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PR-Expertin erhob sich, fühlte sich aber selbst nach all der Aufregung einem Schwächeanfall nahe. Und jetzt auch noch die Überraschung mit dem Waldviertler. »Was soll das?«, stöhnte sie genervt.

      Nico Salmer sah sie mit großen, ausdruckslosen Augen an, wirkte hochgradig nervös und brachte keine Silbe heraus. Stattdessen hob Bülent Yüksel zu einem wahren Orkan der Worte an.

      »Er wollte flüchten, als er mich sah. Außerdem habe ich vorher gesehen, dass er in einer Kiste nach Unterlagen geschnüffelt hat. Dann habe ich ihn gepackt. Er wollte entwischen …«

      Walli Winzer stoppte den aufgeregten Wortschwall, indem sie laut dazwischenfuhr: »Ja, das haben wir schon gehört! Was war das für eine Kiste?«

      »Also, so eine kleine war das. Mit Lieferscheinen und anderem. Sonst hab ich keine Ahnung.«

      Walli Winzer sah zu Nico Salmer, der sich immer noch nicht zu den Vorwürfen äußerte. Sie raufte nervös ihre blonde Haarpracht. Im selben Moment entsann Walli sich, dass sie dadurch die Wirkung des Tafts, den sie morgendlich sanft über ihre Frisur hatte gleiten lassen, zerstörte. Schnell richtete sie mit ein paar Handgriffen die widerspenstigen Strähnen und bemühte sich, den vorherigen Zustand wiederherzustellen. Den Umstehenden hingegen war es völlig egal, wie die flotte Geschäftspartnerin aktuell aussah. Keiner der Männer nahm Notiz von ihr. Alle starrten auf Nico Salmer und ließen ihn keine Sekunde aus den Augen, oder sie hefteten ihre Blicke aufgeregt Richtung Fenster. Denn obwohl es draußen noch hell war, flutete jetzt das Blaulicht der Einsatzwagen den Schauraum.

      Abgefahrene Situation, dachte Walli Winzer und schloss vor der neuen Situation kurz die Augen.

      Es war keine Viertelstunde her, dass Adile Gül ohnmächtig geworden war und bezüglich Nico nicht einmal die gröbsten Umrisse seiner überraschenden Anwesenheit geklärt waren. Weshalb war er wirklich ins Teppichgeschäft gekommen? Und wieso war Manfred Tuchner zurückgekommen? Wer hatte ihn getötet? Warum?

      Einen Augenaufschlag nach Wallis Überlegung kämpfte sich ein Polizeibeamter in zivil durch die Menge. Sein Blick blieb sofort am toten Tuchner hängen: »Da liegt er. Holt’s die Silvia rein. Die soll sich das gleich genauer anschauen und dann zu mir kommen. Ich will ihre ersten Eindrücke hören. Dann bestellt’s die Spurensicherung. Und du, Martin, komm sofort her!«

      Ein schlanker junger Mann hörte auf diesen Namen. Sein Gesicht war auffällig blass. Sonne schien es schon länger nicht abgekommen zu haben. Er stellte sich neben den leitenden Ermittlungsbeamten: »Martin, schau, dass keiner von denen da das Geschäft hier verlässt.« Er zeigte auf die Männer. »Verstanden? Wir vernehmen sie hier an Ort und Stelle, einen nach dem anderen. Das Protokoll schreibst du nachher aber nicht selbst, sondern lass es unseren Kleinen von der Polizeischule am Laptop abtippen. Das geht schneller.«

      Der junge Mann verzog unwirsch sein Gesicht und bestätigte mit »Jawohl, Major Kuntner«. Er war wie sein Chef in Zivil und versammelte eine Gruppe uniformierter Beamter um sich. Die Polizisten begleiteten die Mitarbeiter des Geschäfts in einen Nebenraum.

      Bülent Yüksel schien davon wenig begeistert zu sein. Er wehrte sich. »Was? Sind wir jetzt alle verdächtig?«, richtete er dem Polizeimajor seinen Protest im Vorübergehen aus.

      »Na, so wie’s ausschaut, wollen wir wissen, was ihr vorher g’macht habt. Alle. Ohne Ausnahme. Der Reihe nach.«

      Widerwillig ließ sich Yüksel zu den anderen begleiten. Nur noch wenige Beamte blieben im Schauraum zurück. Mit einem Mal war es ziemlich ruhig geworden.

      Major Kuntner stellte sich neben die Leiche. Er starrte sie wortlos an, dann beugte er sich über sie. Die Augen des Toten standen noch offen. Kuntner schien das nicht zu stören. Vielmehr vermittelte er auch hierbei den Eindruck von abgebrühter Routine. Nach kurzer Zeit ging er in die Hocke, um den Körper näher zu betrachten. Was er vor sich hinmurmelte, hätte Walli Winzer in diesem Moment interessiert. Sie stand jedoch entfernt und konnte die Situation daher nur aus dem Augenwinkel wahrnehmen.

