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Der graue Herr. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Der graue Herr
Год выпуска 0
isbn 9788711507377
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Nein! Sie bleibt stumm!“
„Hans — da stimmt doch etwas nicht! Glaube meinem Gefühl ... da stimmt etwas nicht!“
„Ihr Schweigen ändert nichts an dem Geständnis selbst! Und sogar wenn sie nicht gestanden hätte: Die Begleitumstände — die gerichtlich erhärteten, unumstösslichen Tatsachen bekunden mit furchtbarer Deutlichkeit, dass überhaupt gar kein anderer Mensch in Frage kommen kann! Sie ist und bleibt die Mörderin!“
Es war fast unheimlich, wie in dem plötzlichen Schweigen zwischen uns diese Worte in unserem friedlichen, immer noch hell abendbesonnten Familienzimmer verzitterten. Durch die Stille hörte man aus der Nebenstrasse undeutliche, stossweise Rufe. Das Paulemännchen, unser Ältester, horchte vom Boden her.
„Pappi — was schreien denn die Männer?“
„Es muss nächstens jemand sterben, Kind!“ sagte ich. „Eine Frau!“
„Pappi! Ist das eine böse Frau?“
„Nein!“ rief Klara heftig. „Das ist sie nicht!“ Und dann etwas ruhiger, aber mit einer ihr sonst fremden Härte im Ton: „Das ist eine gute Frau! Das weiss Pappi nur nicht so! Er kennt sie nicht!“
Es wurde wieder still. Klara und ich ashen uns an.
„Wer schaut den Menschen ins Herz?“ sagte ich endlich. „Und nun gar euch Frauen! In Margot Sandner schlummerten eben verbrecherische Instinkte, die bis dahin niemand ...“
Meine liebe Klara richtete sich auf. Auf ihrem ruhigen und regelmässigen Gesicht lag jetzt ein tiefer Ernst.
„Man hat uns deutschen Frauen seit vielen Jahren viel Unrecht getan!“ sagte sie. „Man hat uns scheinbar viel Freiheit gegeben, aber man hat uns viel mehr genommen. Man hat nicht mehr begriffen, dass ein Volk in der Familie wurzelt und die Würde der Familie und damit des Volkes in die Hand der Frau gegeben ist. Man hat uns aus der Familie auf den Markt hinaus bugsiert und zu einer Art Männer-Reserve gemacht und nicht bedacht, dass wir damit unser Bestes verlieren. Man hat oft in der Kunst und in der Literatur ein Zerrbild aus uns gemacht — und wir liessen es uns leider gefallen, weil wir uns einbildeten, das gehöre so in die neue Zeit. Aber wir sind gar nicht so. Wir sind, wie wir immer waren. Wir haben in schwerer Zeit unsere Pflicht getan, und wenn Deutschland wieder einmal hochkommt, dann geschieht es auch dank uns!“
„Warum erzählst du mir das alles jetzt?“
„Weil ihr von diesem Standpunkt aus über Margot Sandner geurteilt habt! Ihr habt, weil ihr ewig Vampyre im Film und hysterische Weiber auf der Bühne gesehen habt, gar nicht begriffen, dass Frauen wie die Margot oder ich oder wen du willst von unserer Art, schon in ihren Gedanken über den Trieben stehen, die unsereins zur Mörderin machen könnten!“
„Es gibt doch auch schwarze Schafe!“
„Aber Margot gehört nicht dazu. Sie ist eine deutsche Frau. Auf ihrem Ruf lastet nicht der geringste Makel. Das hast du selbst als Staatsanwalt zugeben müssen!“
„Das beweist noch nicht ...“
„Nimm doch ihr Elternhaus! Gegen den guten Studienrat Markwart und seine Frau hat sich doch nie ein Schatten eines Worwurfs erhoben. Das ist doch das richtige bügerliche Haus. Direkt spiessbürgerlich sind die Leute!“
„Gewiss — aber...“
„Und von da aus hat doch die Margot Sandner geheiratet! Die Bombenpartie ist ihr doch gar nicht zu Kopf gestiegen. Sie war immer nett und lieb — ganz die alte —, wenn man sie mal auf der Strasse traf. Sie konnte ja auch lachen! Ihre Ehe war doch absolut glücklich. Das sagt doch jeder, der mal bei Sandners im Hause war! Und sie machten doch ein grosses Haus. Gott und die Welt war dort. Der Margot ihre Künstlerfeste waren doch berühmt!“
„Klara!“ Ich machte mich los und stülpte mir wieder den Hut auf und drängte zur Tür. „Glaubst du denn, dass du mir mit alledem irgend etwas Neues sagst? Darüber haben wir doch schon tausendmal geredet!“
Meine Fran folgte mir. Sie eilte neben mir die Diele entlang. Sie rief:
„Die Margot und einen Menschen umbringen! Es ist ja einfach lächerlich! Und wenn sie’s selber zehnmal sagt! Hans — wie kannst du denn die Verantwortung tragen?“
Ich blieb noch einmal stehen.
