mich totschlägt — ich weiss nicht, ob das Sandner war oder ein anderer Mann!“
„Einen zweiten Schatten — etwa den einer Frau — haben Sie nicht bemerkt?“
„Weiss Gott nicht! Dabei musste doch die Margot längst im Hause sein! Komisch — nicht? Und womöglich auch die Heidebluth! Ich muss sagen — ich hab’ dagestanden und am ganzen Leib gezittert — nicht nur vor Kälte —, sondern was in dem Haus noch passieren könnte! Nun gingen zu allem Unglück auch noch die beiden Schutzleute weg...“
„Wann war das?“
„Da war inzwischen ja wohl eine gute Viertelstunde verstrichen. Da hatte es schon längst von den Kirchtürmen ein Viertel nach elf geschlagen. Das war mein Kummer, dass ich nun mutterseelenallein da in der Nacht gestanden bin. Ich schaute sehnsüchtig den beiden Schutzleuten nach, wie sie langsam in ihren dicken Mänteln um die Ecke in die Gartenstrasse geschlurft sind, wo — das habe ich ja schon gesagt — nicht wahr? —, also wo doch der Vordereingang der Villa ist . . . Und in demselben Augenblick — Herrgott — ich bin doch sonst gar nicht nervös — ich bin das gerade Gegenteil von der Margot — deswegen wirke ich doch so beruhigend auf die — ihr Mann war mir immer direkt dafür dankbar . . .“
„Also in dem Augenblick, in dem die Schutzleute den Vordereingang passieren mussten . . .“
„. . . da kracht doch durch die totenstille Nacht aus der Villa heraus ein Schuss . . . Gott . . . bin ich erschrocken . . . ich stand wie gelähmt . . .“
„Sie verliessen Ihren Platz nicht?“
„Ach — konnt’ ich denn? Die Beine hätten mich ja gar nicht getragen. Ich hab’ gestanden und nach der Villa gestarrt und mir gedacht: ,Um Gottes willen — was hat die Margot nur da drinnen angestellt?‘ Dann hörte ich das Trillern von den Schutzmannspfeifen, und es kamen neue Schutzleute angerannt, und zwei von ihnen stellten sich gleich hinten im Park vor der Villa auf!“
„Und in der Zeit zwischen dem Schuss und dem Eintreffen dieser Schutzleute haben Sie die Rückseite der Villa nicht aus den Augen gelassen?“
„Aber auch nicht eine Sekunde! Ich war ja doch wie hypnotisiert — nicht? Ich bebberte doch vor Angst um die Margot!“
„Und in dieser Zeit ist niemand irgendwie hinten aus dem Hause in den Park herausgekommen?“
„Es hat sich doch nichts gerührt, Herr Präsident! Das war ja so unheimlich, dass nach dem Schuss gleich wieder alles still war!“
„Sie hätten es sehen müssen, wenn jemand herausgekommen wäre?“
„Man hätte eine Katze auf hundert Schritte in dem Mondschein gesehen! Das habe ich auch vor Gericht beschworen! Mein eigener Mann, wie er da sitzt, war doch der Verteidiger der Margot. Wenn ich irgend mit gutem Gewissen gekonnt hätte, hätte ich ihm doch geholfen, die Margot zu retten und gesagt: ,Es ist möglich, dass ich mich geirrt habe!‘ Aber jeder Irrtum meinerseits ist ausgeschlossen. Ein Eid ist doch eine heilige Sache. Da muss man bei der vollen Wahrheit bleiben — nicht?“
„Und was geschah nun, gnädige Frau?“
„Plötzlich wurde es auf den Strassen lebendig. Es wurde gelaufen und laut geschrien: ,Mord! Mord!‘ Und ein dicker Schutzmam: — der hat den Vorhang von dem einen hellen Fenster weggezogen und es aufgestossen und den beiden Polizisten im Park zugerufen: ,Wir haben sie schon festgenommen!‘ Nun kriegte ich es mit einer neuen Angst — nicht nur um die Margot — der hab’ ich ja doch nicht mehr helfen können —, sondern um mich selber, dass sie mich hinter meinem Baum finden und als Mitschuldige verhaften und auf die Wache schleppen würden! Da bin ich blindlings die Strasse hinuntergerannt bis zu dem Kreuzplatz und in der Margot ihren Wagen gesprungen und hab’ gerade noch so viel Atem gehabt, dass ich ihrem Chauffeur sagen konnte, die gnädige Frau sei verhaftet, und er solle mich um Gottes willen so schnell wie möglich heimfahren! Halb tot bin ich angekommen! Mein Mann da kann es bezeugen! Nein — einmal so eine Nacht und nicht wieder! . . . Ja — und mehr weiss ich ja wohl von der Nacht nicht, Herr Präsident!“
„Ich danke Ihnen, gnädige Frau, dass Sie sich zu mir bemüht haben! Ich will Ihre Güte nicht weiter in Anspruch nehmen. Gute Nacht!“
6.