      Einige Polizisten hatten Nico Salmer in eine Ecke des Zimmers gedrängt. Er stand lammfromm da und wartete geduldig, was mit ihm nun weiter geschehen würde. Walli Winzer ging auf ihn zu. Sie spürte seine Erleichterung. Trotzdem sah sie die Verzweiflung in seinem Blick. »Nico, was ist denn passiert? Warum sind Sie hier?«

      Er blickte ins Leere und schloss dann die Augen. Noch bevor er antworten konnte, gab Major Kuntner eine laute Anweisung an zwei seiner Mitarbeiter: »Nowak, Wastracil! Wo ist die Dr. Eichinger? Ich hab doch nach ihr rufen lassen. Wie lang soll ich noch warten, bis die endlich da ist?«

      »Wir haben sie angerufen, und die Frau Dr. Eichinger hat gesagt, dass sie gleich da sein wird.«

      »Dann ruafts es glei noch amoi an: Sie soll sich beeilen.«

      Dieser Zeitgenosse der Polizei war definitiv keiner von der angenehmen Sorte, stand es für Walli eindeutig fest. Ob das überhaupt jemand jemals in solch einem Beruf würde sein können? Sie hatte ihre Zweifel.

      Walli Winzer beschloss, sicherheitshalber in Nico Salmers Nähe zu bleiben. Auch wenn er in einem Alter war, in dem ein Mann für sich selbst einstehen konnte. Doch Nico schien da eine Ausnahme, das hatte sie im Gefühl.

      Warum er prinzipiell verstummte, wenn sie in seine Nähe kam, konnte Walli sich sowieso nicht erklären. Dabei hatte sie ihn einmal mit dem Sepp Grubinger im Wirtshaus vom Hannes Lechner in Großlichten erlebt. Da war der Nico ganz und gar nicht schüchtern gewesen. Vielmehr war er lustig. Aber das war vielleicht wegen des Grubingers. Weil der die Dorfleute mit seiner speziellen Art nahm, so wie sie waren. Und mit ihnen beinahe konspirativ die Köpfe zusammensteckte. Auch mit dem Nico. Dadurch viel von ihnen erfuhr und aus ihnen herausholen konnte. Für die im Waldviertel meist gewählte Knappheit der Worte war das offenbar etwas Besonderes. Den Inhalt verstand nur der engere Kreis der Alteingesessenen. Zumindest konnte man das leicht glauben. Denn Fremden gegenüber verhielten sie sich anders. Bei genauerer Analyse dieser Kommunikationstechnik stand Walli Winzer vor einem Rätsel. Bestand sie doch weniger aus zusammenhängenden Sätzen, als aus lose aneinandergereihten Worten, die mit Kopfnicken und Anheben und Absenken der Schultern bestätigt oder infrage gestellt wurden.

      Manchmal überkam Walli der Eindruck, dass die regionale Kommunikation überwiegend aus Pausen bestand, in denen man einander ansah und abwartete. Jedenfalls hielten jene, die so redeten, mehr Stille miteinander aus, als Walli Winzer sich das für sich vorstellen konnte. Dabei fand sie, dass es ihr nach ihrem Sabbatical im Waldviertel mittlerweile besser gelang als zuvor.

      Betrachtete sie allerdings den groben Wiener Polizeikommandanten, war ihr inneres Gleichgewicht – so sie dies überhaupt zustande brachte – gleich dahin.

      Adile Gül erhob sich langsam von ihrem Stuhl und ging, begleitet von ihrem Chef Eraydin Turan und dem ungeschickten Praktikanten, in Richtung Vernehmungszimmer.

      Sie drängten sich an einigen neu eintreffenden Polizisten vorbei, die den Schauraum betraten. Eine junge Frau in weißem Arztkittel und einige Rettungseinsatzkräfte kreuzten ebenso ihre Wege. Diese ließ sich, ohne genauer in die Runde zu blicken, neben Kuntner nieder, ignorierte ihn trotz kurzen Grußes und betrachtete das Mordopfer. Sie holte Untersuchungsinstrumente aus ihrer großen Arzttasche und begann sofort mit einer ersten Einschätzung.

      Kuntner blieb neben ihr und schaute eine Weile zu. Die Ärztin leuchtete dem Toten mit einer Taschenlampe in die Augen. Hob dessen Lider mit einer Pinzette, bewegte die Leiche aber keinen Millimeter.

      »Hast du schon die Spurensicherung verständigt?«, fragte sie schließlich den Polizisten.

      »Ja, schon vor einer halben Stunde.«

      Die Ärztin spürte unweigerlich den vorwurfsvollen Unterton in Kuntners Stimme und fühlte sich bemüßigt, darauf zu antworten: »Also, ob man jetzt fünf Minuten früher oder später bei einem Toten ankommt, is a scho wurscht – bei dem Autoverkehr. Denn, der da is eindeutig tot. Wie du unschwer erkennen kannst, wurde er erdrosselt. Die roten Abriebe an seinem Hals bestätigen das. Da, schau!« Sie reichte Kuntner mit einer neuen Pinzette ein buntes indisches Halstuch, das sie dem Opfer abgenommen hatte. Der wich überrascht zurück. »Da!«, wiederholte

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