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an!“ sagt Dr. Jensen. Und im Bann der funkelnden Brillengläser und des zusammengekniffenen Mundes, macht sich Detlev eilig zurecht und wird dann — kaum fertig — ins Wohnzimmer geführt.

      Dort sitzt Tante Klara mit verbundenem Kopf, Tante Rele ist um sie beschäftigt und Anton kühlt in einem Waschbecken die Umschlagtücher. Jette hat ihren rattenschwänzigen Kopf in die Thürspalte gesteckt und Grossvater sitzt am Fenster, wirft beim Eintritt der Familienschande einen prüfenden Blick hinüber und wendet sich ab.

      Totenstille herrscht. Detlev riecht die Eeau de Cologne, hört das schläfrige Ticktack der Uhr, sieht die unbarmherzigen Gesichter ringsum — und alle Furcht schwindet. Gelassen — als ginge es ihn nichts an — betrachtet er seinen Vater, der — vor ihn hintretend — einen dünnen, langen Rohrstock hinter dem Rücken vorzieht.

      „Bereust du?“ fragt Dr. Jensen.

      Detlev blickt ihn schweigend und aufmerksam an: „Das ist da mein Vater“ — denkt er — „der glaubt, ich fürchte mich vor ihm! Aber ich habe keine Angst, denn die ganze Geschichte ist ihm grässlich zuwider, dazu hat ihn nur Tante Klara angestiftet!“

      „Bereust du?“ — schreit Dr. Jensen.

      „Bereut Tante?“ — sagt Detlev.

      Dr. Jensen sieht seinen Sprössling fassungslos an — dann hebt er rasch den Stock und schlägt wuchtig zu.

      Detlev beisst die Zähne zusammen, schluckt mühsam und dann sagt er ganz ruhig: „Warum haust du mich eigentlich?“

      Dr. Jensen lässt den Arm sinken und sieht sich nach den andern um. Und da steht Grossvater auf und tritt heran: „Es bleibt also dabei“ — sagt er leise zum Vater, „am besten, er kommt gleich mit!“

      „Gehen wir — marsch —“ und Grossater nickt jedem der Anwesenden spöttisch zu, ergreift Detlevs Hand und führt ihn zur Thür hinaus.

      Draussen wartet eine Droschke — sie steigen ein und fahren davon. Es dauert lange und geht kreuz und quer — dann hält der Wagen plötzlich in einer stillen Seitenstrasse und Grossvater führt Detlev in ein hübsches Häuschen mit weiss gescheuerten Treppen und bunten Flurfenstern.

      Eine halbe Stunde später sitzt Detlev — noch ganz verwirrt von den Ereignissen — in einem grossen dämmerigen Zimmer, befühlt ab und zu seinen schmerzenden Rücken und starrt mit grossen Augen die Umgebung an. Denn immer, wenn er glaubt, schon alles gesehen zu haben, entdeckt er doch immer wieder etwas Neues, da die Wände erdrückend voll sind von Bildern, Waffen, Teppichen und Spiegeln — Spiegeln in allen Grössen.

      Grossvater, der rauchend am Fenster gesessen, erhebt sich jetzt und holt von dem überladenen Tisch einige Bücher und Hefte, die Detlev sofort erkennt. Dazwischen liegt eine grosse Pappscheibe — der berühmte Stundenplan.

      „Alte Freunde“ — sagt Grossvater — „komm’ her, Dett!“

      Und als er sich’s dann in dem hochlehnigen Polsterstuhle bequem gemacht, legt er den Arm um Detlevs Schulter und blickt ihn forschend an. Der aber kann nicht antworten, denn Grossvaters Gesicht, das er jetzt zum erstenmal so nahe sieht, ja — das ist das Allermerkwürdigste hier. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass ein einziger Mensch so viele, aber auch so viele Falten, Runzeln und Runzelchen haben könnte!

      Grossvater, der ihn unverwandt angeblickt, fährt sich mit seiner welken, beringten Hand über dieses Wirrsal von Falten und Runzeln und sagt seufzend: „Die Augen — ganz dieselben Augen! Doch — das liegt nun hinter uns — sieh, Dett, hier — den Stundenplan — was werden wir damit machen?“ Und ehe Detlev noch geantwortet, reisst der Alte das Wunderwerk kurz und klein. „Ich will doch einmal sehen, ob es mir nicht gelingt, dir auch ohne solch ein Ding zum Verständnis des Lebens zu helfen. Nimm jetzt die Bücher, ich will dir deine Stube zeigen!“