Bericht des Rechtsanwalts Dr. Paul Morell
Erst jetzt, viele Jahre nach jener furchtbaren Nacht, in der mein Freund Leopold Sandner seinen jähen Tod fand, habe ich auf Bitte des damaligen Ersten Staatsanwalts, jetzigen Geheimen Oberregierungsrats Dr. Johannes Sigrist, meine Anteilnahme an den Ereignissen in den hier folgenden Zeilen niedergelegt, und zwar, wiederum auf Herrn Sigrists besonderes Ansuchen, so, wie sich den Beteiligten allen damals die Dinge darstellten — nicht, wie sie nachher in Wirklichkeit waren.
Ich beginne meinen Bericht: Lisbeth, meine Frau, war nach Beendigung ihrer Aussage von dem Herrn Staatspräsidenten entlassen worden. Ich hatte sie bis zur Türbegleitet und kehrte in den Saal zurück. Ich fühlte in einer rücksichtslosen Entschlusskraft: Jetzt oder nie! Jetzt war der grosse, aber auch allerletzte Augenblick gekommen, wenn ich überhaupt noch in zwölfter Stunde das Leben meiner unglücklichen Klientin retten wollte! Ich musste blindlings Sturm laufen, um das Herz des alten Herrn drüben zu erweichen.
Nur helfen — helfen — helfen — diese menschliche Gewissensnot des Verteidigers im Kampf um Sein und Nichtsein — das — bei Gott im Himmel — das allein fieberte in mir! Mein ganzes Ich war mit einer verzweifelten Leidenschaft geladen, dem Tod seine Beute zu entreissen. Ich sammelte alles Temperament, alle Beredsamkeit, die Gott mir gegeben. Ich sehe mich jetzt, durch die Entfernung der Jahre, in jener längst verflossenen Stunde wie einen fremden Menschen. Dieser Mensch hatte seine Fehler und Gebrechen. Ich weiss es und gestehe es: Ich wurde damals von einem blinden Ehrgeiz durchs Leben gepeitscht. Meine forensischen Erfolge in jungen Jahren waren mir zu Kopf gestiegen und hatten mich dünkelhaft gemacht. Jähzornig war ich bis zur Selbstvergessenheit. Selbstsüchtig. Ich dachte nur an meine Karriere. Ein Blender vor den Menschen. Meine berühmten Verteidiger-Reden — ach — die waren oft genug nur noch vielerprobtes Feuerwerk. Ich fühlte in meinem Innern nichts dabei.
Aber all dies Menschliche, Allzumenschliche fiel in dieser Stunde von mir ab. In mir war nur noch reines Wollen, einem von einem fürchterlichen Schicksal bedrohten Menschen zu helfen um jeden Preis! Alles in mir schrie: Paul Morell — rufe alle guten Geister! Reisse um Gottes willen diese verblendete Frau vor dem Grab zurück, das sie sich selbst stumm und mit eigenen Händen gräbt!
Ich war aufgesprungen. Ich stand vor dem Staatspräsidenten, der klein und gebückt in seinem mächtigen Sessel sass und von unten forschend aus seinen seltsamen, bedeutsamen alten Augen zu mir aufsah. Ich nahm alle meine Kraft zusammen.
„Herr Präsident!“ begann ich atemlos. „Nie war ein Verteidiger in einer so schweren Lage wie ich! Meine Klientin hat seinerzeit zu meinem Schrecken, ohne mir vorher eine Silbe zu sagen, ihre Schuld gleich zu Beginn der Gerichtsverhandlung eingestanden und seitdem kein Wort mehr darüber gesprochen! Herr Präsident — bei Gott dem Allmächtigen — ich glaube nicht an dieses Eingeständnis! Ich glaube nicht an diese Schuld!“
„. . . für die ausserdem noch völlig unwiderlegliche und einfach erdrückende Beweise vorliegen!“ schaltete der Staatsanwalt Sigrist mit Seiner leidenschaftslosen Stimme ein. Ich drehte mich stürmisch zu ihm um. Er war keiner von den Blutdürstigen seiner Gilde. Er hatte immer etwas menschlich Gerechtes. Aber er war eben der starre Hüter des Gesetzes — peinlich penibel in allem, von dem Scheitel, genau in der Mitte des rotblonden Haars, bis zur Stiefelspitze. Er stand mit seinen breiten Schultern wie ein Turm zwischen mir und drüben dem Retter in der Not, sein bartloses Gesicht mit den scharfen Augen hinter dem Zwicker war unbewegt.
„Was soll ich mit Ihnen reden,