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und Mädchen, die nichts taten, „Opfer ihrer Familie“.

      Heute war sie sehr erregt. Sie sprach mit ihrer Nachbarin in der rechten Sofaecke, der schönen Frau von Lindenhayn.

      „Ist es nicht unerhört? Da verurteilen sie das arme Weib, weil es den Mann, der es verraten hat, niederschiesst. Solche Ungerechtigkeit! Wir dürfen sie uns nicht gefallen lassen!“ Sie warf das Köpfchen hintenüber, dass die kunstvoll gedrehten Löckchen auf der faltenlosen Stirn wippten. „Wir Schriftstellerinnen sind zu Führerinnen, zu Verteidigerinnen der unterdrückten Frauenwelt bestimmt. Wollen wir nicht einen Verein gründen zur ‚Wahrung der geistigen und körperlichen Interessen der Frau’? Wir könnten doch vorderhand schon immer die Woche einmal zusammenkommen und beraten. Und denken Sie, welch interessante Stoffe lassen sich finden, wenn man hinabsteigt ins intime Leben der Frau! Doktorchen,“ sie streckte die Hand nach Bolten aus, „Sie werden Schriftführer. Einen Mann müssen wir haben!“

      „Natürlich!“ Der Redakteur küsste die ausgestreckte Hand; er hatte keine Ahnung, von was die Rede war. „Ich bin dabei! Alle drei Damen mit von der Partie?“ Er sah sie schmunzelnd der Reihe nach an: alle drei nicht zu verachten. Frau von Lindenhayn war eine bewunderungswürdige Schönheit, die kleine Widmann pikant, Alinde Rosen hatte noch schöne Reste.

      „Von was ist denn die Rede?“ fragte Alinde. Sie hatte bis dahin mit einem blutjungen Bürschchen in Einjährigenuniform kokettiert; sie studierte das Militär. „Von was wird denn gesprochen?“

      „Wir wollen uns der leidenden Frauenwelt erbarmen“, antwortete ernst die Widmann. „Wir müssen helfen!“

      „Pst!“

      In der Tür des Musikzimmers stand die Hausfrau. Fräulein Maschka hatte eben das „Hexenlied“ von Wildenbruch, eine Meisterleistung sinnverwirrender Schnelligkeit, beendet. Ein Beifallssturm brauste, ein Orkan der Begeisterung für Dichter und Interpretin.

      Frau Leonore bat um Gehör.

      „Himmel, schon wieder eine Rede? Sie hat ja bei Tisch erst geredet“, flüsterte die Widmann.

      Bolten nickte geheimnisvoll. „Sie schreibt auch.“

      „Verzeihen Sie, wenn ich noch um eine halbe Stunde Gehör bitte“, sprach die Dame des Hauses.

      Halbe Stunde —? Eine merkliche Unruhe flog durch die Festräume.

      „Hier,“ die Gastgeberin zog mit liebenswürdigem Lächeln ein junges Mädchen vor, das bescheiden hinter ihr gestanden hatte, „hier, Fräulein Elisabeth Reinharz soll uns eine ihrer kleinen Novellen vorlesen. Urteilen Sie dann selbst!“

      Was — wer? Vorlesen? Man wurde aufmerksam.

      „Wieder eine Dilettantin mehr!“ seufzte Frau Widmann.

      „Ein ganz angenehmes, aber unbedeutendes Gesicht!“ Die schöne Lindenhayn hielt sich die langgestielte Lorgnette vor die Augen.

      Alinde Rosen war gutmütig. „Sie ängstigt sich!“

      „Passen Sie auf, Doktor,“ neckten die drei, „nun bekommen Sie was zu drucken; Frau Mannhardt protegiert wieder!“

      „Ich lasse mich nicht bestimmen“, sagte Bolten. „Ich bin auch gar nicht neugierig.“

      Sie standen aber doch alle auf und näherten sich der Tür des Musiksaales.

      Drinnen, gerade unter dem Kronleuchter, sass das junge Mädchen.

      „Wie heisst sie?“ fragte man leise.

      „Reinhard oder Reinharz,“ flüsterte es Antwort, „aus Posen, Hinterpommern oder sonstwo her.“

      Das Mädchen begann; erst schüchtern, mit belegter Stimme, dann wurde ihr Organ kräftig, sie las ruhig und sicher.

      Merkwürdig genug nahm sich die einfache Geschichte in diesem Salon aus; nichts war darin von Geist, keine einzige, auch nur annähernd geistreiche Wendung, nur eine starke ehrliche Empfindung. Wie Duft von erdiger Scholle stieg’s auf; ein Geruch nach Land, nach Stall, nach Bauernstuben, nach nahrhaftem Korn, nach Wiesenheu und harzigen Wäldern zog über die parfümierten Möbel. Grüne Raine, buntblumig und taubesprengt, blaue Kiefernwälder in der Ferne, Heide, raubvögeldurchkrächzt und sturmzerzaust; kräftige Menschen mit starken, unverkümmerten Gefühlen wanderten barfuss über rauhe Ackerschollen. Der Horizont war frei, die Luft ging scharf.

