Скачать книгу

      »Aber ich will nicht ...«

      »Ruhig, ganz ruhig!« mahnte der Arzt. »Für heute haben wir Aufregung genug gehabt. Ihre Frau hat völlig recht. Dieser Anfall war eine Warnung. Man sollte der Sache sofort auf den Grund gehen.« Er ließ das Schloß seiner Bereitschaftstasche zuschnappen, hatte sein Stethoskop aber immer noch um den Hals hängen. »Außerdem werden Ihnen ein paar Tage Bettruhe unbedingt guttun.«

      »Aber wer soll das bezahlen?«

      »Irgendwer wird schon dafür aufkommen«, erwiderte der Arzt ungerührt. Er ging durch den Laden, sagte im Vorbeigehen: »Na, du?« zu Florian, der mit Krawatten spielte, öffnete die Tür und gab seinen Helfern ein Zeichen. Sie drückten ihre Zigaretten aus und zogen eine Trage aus dem Krankenwagen, der in zweiter Reihe parkte.

      Im Hinterzimmer sagte Beate: »Aber du mußt doch versichert sein.«

      »Nein«, gestand er.

      Beate mußte sich beherrschen, nicht aus der Haut zu fahren.

      »Ich war doch nie krank«, versuchte er sich zu verteidigen, »und als ich mich selbständig gemacht habe, dachte ich, ich könnte mir das sparen.«

      »Schon gut. Geld ist jetzt wirklich nicht das wichtigste«, behauptete Beate, obwohl sie sich tatsächlich nicht vorstellen konnte, woher sie es nehmen sollte.

      »Du meinst, ich soll trotzdem ins Krankenhaus?«

      »Unbedingt.«

      Er war noch zu sehr geschwächt, um ernsthaften Widerstand leisten zu können. Beate verließ das Hinterzimmer, um den Trägern Platz zu machen. Frank versuchte aufzustehen, war aber dankbar, als die Männer abwinkten.

      »Lassen Sie nur!«

      »Das machen wir schon.«

      Beate hielt Florian wieder fest an der Hand, als die Trage durch den Laden gebracht wurde. Frank schenkte seinem Sohn ein schwaches Lächeln.

      »Wohin bringen Sie ihn?«

      »In die Interne Ambulanz, Ziemsenstraße.«

      Sie beugte sich über ihn und gab ihm einen sanften Kuß auf die Schläfe. »Ich komme, sobald ich kann!« versprach sie.

      Auf der Türkenstraße hatte sich ein kleiner Auflauf von Neugierigen gebildet. Beate sah nicht zu, wie ihr Mann eingeladen wurde. Sie verschloß die Ladentür.

      »Ist Papi jetzt ganz weg?« fragte Florian.

      »Nein. Nur für ein paar Tage. Dann kommt er wieder nach Hause.«

      »Und hat er dann kein Bauchweh mehr?«

      »Nein, Florian.« Sie strich ihm durch das weiche blonde Haar, das er fast mädchenhaft lang trug. »Weißt du, was wir beide jetzt tun? Wir räumen ganz schnell zusammen auf, ja? Und dann gehen wir nach Hause, und ich koche uns was Gutes zu essen.«

      »Paghetti mit Tomaten?«

      »Wenn du willst.«

      Florian rieb sich sein Bäuchlein. »Immer!«

      Die Wohnung der Werders lag, wie »Franks Boutique«, auf der Münchner Türkenstraße, nur wenige Minuten entfernt, in einem Hinterhaus aus der Zeit der Jahrhundertwende, das saniert worden war. Die junge Familie lebte dort zusammen mit Franks Vater, Doktor Hugo Werder, einem Richter im Ruhestand. Dieses Arrangement bedeutete für Beate eine Belastung, da sie den alten Herrn mitversorgen mußte. Allerdings war es auch eine Erleichterung für sie, denn wenn er nicht jeder Zeit bereit gewesen wäre, auf Florian aufzupassen, hätte sie unmöglich die Universität besuchen können. Es war auch gut zu wissen, daß Florian nie allein war, wenn sie nachts arbeitete. Frank pflegte dann schon mal auf ein Bier auszugehen.

      Florian stürmte in die Wohnung, kaum daß Beate die Tür aufgeschlossen hatte. »Opa!« schrie er. »Papi ist weg!«

      Doktor Werder kam aus seinem Zimmer. Er war, wie immer, im grauen Anzug mit Hemd, Krawatte und schwarzen Slippers so adrett und korrekt angezogen, als hätte er etwas vor. Dabei verließ er das Haus nur sehr selten für einen kleinen Spaziergang, einen Besuch in der Bibliothek oder um sich die Haare schneiden zu lassen. Aber er haßte jegliche Schlamperei, und das war einer der wenigen Punkte, über die er bisweilen mit Beate aneinandergeriet. Denn sie, durch ihr Studium, die Familie und die Nachtarbeit überfordert, nahm es mit der Ordnung nicht so genau.