      Durch eine Reihe von Zimmern, die wie Raritätenkabinette aussehen, kommen sie in einen hellen freundlichen Raum. „Hier sollst du nun hausen“ — sagt der Alte — „und jetzt tummle dich — sieh dir alles an, auch hinten den Garten, und wenn du dann Lust hast, komm wieder zu mir ’rüber.“ —

      Am Nachmittag, als Detlev mit dem Grossvater zusammen gegessen, wobei sie von einer würdevollen, knatternden Person mit Namen Abromeit, bedient wurden, sitzt er wieder in seiner Stube — mit der Empfindung, zu träumen. Er fühlt, dass er übermenschlich glücklich ist und wundert sich, dass er nun stumm und still in einem Winkel sitzt und seine Freude nicht äussern kann.

      Tagsüber hat wieder drückende Hitze geherrscht, jetzt — gegen Abend zieht ein Gewitter herauf. Seltsame Wolkengebilde beginnen am Himmel dahinzujagen und wunderliche Finsternis bricht plötzlich herein. Und als dann gleich darauf ein Windstoss in die Krone des alten Nussbaumes fährt, dort wie rasend wütet, als die Fensterflügel klirrend zufliegen und der erste gelbe Blitz gespensterhaft die Stube färbt, da schleicht Detlev wieder hinüber zum Grossvater.

      Wie Tante Rele einmal erzählt, pflegt sich der Alte, aus Gewohnheit an das ehemalige Komödiantenleben, gegen Abend wie für bestimmte Rollen umzukleiden. Deshalb wundert sich Detlev nicht, als er Grossvater jetzt ganz verändert findet: In Kniehosen, langschössigem Rock und Jabothemd.

      Auf dem grossen Eichentische brennen zwei silberne Armleuchter und daneben — zwischen dem Glase und der Weinflasche — liegt der „Don Quixote“, die grosse Ausgabe mit den Kupfern.

      Als die Lichter bei Detlevs Eintritt flackern, blickt sich Grossvater flüchtig um und deutet schweigend in eine Ecke. Dort hockt sich Detlev hin und so sitzen die beiden, der Alte ab und zu aus seinem Weinglase nippend und bei seiner Lektüre schmunzelnd, und der Junge — mit grossen, verwunderten Augen in das Wetter starrend.

      Und die Natur kommt langsam wieder zur Ruhe, das Rauschen wird schwächer, es grollt nur nach in der Ferne. Vom Garten weht blütenduftige, feuchte Luft herein, die Bäume und Sträucher hören zu tropfen auf und am Himmel zeigen sich die ersten funkelnden Sterne.

      Da schiebt Grossvater das Buch fort, steckt neue Kerzen in die Leuchter und holt aus dem schwarzen Schrank seine Geige. Als dann der Bogen über die Saiten fährt, melancholische, jäh abbrechende Zigeunerweisen erklingen, da erschauert Detlev bei dieser geheimnisvollen, eindringlichen Sprache, die seine Seele erschüttert.

      Als der Alte verstummt und die Geige weglegt, sieht er die grossen Kinderaugen auf sich gerichtet. „Ach — Dett, du bist ja da — beinahe hätte ich dich vergessen!“

      Und dem Knaben ist es, als wolle ihm etwas die Brust sprengen — er möchte sprechen, sich befreien, doch die Worte fehlen ihm für die Empfindungen, die ihn durchglühen und die — trotz des namenlosen Glückes — eine seltsame, quälende Sehnsucht erregt haben.

      „Grossvater“ — sagt er mit tiefem Atemzug, „ich wundere mich über alles!“

      „Ja — da hast du ein Recht, dich zu wundern“ — sagt der Alte, „ich wundere mich auch!“

      „Es ist alles so seltsam!“

      Grossvater tritt zu dem Knaben und blickt forschend in die verträumten Augen. „Detlev —“ sagt er — und seine Augen werden starr und gross, „du Kind meiner schönen Tochter, solltest du auch zu denen gehören, die sich hier verbluten? Dann merk’ dir, dass die Welt nur ein Trallerkasten ist, ein erbärmliches Sammelsurium, aus dem man sich hinaus retten muss. Es kommt nur darauf an, das eigne Leben zu leben — dann ist das Wunder geschehen — man ist im Märchenland. Eben hast du durchs Guckloch gesehen, nun merk es dir, dann wirst du glücklich werden.“

      Lange nach Mitternacht — als Detlev schon längst schläft — sitzt Grossvater noch einsam wach, trinkt Burgunder, greift Accorde und starrt nachdenklich in den mondhellen Garten.

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