      Die Zuhörer sahen sich an.

      „Starker Erdgeruch!“ murmelte der kleine blonde Mann in der Ecke, der bekannte Verlagsbuchhändler Maier. Er drängte sich etwas vor und spitzte die Ohren.

      „Wie finden Sie’s denn, Maier?“ fragte der vor ihm stehende Herr und drehte sich nach ihm um. „Janz nett, was? Wie, jut sagen Sie? Natürlich; habe ich jleich jesagt!“ Er spielte mit seiner schwer goldenen Uhrkette und lächelte wie ein stets von der eigenen Meinung Überzeugter. „Passen Sie mal auf, ich sage Ihnen, die wird was! Denken Sie dran, Maier, ich hab’s Ihnen jesagt.“

      Während Elisabeth Reinharz las, wurden ihre frischen Wangen blasser, ihre hellen Augen schimmerten dunkler, sie schauten ernst. Ihre Brust breitete sich in tiefen Atemzügen, ihre Nasenflügel zitterten wie die eines edlen Renners, der die Freiheit wittert. Ihr Organ tönte voll, jede Empfindung zog über ihr offenes Gesicht; sie hatte die Zuhörer vergessen.

      „Hübsches Mädchen!“ Die Herren zeigten viel Wohlgefallen.

      Leonore strahlte. Sie fühlte den belebenden Hauch der frischen Mädchenlippen sich ihrem Salon mitteilen. Ihr Schützling gefiel.

      „Liebchen, reizend!“ rief sie, als Elisabeth geendet hatte. Sie gab damit das Signal zum Beifall. Sie reckte sich auf die Zehen, um das grosse Mädchen auf die Wange zu küssen.

      Auch Mannhardt machte seine Komplimente. „Wie recht meine Frau gehabt hat! Sie haben viel Talent. Meine Frau irrt sich nie in so etwas, nicht wahr, Lorle?“ Er küsste dem Mädchen die Hand und hielt dabei ihre Finger mit besonderem Druck; sie entzog sie ihm rasch mit tiefem Erröten. Wie war das alles so ungewohnt, so komisch! Sie lachte fröhlich auf.

      Man beachtete sie jetzt allgemein und redete sie an; vorher war ihr keine Unterhaltung geglückt, denn sie verstand nicht diese prickelnde, alle Gebiete streifende Art. Selbst die drei dort in der Tür, die gefeierten Schriftstellerinnen, nahmen Notiz von ihr.

      Frau von Lindenhayn schob ihr mit einem forschenden Blick der schönen, melancholischen Augen den Zeigefinger unter das Kinn: „Nun, Kleine?“

      Die Widmann sagte rasch: „Besuchen Sie mich!“

      Und Alinde Rosen nahm freundschaftlich ihren Arm: „Kommen Sie, setzen Sie sich mit in unser Schmollwinkelchen! Man kann da so intim unter sich plaudern.“ Ihr Blick suchte unruhig.

      „Alles andere“, sie unterbrach sich und lächelte liebenswürdig dem Einjährigen zu, „ist so ermüdend!“ —

      Währenddessen strich Leonore von Gruppe zu Gruppe; sie erzählte die Geschichte ihres Schützlings. „Sie müssen sich wirklich ein bisschen für die Reinharz interessieren, lieber Goedecke!“ bat sie den Mann mit der schwer goldenen Uhrkette. „Die Kleine kommt fremd aus der Provinz, da hat sie bis zum Tode ihres Onkels, eines alten, schrulligen Junggesellen, auf dem Lande gelebt — denken Sie an, und das Talent! Es wäre ein Jammer, wenn es in falsche Hände geriete. Ein harmloses Geschöpfchen, und dazu noch eine Waise!“

      „M. w., ist janz mein Fall, Talente poussieren. Lassen Sie man jut sein, verehrte Inädige, arrangieren wir, arrangieren wir! Ein Wort von mir an Bolten, und er akzeptiert jleich was von ihr. Ich werde auch mal mit dem Vorstand des literarischen Klubs über das Fräulein reden. Sie kann ja da mal was von ihren Sächelchen lesen am nächsten Vortragsabend. Ist dem Publikum neu, sieht scharmant aus.“

      „Ach ja, lieber Goedecke,“ Frau Leonore lächelte erfreut und zugleich ein wenig maliziös, „arrangieren Sie die Sache, Sie haben ja alle in der Tasche. Und Sie,“ sie wandte sich mit verbindlicher Kopfneigung nach der anderen Seite, „was halten

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