      »Was ist denn los?« fragte er jetzt, mehr gestört als beunruhigt. »Was brüllst du hier so herum?«

      »Ein Onkel Doktor war da, und zwei andere in weißen Kitteln«, berichtete Florian eifrig, »und sie haben den Papi fort gebracht.«

      »Nur für ein paar Tage«, sagte Beate beschwichtigend.

      »Etwas Ernstes?«

      Beate gab ihrem Schwiegervater mit den Augen ein Zeichen. »Wir sollten später darüber reden. Wenn wir gegessen haben.« Sie hing ihre Tasche über den Garderobenständer, setzte Wasser für die Spaghetti und zum Häuten der Tomaten auf, schälte eine Zwiebel.

      Großvater und Enkel kamen ihr nach.

      Gewöhnlich hatte sie ganz gerne Gesellschaft beim Kochen, heute aber spürte sie den dringenden Wunsch allein zu sein. »Es dauert noch eine halbe Stunde«, sagte sie.

      Doktor Werder verstand. »Gehen wir bis dahin noch ein bißchen in den Garten«, schlug er vor und nahm Florian bei der Hand.

      Dieser Garten, eine Grünanlage mit Kinderspielplatz, den die Bewohner der umliegenden Häuser aus einem ehemals trostlosen Hinterhof geschaffen hatten, war in den Augen der Werders ein wahrer Glücksfall. Da er keinen Zugang zur Straße hatte, konnte Florian hier auch schon einmal unbeaufsichtigt spielen, obwohl Beate nie ein gutes Gefühl dabei hatte.

      Mechanisch begann sie die Zwiebel zu würfeln, erschrak, als sie merkte, daß ihre Hände zitterten. Sie legte das Messer beiseite und atmete tief durch. Aber es half nichts. Sie mußte, so gut es ging, weitermachen und sich darauf konzentrieren, sich nicht in die Finger zu schneiden.

      Später bei Tisch – sie aßen alltags gewöhnlich in der Küche – konnte sie kaum eine Gabel Spaghetti herunterbringen. Da sie gleichzeitig damit beschäftigt war, Florian beim Essen zu helfen, hoffte sie, daß es dem Schwiegervater nicht auffallen würde.

      Aber er merkte es doch. »Moment mal«, sagte er und stand auf, »ich bin gleich wieder da.« Er verschwand, kam mit einer angebrochenen Flasche Rotwein zurück, nahm zwei Gläser aus der Kredenz und schenkte ein.

      »Lieb von dir!« Beate nahm ihr Glas nur zögernd, aber da der Schwiegervater, sein Glas in der Hand, abwartete, bis sie es zu den Lippen führte, trank sie dann doch.

      »Jetzt kriegst du endlich wieder ein bißchen Farbe«, stellte er fest.

      »Ja, ich glaube, der Wein tut mir gut.«

      »Du mußt jetzt aber auch versuchen, etwas zu essen!« mahnte er.

      »Ich werde mein möglichstes tun.«

      Tatsächlich ging es, nachdem sie ein halbes Glas getrunken hatte, jetzt besser, und es gelang ihr, den Teller zu leeren. Danach nahm sie Florian die Serviette ab, die sie ihn um den Hals gebunden hatte, führte ihn ins Bad und wusch ihm sein über und über mit Tomatensauce verschmiertes Gesicht ab. Wie stets hatte er keine rechte Lust, sich mittags hinzulegen. Gewöhnlich machte Beate ein Spiel daraus, streckte sich auf der schmalen Couch in dem kleinen Zimmer aus, erzählte Geschichten, tat, wenn es ihr zuviel wurde, als wäre sie eingeschlafen oder schlief auch wirklich ein. Aber heute wandte sie sich, nachdem sie ihn ausgezogen und in sein Gitterbett gesteckt hatte, sofort zur Tür.

      »Sei brav, mein Schatz, und schlaf jetzt schön!«

      »Aber, Mami, warum willst du fort?«

      »Weil ich heute keine Zeit habe. Tut mir leid, mein Schatz.

      »Bin aber behaupt nicht müde.«

      »Du mußt ja nicht schlafen. Bleib einfach liegen und ruh dich aus!«

Скачать книгу