„Nicht ich habe Frau Sandner schuldig befunden! — Das ist nicht meines Amts“, sagte ich, „sondern das der Geschworenen — zwölf Männer aus dem Volk...“
„Nicht alle...“
„Alle, bis auf eien! Diesen Herrn Nottebohm! Das genügte wahrhaftig, um die Wahrheit zu finden!“
„Es ist nicht die Wahrheit!“
„Klara — halte mich jetzt nicht auf! Ich muss frische Luft schöpfen! Die Geschichte dreht sich mir Tag um Tag wie ein Mühlrad im Kopf!“
„Nein! Ich lasse dich nicht fort! Höre mich...“
Gott sei Dank: Unten vor dem Haus surrte jetzt eben der Motor eines vorfahrenden Automobils. Der Regierungsassessor Fabri stürmte, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe empor. Ich atmete beim Anblick meines kleinen Fabri auf. Er war meine rechte Hand. Für seine Jahre schon ein bisschen rundlich und immer ein wenig ausser Puste. Wenn er gar so nach Atem rang wie jetzt, dann kam er in dringenden Dienstangelegenheiten, und ich war der weiteren Auseinandersetzung mit meiner Ehehälfte überhoben. Und da stiess er schon hervor:
„Der Herr Staatspräsident lässt den Herrn Ersten Staatsanwalt sofort um seinen Besuch bitten!“
„Wissen Sie, in welcher Angelegenheit?“
„Der Herr Staatspräsident geht in letzter Stunde noch einmal mit sich zu Rate, ob er im Fall Sandner sein Begnadigungsrecht ausüben soll! Er möchte noch einmal in privater Aussprache Ihre Anschauung — die des Anklägers — hören. Er hat zu gleichem Zweck den Verteidiger, den Doktor Morell, zu sich bestellt. Er muss einen Entschluss fassen. Die Stadt ist ja in einer Aufregung...“
„Und wie mag gar der armen Margot zumute sein.“ Meine Frau, die sonst so Beherrschte, kämpfte mit Tränen.
„Der einzige Mensch in der Stadt, der ganz ruhig ist“, sagte mein kleiner Assessor immer noch atemlos, „das ist Frau Sandner selber!“
„Was?“
„Ich habe vorhin den Geistlichen — den alten Dingsda — getroffen, der sie seinerzeit konfirmiert hat...“
„...und mich mit ihr!“ rief Klara. „Und was sagt der Pastor Schmidt?“
„Er kam jetzt eben von ihr...“
„Und sie ist nicht in Todesangst?“
„Sie ist völlig gelassen, berichtet der alte Schmidt, sie sitzt in ihrer Zelle und liest ein Buch über die Bienen. Sie sagt, die Bienen seien ihr interessanter als die Menschen!“
„Man müsste sie auf ihren Geisteszustand untersuchen!“ flüsterte meine Frau. Sie hatte ganz scheue blaue Augen.
„... ist doch schon längst vor der Gerichtsverhandlung geschehen!“ Ich trat in das Treppenhaus hinaus. „Drei ärztliche Sachverständige haben sie für klarer im Kopf erklärt, als wir normalen Staatsbürger selber es womöglich sind! — Kommen Sie, Fabri! Ihr Wagen steht doch noch unten? Warte nicht mit dem Abendessen auf mich, Klara! Gott weiss, was sich heute Nacht noch ereignet!“
2.
Weitere Niederschrift des Staatsanwalts Sigrist
Die Villenstrassen, durch die unser Krastwagen sauste, boten im Abenddämmern mit ihren frühlingsgrünen Vorgärten das gewohnte Bild friedlichen Stillebens. Aber je mehr wir uns dem Innern näherten, desto mehr veränderte sich das Alltagsantlitz